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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Man will das aus verschiedenen mißlungenen, patriotischen Unternehmungen schlie¬
ßen, an bereu Spitze er stand. Man sollte aber auch die fast unüberwindlichen
Hindernisse bedenken, die dem Mann im Wege stehen: das Volk ist noch gar nicht
entwickelt, die Regierung kreuzt offen oder heimlich seine Bestrebungen, und die
reichen Magnaten sind nicht auf seiner Seite. Indeß so sehr auch Feinde und
laue Freunde an ihm mäkeln, er ist doch uoch immer der gefeierte Redner der
Pesther Cougregatiouen; man lauscht athemlos seinen Worten und die tiefe Stille
wird nur durch die begeistertsten "Eljen" der Zuhörer unterbrochen. Er besitzt aber
auch alle innern und äußern Eigenschaften zu einem einnehmenden und hinreißen¬
den Redner; überdies ist sein Charakter fleckenlos und seine Motive von der rein¬
sten und aufopferndsten Vaterlandsliebe durchdrungen. Ich verstand nicht, was er
sprach, aber ich fühlte, daß es besser sei, mit diesem Manu unterzugehen, als mit
schlauen Rechnern emporzukommen.

Ein solcher arithmetischer Kopf auf einem herzlosen Rumpf schien mir Graf
Szechenyi, der ihm gegenüber saß und ein steter Antagonist ist. Die politische
Gesinnung dieses Mannes ist noch ein Räthsel, aber daran zweifelt Niemand, daß
er sein Ich obenan setzt. Als entschiedener stolzer Aristokrat wird er sogar ge¬
haßt, obgleich man nicht leugnen kann, daß er für die materielle Wohlfahrt schon
manchen guten Vorschlag gemacht hat. Die Liberalen daut'an ihm aber dafür nicht,
sie wollen vor Allem frei sein, und selbst der Geldsack scheint ihnen drückend, wenn
er oben auf über Köpfe und moralische Interessen gewälzt wird. Graf Szechcuyi
hat auch das unerquickliche Aussehen seines Systems; sein Gesicht trägt die fin¬
stern Züge, die buschigen Augenbrauen und den uuhvldeu Blick eiues Wucherers.
Seine Reden kommen nicht aus dem Herzen und besitzen den überlegenen Witz
eines kalten Kopfes.

In der Congregation des Medardi - Marktes war ich bei zwei interessanten
und charakteristischen Verhandlungen zugegen.

Die eine Verhandlung betraf eine königliche Verordnung, welche den Admi¬
nistratoren die oberste Leitung der Congregatiouen und Comitatsgeschäste übertrug.
Die Verordnung fand starken Widerspruch, wie denn überhaupt das Admiuistra-
tvrensystem, seit den wenigen Jahren seiner Einführung den heftigsten Widerstand
der Opposition auf allen Kongregationen Ungarns hervorgerufen hat. Dieses
System ist aber auch eine Lebensfrage für Ungarn. Die Administratoren -- der
liberale Ungar nennt sie Mandarinen -- sind eigentlich fremd der ungarischen Ver¬
fassung. Bisher lag die oberste Leitung der Comitatsverwaltnng in den Händen
der Obergespane. Diese, gewöhnlich angesehenen Magnaten, werden vom König
ernannt; nur in etwa zwölf Comitaten ist die Würde der Obergespauschaft durch
königliche Privilegien in hohen adeligen Familien erblich geworden. Der Ober¬
gespan des Pesther Comitates, als des ersten im Königreich, ist der jedesmalige
dnrch Wahl des Landtages ernannte Reichspalatin.


Man will das aus verschiedenen mißlungenen, patriotischen Unternehmungen schlie¬
ßen, an bereu Spitze er stand. Man sollte aber auch die fast unüberwindlichen
Hindernisse bedenken, die dem Mann im Wege stehen: das Volk ist noch gar nicht
entwickelt, die Regierung kreuzt offen oder heimlich seine Bestrebungen, und die
reichen Magnaten sind nicht auf seiner Seite. Indeß so sehr auch Feinde und
laue Freunde an ihm mäkeln, er ist doch uoch immer der gefeierte Redner der
Pesther Cougregatiouen; man lauscht athemlos seinen Worten und die tiefe Stille
wird nur durch die begeistertsten „Eljen" der Zuhörer unterbrochen. Er besitzt aber
auch alle innern und äußern Eigenschaften zu einem einnehmenden und hinreißen¬
den Redner; überdies ist sein Charakter fleckenlos und seine Motive von der rein¬
sten und aufopferndsten Vaterlandsliebe durchdrungen. Ich verstand nicht, was er
sprach, aber ich fühlte, daß es besser sei, mit diesem Manu unterzugehen, als mit
schlauen Rechnern emporzukommen.

Ein solcher arithmetischer Kopf auf einem herzlosen Rumpf schien mir Graf
Szechenyi, der ihm gegenüber saß und ein steter Antagonist ist. Die politische
Gesinnung dieses Mannes ist noch ein Räthsel, aber daran zweifelt Niemand, daß
er sein Ich obenan setzt. Als entschiedener stolzer Aristokrat wird er sogar ge¬
haßt, obgleich man nicht leugnen kann, daß er für die materielle Wohlfahrt schon
manchen guten Vorschlag gemacht hat. Die Liberalen daut'an ihm aber dafür nicht,
sie wollen vor Allem frei sein, und selbst der Geldsack scheint ihnen drückend, wenn
er oben auf über Köpfe und moralische Interessen gewälzt wird. Graf Szechcuyi
hat auch das unerquickliche Aussehen seines Systems; sein Gesicht trägt die fin¬
stern Züge, die buschigen Augenbrauen und den uuhvldeu Blick eiues Wucherers.
Seine Reden kommen nicht aus dem Herzen und besitzen den überlegenen Witz
eines kalten Kopfes.

