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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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dringender als die Theißreguliruug, ans die jetzt so vieles Geld verwendet wird.
Die Fonds zu diesen Schulen wären bald gefunden, wenn die katholische Geist¬
lichkeit des Landes nur den hundertsten Theil von dem Fett, in dem sie schwimmt,
hergeben wollte. Die Arme hat nicht mehr als den vierten Theil des Bodens im Besitz.
Die Achtung vor dem Gesetz mußte bei den Hütern des Gesetzes beginnen. Die
ungarische Hauptstadt bedürfte aber vor Allem eine bedeutende Vermehrung und Ver¬
besserung der Sicherheitsverwaltung und eine Straßenbeleuchtung, die nicht, wie die
bestehende, jede Gasse zu einer finstern Spelunke macht, worin Schlechtigkeit aller
Art ihr Unwesen treibt.

Solche und ähnliche Gedanken kamen mir stets, so oft ich vor dem alten
stumpfen und rostigen Schwerdt vorüberging, welches vor den Eingang des Stadt¬
hauses als Sinnbild der Gerechtigkeit herausgestellt ist. Gleicht dieses Schwerdt
nicht der ganzen ungarischen Verfassung? Das Metall ist gut, aber die Schneide
stumpf und die Flächen rostig.

Ein minder ernstes Aeußere hat die Fronte des Comitathauses. Es hat zwei
Höfe und ist weitläufiger als das Stadthaus, vorn aber gegen die Grenadiergasse,
wo der Haupteingang ist, nimmt es sich wie ein freundliches Privatgebäude aus.
Der aufsuchende Fremde würde gewiß eher die in derselben Gasse befindliche große
Militärkaserne, zugleich Jnvalidenhaus für das Comitat halten. Diese Kaserne
steht in gefährlicher Nähe von den heißen Berathungen, welche die Adelscongre-
gation jedes Vierteljahr, stets während der Meßzeit, im Cvmitatsgebände hält.
Bei diesen Berathungen hat jeder im Kreise ansäßige Edelmann Sitz und Stimme.
Aus den Galerien, die rings um den Saal laufen, hat jeder Zutritt ohne Unter¬
schied des Standes und des Geschlechtes, und auch von da oben mischt sich man¬
cher Männerhaß, manche zarte Frauenstimme mit den donnernden "Eljen" (Bravo,
Vivat) die oft von unten herauf durch den weiten Raum tönen.

Ans diesen Congregationen werden Vorschläge zum Besten des Kreises ge¬
macht, Propositionen für den nächsten Landtag berathen, und Ordonnanzen der
Regierung angenommen oder verworfen. Nur die vom König genehmigten Be¬
schlüsse des Landtags haben in Ungarn allgemeine Gültigkeit. Aehnliche Congre¬
gationen werden vierteljährig in jedem Comitat des Landes gehalten und so gibt
es in Ungarn gleichsam einen permanenten Landtag, dessen Versammlungen die
Regierung weder berufen noch verhindern kann. -- Es ist doch merkwürdig, wie
weit diese halbcivilisirten Ungarn es gebracht haben, ohne unsre gepriesenen Uni¬
versitäten, Schulen, Bibliotheken und Büchermarkte.

Die Pesther Kongregation ist die gebildetste und liberalste im Lande. Die
gewählten Vicegespane, Szentkiralyi und Nyuri gehören zur nltraliberalen Par¬
tei. Hier hält auch der berühmte Kossuth seine glühenden Reden. Man könnte
diesen edeln Patrioten den Lamartine Ungarns nennen. Er ist ein begeister¬
ter Redner und geistvoller Publizist, aber praktisches Talent soll er nicht haben.


dringender als die Theißreguliruug, ans die jetzt so vieles Geld verwendet wird.
Die Fonds zu diesen Schulen wären bald gefunden, wenn die katholische Geist¬
lichkeit des Landes nur den hundertsten Theil von dem Fett, in dem sie schwimmt,
hergeben wollte. Die Arme hat nicht mehr als den vierten Theil des Bodens im Besitz.
Die Achtung vor dem Gesetz mußte bei den Hütern des Gesetzes beginnen. Die
ungarische Hauptstadt bedürfte aber vor Allem eine bedeutende Vermehrung und Ver¬
besserung der Sicherheitsverwaltung und eine Straßenbeleuchtung, die nicht, wie die
bestehende, jede Gasse zu einer finstern Spelunke macht, worin Schlechtigkeit aller
Art ihr Unwesen treibt.

Solche und ähnliche Gedanken kamen mir stets, so oft ich vor dem alten
stumpfen und rostigen Schwerdt vorüberging, welches vor den Eingang des Stadt¬
hauses als Sinnbild der Gerechtigkeit herausgestellt ist. Gleicht dieses Schwerdt
nicht der ganzen ungarischen Verfassung? Das Metall ist gut, aber die Schneide
stumpf und die Flächen rostig.

Ein minder ernstes Aeußere hat die Fronte des Comitathauses. Es hat zwei
Höfe und ist weitläufiger als das Stadthaus, vorn aber gegen die Grenadiergasse,
wo der Haupteingang ist, nimmt es sich wie ein freundliches Privatgebäude aus.
Der aufsuchende Fremde würde gewiß eher die in derselben Gasse befindliche große
Militärkaserne, zugleich Jnvalidenhaus für das Comitat halten. Diese Kaserne
steht in gefährlicher Nähe von den heißen Berathungen, welche die Adelscongre-
gation jedes Vierteljahr, stets während der Meßzeit, im Cvmitatsgebände hält.
Bei diesen Berathungen hat jeder im Kreise ansäßige Edelmann Sitz und Stimme.
Aus den Galerien, die rings um den Saal laufen, hat jeder Zutritt ohne Unter¬
schied des Standes und des Geschlechtes, und auch von da oben mischt sich man¬
cher Männerhaß, manche zarte Frauenstimme mit den donnernden „Eljen" (Bravo,
Vivat) die oft von unten herauf durch den weiten Raum tönen.

Ans diesen Congregationen werden Vorschläge zum Besten des Kreises ge¬
macht, Propositionen für den nächsten Landtag berathen, und Ordonnanzen der
Regierung angenommen oder verworfen. Nur die vom König genehmigten Be¬
schlüsse des Landtags haben in Ungarn allgemeine Gültigkeit. Aehnliche Congre¬
gationen werden vierteljährig in jedem Comitat des Landes gehalten und so gibt
es in Ungarn gleichsam einen permanenten Landtag, dessen Versammlungen die
Regierung weder berufen noch verhindern kann. — Es ist doch merkwürdig, wie
weit diese halbcivilisirten Ungarn es gebracht haben, ohne unsre gepriesenen Uni¬
versitäten, Schulen, Bibliotheken und Büchermarkte.

Die Pesther Kongregation ist die gebildetste und liberalste im Lande. Die
gewählten Vicegespane, Szentkiralyi und Nyuri gehören zur nltraliberalen Par¬
tei. Hier hält auch der berühmte Kossuth seine glühenden Reden. Man könnte
diesen edeln Patrioten den Lamartine Ungarns nennen. Er ist ein begeister¬
ter Redner und geistvoller Publizist, aber praktisches Talent soll er nicht haben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/418>, abgerufen am 01.09.2024.