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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Gesinnung ihm zu allgemein und gemäßigt schien. Als nach dem Tode des Pa¬
latin die Hoffnung ans Fortschritt wieder Leben gewann, und mit der Hoffnung
eine erhöhte Thatkraft in die Seelen der Gemäßigten eindrang, machte der Nem-
zeti-Kör Versuche den Pesel-Kör zur Rückkehr zu bewegen. Dieser hörte auf
die Vorstellungen, wie Eintracht jetzt so dringend nöthig sei, entschloß sich zur
Vereinigung, stellt aber die Bedingung, der vereinigte Klubb müsse den entschie¬
denen Namen Elcuz"M-Kör (Opvositiousklubb) annehmen. Dieses geschah denn
auch nach langen heftigen Debatten, hatte aber zur Folge, daß eine Anzahl Mit¬
glieder des Nemzeti, Leute, "die ihr Hirn an die Gerichte vermiethet hatten,"
ihre Namen ans der Liste streichen ließen. G

Bei meiner Anwesenheit in Pesth waren die beiden Kör noch in verschiedene
Localitäten gesondert, da die Debatten über das Programm noch nicht beendigt
waren, und keiner von beiden sich dnrch die Majorität des andern wollte über¬
stimmen lassen. In diesen Klubbs kann jeder ohne Unterschied des Standes, der
Konfession und der nationalen Abkunft aufgenommen werden, die Einführung durch
ein Mitglied, wodurch die Gesinnung verbürgt ist, genügt, um gegen einen kleinen
jährlichen Geldbeitrag Aufnahme und Stimmrecht zu finden. Bei den verschiedenen
Meetings der Klubbs hat mau Gelegenheit die große Fertigkeit der Magyaren in
Trinksprüchen zu bewundern. Sie erlangen große Uebung in dieser Art von öffent¬
lichen Mittheilungen, da kein Gelage, sei es nun auf einem Ball, oder einer Hochzeit
und Taufe vorübergeht, ohne daß zahlreiche Toaste ausgebracht würden. Bei diesen
Toasten herrscht in Ungarn ein eigenthümlicher Brauch. Der Redner wendet sich
nämlich nicht an die ganze Gesellschaft, sondern er ruft einen der Anwesenden ans,
dessen Gesinnung und Persönlichkeit er mit den Gedanken, die er aussprechen will,
am meisten verwandt glaubt und richtet an diesen seine Worte. Der Aufgerufene
erhebt sich, bleibt während der gauzeu Rede stehen, wirft mitunter eine kurze bei¬
stimmende Bemerkung ein und läßt am Ende sein Eljen erschallen. Den andern
Anwesenden bleibt es unbenommen anzurufen, oder ihr Glas unberührt zu lassen.

Die Theilnahme an Staatsangelegenheiten führt zuweilen auch in einen ein¬
samen traurigen Aufenthalt -- in das neugebaute. Dieses Gebäude ist eines der
weitläufigsten und räthselhaftesten in der Welt. Es hat fünf Höfe, 3l1 Säle und
Zimmer, 77 Kuchen. Einer dieser Höfe hat gewiß 250 Schritte im Gevierte und
dürste nicht leicht seinesgleichen haben. Kaiser Joseph hat dieses ungeheure Haus
erbauen lassen, und mau weiß noch jetzt nicht zu welchem Zweck. Man behauptet, er
habe hier den vornehmsten Adel des Landes zu einem außerordentlichen Reichstag ver¬
sammeln und dann so lange gefangen halten wollen, bis er in die Reformen, die
Joseph in Ungarn nicht durchsetzen konnte, gewilligt hätte. Diese Reformen wären
wohl mitunter für das öffentliche Wohl förderlich gewesen, hätten aber auch Un¬
garn in eine österreichische Provinz verwandelt. Diese Auslegung ist wohl eine
wenig begründete Vermuthung, aber sie zeigt von dem Mißtrauen, das Joseph's