In der Congregation des Medardi - Marktes war ich bei zwei interessanten
und charakteristischen Verhandlungen zugegen.

Die eine Verhandlung betraf eine königliche Verordnung, welche den Admi¬
nistratoren die oberste Leitung der Congregatiouen und Comitatsgeschäste übertrug.
Die Verordnung fand starken Widerspruch, wie denn überhaupt das Admiuistra-
tvrensystem, seit den wenigen Jahren seiner Einführung den heftigsten Widerstand
der Opposition auf allen Kongregationen Ungarns hervorgerufen hat. Dieses
System ist aber auch eine Lebensfrage für Ungarn. Die Administratoren — der
liberale Ungar nennt sie Mandarinen — sind eigentlich fremd der ungarischen Ver¬
fassung. Bisher lag die oberste Leitung der Comitatsverwaltnng in den Händen
der Obergespane. Diese, gewöhnlich angesehenen Magnaten, werden vom König
ernannt; nur in etwa zwölf Comitaten ist die Würde der Obergespauschaft durch
königliche Privilegien in hohen adeligen Familien erblich geworden. Der Ober¬
gespan des Pesther Comitates, als des ersten im Königreich, ist der jedesmalige
dnrch Wahl des Landtages ernannte Reichspalatin.


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[0419] Man will das aus verschiedenen mißlungenen, patriotischen Unternehmungen schlie¬ ßen, an bereu Spitze er stand. Man sollte aber auch die fast unüberwindlichen Hindernisse bedenken, die dem Mann im Wege stehen: das Volk ist noch gar nicht entwickelt, die Regierung kreuzt offen oder heimlich seine Bestrebungen, und die reichen Magnaten sind nicht auf seiner Seite. Indeß so sehr auch Feinde und laue Freunde an ihm mäkeln, er ist doch uoch immer der gefeierte Redner der Pesther Cougregatiouen; man lauscht athemlos seinen Worten und die tiefe Stille wird nur durch die begeistertsten „Eljen" der Zuhörer unterbrochen. Er besitzt aber auch alle innern und äußern Eigenschaften zu einem einnehmenden und hinreißen¬ den Redner; überdies ist sein Charakter fleckenlos und seine Motive von der rein¬ sten und aufopferndsten Vaterlandsliebe durchdrungen. Ich verstand nicht, was er sprach, aber ich fühlte, daß es besser sei, mit diesem Manu unterzugehen, als mit schlauen Rechnern emporzukommen. Ein solcher arithmetischer Kopf auf einem herzlosen Rumpf schien mir Graf Szechenyi, der ihm gegenüber saß und ein steter Antagonist ist. Die politische Gesinnung dieses Mannes ist noch ein Räthsel, aber daran zweifelt Niemand, daß er sein Ich obenan setzt. Als entschiedener stolzer Aristokrat wird er sogar ge¬ haßt, obgleich man nicht leugnen kann, daß er für die materielle Wohlfahrt schon manchen guten Vorschlag gemacht hat. Die Liberalen daut'an ihm aber dafür nicht, sie wollen vor Allem frei sein, und selbst der Geldsack scheint ihnen drückend, wenn er oben auf über Köpfe und moralische Interessen gewälzt wird. Graf Szechcuyi hat auch das unerquickliche Aussehen seines Systems; sein Gesicht trägt die fin¬ stern Züge, die buschigen Augenbrauen und den uuhvldeu Blick eiues Wucherers. Seine Reden kommen nicht aus dem Herzen und besitzen den überlegenen Witz eines kalten Kopfes. In der Congregation des Medardi - Marktes war ich bei zwei interessanten und charakteristischen Verhandlungen zugegen. Die eine Verhandlung betraf eine königliche Verordnung, welche den Admi¬ nistratoren die oberste Leitung der Congregatiouen und Comitatsgeschäste übertrug. Die Verordnung fand starken Widerspruch, wie denn überhaupt das Admiuistra- tvrensystem, seit den wenigen Jahren seiner Einführung den heftigsten Widerstand der Opposition auf allen Kongregationen Ungarns hervorgerufen hat. Dieses System ist aber auch eine Lebensfrage für Ungarn. Die Administratoren — der liberale Ungar nennt sie Mandarinen — sind eigentlich fremd der ungarischen Ver¬ fassung. Bisher lag die oberste Leitung der Comitatsverwaltnng in den Händen der Obergespane. Diese, gewöhnlich angesehenen Magnaten, werden vom König ernannt; nur in etwa zwölf Comitaten ist die Würde der Obergespauschaft durch königliche Privilegien in hohen adeligen Familien erblich geworden. Der Ober¬ gespan des Pesther Comitates, als des ersten im Königreich, ist der jedesmalige dnrch Wahl des Landtages ernannte Reichspalatin.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/419>, abgerufen am 01.09.2024.