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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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fast drohend gegen den Administrator ausstreckte, erregte meine Neugierde. Ich
ließ mir sie von meinem Begleiter, der mit flammendem Gesicht zuhörte, über¬
sehen, sie klingt fast unglaublich: "Oesterreich kann uns durch Bajonette bewälti¬
gen, vielleicht auch nicht; aber durch solche Kreaturen uns langsam erdrücken
lassen, das wäre eine zu schmähliche Niederlage; so leicht wollen wir den Sieg
nicht machen!"

Der arme Kossuth, mau sieht es seinem schmerzvollen blassen Gesichte an, daß
er seine Worte selbst nicht glaubt, und daß er fühlt, wie die Maschine mit dem
Strom rückwärts geht, während er mit aller Macht gegen die Wellen ankämpft.

Die andere eben so merkwürdige Verhandlung betraf ein Rescript der Negie¬
rung, welches das Comitat aufforderte, den Vicegespan Up-Ki wegen beleidigen¬
der Ausdrücke gegen die Hofkanzlei in Anklagestand zu versetzen. Das Comitat
hatte nämlich vor längerer Zeit einen Befehl der Statthaltern erwirkt, daß ein
von mehren Edelleuten des Wuchers und der Fälschung angeklagter Geschäftsmann
von der städtischen Behörde, unter deren Jurisdiction er als Nichtadeliger stand,
zur Untersuchung ausgeliefert werde. Die städtische Behörde gehorchte dem Be¬
fehl, recurrirte jedoch zur Hofkanzlei. Mittlerweile wurde der Inquisit des Ver¬
brechens schuldig befunden und vom Comitatsgericht zu schwerer Strafe verurtheilt.
Als nun von der Hofkanzlei ein Befehl herabgelangte, welcher die Vollziehung des
Urtheils untersagte und die Rückstellung des Inquisiten an seine rechtmäßige Be¬
hörde befahl, protestirte die Kongregation gegen diesen Befehl und der Vicegespan
Up"ri sprach auf eine ironische Weise sein Erstaunen ans, daß der Referent der
hohen Kanzlei sich so warm für das Schicksal eines reichen Wucherers interessire.

Für diese Jnjurie forderte nun das Rescript, daß dem Vicegespan der Prozeß
gemacht werde. In der Kongregation berief man sich jedoch auf das Recht der
Redefreiheit und ging über das Rescript zur Tagesordnung über. Man behauptet
übrigens, daß die Verurtheilung und Festhaltung des Wucherers nicht ungesetzlich
sei, indem ein altes Gesetz das Comitatsgericht ermächtige, auch einem Nichtadeli¬
gen den Prozeß zu machen, wenn das Vergehen einen Edelmann betrifft. Man
würde indeß von diesem alten Recht keinen Gebrauch machen, wenn die Rechtlichkeit
der städtischen Justiz mehr Vertrauen erweckte. Auch der Edelmann kann in gewissen
Fällen von Personen, die nicht seines Standes sind, gerichtet werden. Wenn näm¬
lich in einer Gegend des Landes Räubereien und Gewaltthätigkeiten sich häufen,
dann wird in den Comitaten dieser Gegend nach eingeholter Bewilligung der Statt-
halterei das Standrecht publizirt. Wer immer dann ans offener Gewaltthat er¬
griffen worden, wird vor den Richter und die Geschwornen des nächsten Dorfes
geführt und nach deren Ausspruch auf der Stelle an den nächsten Baum gehängt.
Von den ordentlichen Gerichten kann der Edelmann nur zum Tod durck/s Schwerdt
verurtheilt werden. Das Standrecht muß jedoch nnter freiem Himmel geübt wer¬
den; wenn es dem Frevler gelingt, unter Dach zu kommen, muß er den gewöhn-


fast drohend gegen den Administrator ausstreckte, erregte meine Neugierde. Ich
ließ mir sie von meinem Begleiter, der mit flammendem Gesicht zuhörte, über¬
sehen, sie klingt fast unglaublich: „Oesterreich kann uns durch Bajonette bewälti¬
gen, vielleicht auch nicht; aber durch solche Kreaturen uns langsam erdrücken
lassen, das wäre eine zu schmähliche Niederlage; so leicht wollen wir den Sieg
nicht machen!"

Der arme Kossuth, mau sieht es seinem schmerzvollen blassen Gesichte an, daß
er seine Worte selbst nicht glaubt, und daß er fühlt, wie die Maschine mit dem
Strom rückwärts geht, während er mit aller Macht gegen die Wellen ankämpft.

Die andere eben so merkwürdige Verhandlung betraf ein Rescript der Negie¬
rung, welches das Comitat aufforderte, den Vicegespan Up-Ki wegen beleidigen¬
der Ausdrücke gegen die Hofkanzlei in Anklagestand zu versetzen. Das Comitat
hatte nämlich vor längerer Zeit einen Befehl der Statthaltern erwirkt, daß ein
von mehren Edelleuten des Wuchers und der Fälschung angeklagter Geschäftsmann
von der städtischen Behörde, unter deren Jurisdiction er als Nichtadeliger stand,
zur Untersuchung ausgeliefert werde. Die städtische Behörde gehorchte dem Be¬
fehl, recurrirte jedoch zur Hofkanzlei. Mittlerweile wurde der Inquisit des Ver¬
brechens schuldig befunden und vom Comitatsgericht zu schwerer Strafe verurtheilt.
Als nun von der Hofkanzlei ein Befehl herabgelangte, welcher die Vollziehung des
Urtheils untersagte und die Rückstellung des Inquisiten an seine rechtmäßige Be¬
hörde befahl, protestirte die Kongregation gegen diesen Befehl und der Vicegespan
Up«ri sprach auf eine ironische Weise sein Erstaunen ans, daß der Referent der
hohen Kanzlei sich so warm für das Schicksal eines reichen Wucherers interessire.

Für diese Jnjurie forderte nun das Rescript, daß dem Vicegespan der Prozeß
gemacht werde. In der Kongregation berief man sich jedoch auf das Recht der
Redefreiheit und ging über das Rescript zur Tagesordnung über. Man behauptet
übrigens, daß die Verurtheilung und Festhaltung des Wucherers nicht ungesetzlich
sei, indem ein altes Gesetz das Comitatsgericht ermächtige, auch einem Nichtadeli¬
gen den Prozeß zu machen, wenn das Vergehen einen Edelmann betrifft. Man
würde indeß von diesem alten Recht keinen Gebrauch machen, wenn die Rechtlichkeit
der städtischen Justiz mehr Vertrauen erweckte. Auch der Edelmann kann in gewissen
Fällen von Personen, die nicht seines Standes sind, gerichtet werden. Wenn näm¬
lich in einer Gegend des Landes Räubereien und Gewaltthätigkeiten sich häufen,
dann wird in den Comitaten dieser Gegend nach eingeholter Bewilligung der Statt-
halterei das Standrecht publizirt. Wer immer dann ans offener Gewaltthat er¬
griffen worden, wird vor den Richter und die Geschwornen des nächsten Dorfes
geführt und nach deren Ausspruch auf der Stelle an den nächsten Baum gehängt.
Von den ordentlichen Gerichten kann der Edelmann nur zum Tod durck/s Schwerdt
verurtheilt werden. Das Standrecht muß jedoch nnter freiem Himmel geübt wer¬
den; wenn es dem Frevler gelingt, unter Dach zu kommen, muß er den gewöhn-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/422>, abgerufen am 01.09.2024.