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Gesinnung ihm zu allgemein und gemäßigt schien. Als nach dem Tode des Pa¬
latin die Hoffnung ans Fortschritt wieder Leben gewann, und mit der Hoffnung
eine erhöhte Thatkraft in die Seelen der Gemäßigten eindrang, machte der Nem-
zeti-Kör Versuche den Pesel-Kör zur Rückkehr zu bewegen. Dieser hörte auf
die Vorstellungen, wie Eintracht jetzt so dringend nöthig sei, entschloß sich zur
Vereinigung, stellt aber die Bedingung, der vereinigte Klubb müsse den entschie¬
denen Namen Elcuz«M-Kör (Opvositiousklubb) annehmen. Dieses geschah denn
auch nach langen heftigen Debatten, hatte aber zur Folge, daß eine Anzahl Mit¬
glieder des Nemzeti, Leute, „die ihr Hirn an die Gerichte vermiethet hatten,"
ihre Namen ans der Liste streichen ließen. G

Bei meiner Anwesenheit in Pesth waren die beiden Kör noch in verschiedene
Localitäten gesondert, da die Debatten über das Programm noch nicht beendigt
waren, und keiner von beiden sich dnrch die Majorität des andern wollte über¬
stimmen lassen. In diesen Klubbs kann jeder ohne Unterschied des Standes, der
Konfession und der nationalen Abkunft aufgenommen werden, die Einführung durch
ein Mitglied, wodurch die Gesinnung verbürgt ist, genügt, um gegen einen kleinen
jährlichen Geldbeitrag Aufnahme und Stimmrecht zu finden. Bei den verschiedenen
Meetings der Klubbs hat mau Gelegenheit die große Fertigkeit der Magyaren in
Trinksprüchen zu bewundern. Sie erlangen große Uebung in dieser Art von öffent¬
lichen Mittheilungen, da kein Gelage, sei es nun auf einem Ball, oder einer Hochzeit
und Taufe vorübergeht, ohne daß zahlreiche Toaste ausgebracht würden. Bei diesen
Toasten herrscht in Ungarn ein eigenthümlicher Brauch. Der Redner wendet sich
nämlich nicht an die ganze Gesellschaft, sondern er ruft einen der Anwesenden ans,
dessen Gesinnung und Persönlichkeit er mit den Gedanken, die er aussprechen will,
am meisten verwandt glaubt und richtet an diesen seine Worte. Der Aufgerufene
erhebt sich, bleibt während der gauzeu Rede stehen, wirft mitunter eine kurze bei¬
stimmende Bemerkung ein und läßt am Ende sein Eljen erschallen. Den andern
Anwesenden bleibt es unbenommen anzurufen, oder ihr Glas unberührt zu lassen.

Die Theilnahme an Staatsangelegenheiten führt zuweilen auch in einen ein¬
samen traurigen Aufenthalt — in das neugebaute. Dieses Gebäude ist eines der
weitläufigsten und räthselhaftesten in der Welt. Es hat fünf Höfe, 3l1 Säle und
Zimmer, 77 Kuchen. Einer dieser Höfe hat gewiß 250 Schritte im Gevierte und
dürste nicht leicht seinesgleichen haben. Kaiser Joseph hat dieses ungeheure Haus
erbauen lassen, und mau weiß noch jetzt nicht zu welchem Zweck. Man behauptet, er
habe hier den vornehmsten Adel des Landes zu einem außerordentlichen Reichstag ver¬
sammeln und dann so lange gefangen halten wollen, bis er in die Reformen, die
Joseph in Ungarn nicht durchsetzen konnte, gewilligt hätte. Diese Reformen wären
wohl mitunter für das öffentliche Wohl förderlich gewesen, hätten aber auch Un¬
garn in eine österreichische Provinz verwandelt. Diese Auslegung ist wohl eine
wenig begründete Vermuthung, aber sie zeigt von dem Mißtrauen, das Joseph's


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[0425] Gesinnung ihm zu allgemein und gemäßigt schien. Als nach dem Tode des Pa¬ latin die Hoffnung ans Fortschritt wieder Leben gewann, und mit der Hoffnung eine erhöhte Thatkraft in die Seelen der Gemäßigten eindrang, machte der Nem- zeti-Kör Versuche den Pesel-Kör zur Rückkehr zu bewegen. Dieser hörte auf die Vorstellungen, wie Eintracht jetzt so dringend nöthig sei, entschloß sich zur Vereinigung, stellt aber die Bedingung, der vereinigte Klubb müsse den entschie¬ denen Namen Elcuz«M-Kör (Opvositiousklubb) annehmen. Dieses geschah denn auch nach langen heftigen Debatten, hatte aber zur Folge, daß eine Anzahl Mit¬ glieder des Nemzeti, Leute, „die ihr Hirn an die Gerichte vermiethet hatten," ihre Namen ans der Liste streichen ließen. G Bei meiner Anwesenheit in Pesth waren die beiden Kör noch in verschiedene Localitäten gesondert, da die Debatten über das Programm noch nicht beendigt waren, und keiner von beiden sich dnrch die Majorität des andern wollte über¬ stimmen lassen. In diesen Klubbs kann jeder ohne Unterschied des Standes, der Konfession und der nationalen Abkunft aufgenommen werden, die Einführung durch ein Mitglied, wodurch die Gesinnung verbürgt ist, genügt, um gegen einen kleinen jährlichen Geldbeitrag Aufnahme und Stimmrecht zu finden. Bei den verschiedenen Meetings der Klubbs hat mau Gelegenheit die große Fertigkeit der Magyaren in Trinksprüchen zu bewundern. Sie erlangen große Uebung in dieser Art von öffent¬ lichen Mittheilungen, da kein Gelage, sei es nun auf einem Ball, oder einer Hochzeit und Taufe vorübergeht, ohne daß zahlreiche Toaste ausgebracht würden. Bei diesen Toasten herrscht in Ungarn ein eigenthümlicher Brauch. Der Redner wendet sich nämlich nicht an die ganze Gesellschaft, sondern er ruft einen der Anwesenden ans, dessen Gesinnung und Persönlichkeit er mit den Gedanken, die er aussprechen will, am meisten verwandt glaubt und richtet an diesen seine Worte. Der Aufgerufene erhebt sich, bleibt während der gauzeu Rede stehen, wirft mitunter eine kurze bei¬ stimmende Bemerkung ein und läßt am Ende sein Eljen erschallen. Den andern Anwesenden bleibt es unbenommen anzurufen, oder ihr Glas unberührt zu lassen. Die Theilnahme an Staatsangelegenheiten führt zuweilen auch in einen ein¬ samen traurigen Aufenthalt — in das neugebaute. Dieses Gebäude ist eines der weitläufigsten und räthselhaftesten in der Welt. Es hat fünf Höfe, 3l1 Säle und Zimmer, 77 Kuchen. Einer dieser Höfe hat gewiß 250 Schritte im Gevierte und dürste nicht leicht seinesgleichen haben. Kaiser Joseph hat dieses ungeheure Haus erbauen lassen, und mau weiß noch jetzt nicht zu welchem Zweck. Man behauptet, er habe hier den vornehmsten Adel des Landes zu einem außerordentlichen Reichstag ver¬ sammeln und dann so lange gefangen halten wollen, bis er in die Reformen, die Joseph in Ungarn nicht durchsetzen konnte, gewilligt hätte. Diese Reformen wären wohl mitunter für das öffentliche Wohl förderlich gewesen, hätten aber auch Un¬ garn in eine österreichische Provinz verwandelt. Diese Auslegung ist wohl eine wenig begründete Vermuthung, aber sie zeigt von dem Mißtrauen, das Joseph's 55*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/425>, abgerufen am 01.09.2024.