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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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die mangelnde Kenntniß hatten ersetzen müssen. Ranke geht ohne Haß und ohne
Liebe an sein Werk; er kann eS nicht billigen, daß man ihm die römischen Archive
selbst nicht geöffnet, denn ein Protestant, der von der Macht der Kirche weder
im Guten noch im Schlimmen berührt wurde, sei am geeignetsten, diese ihm voll¬
kommen fremde Gewalt objectiv und würdig darzustellen. -- Eine sonderbare An¬
sicht! könnte mau sagen; der einsame Gelehrte mag sich die Kirche in Gedanken
vom Halse schaffen, wie aber der Staatsmann sie ignoriren will, ist nicht wohl
zu begreifen. 1837 wurden "die Päpste" vollendet, das folgende Jahr brachen
in dem Staat, dem Ranke angehört, die Kölner Wirren aus. Der Protestant
kann die Kirche nicht blos objectiv darstellen, er muß sie verabscheuen; aber Ranke
täuscht sich selber, wenn er sich für einen hält; er ist, wie ich schon sagte, ein
Dilettant in der Religion, ein sehr geistreicher, sehr gebildeter, sehr gelehrter, aber
ein Dilettant. Er würde auch in Lucifer positive Seiten aufzufinden und ihn als
eine interessante, wenn auch etwas barocke Persönlichkeit darzustellen wissen.

(Zweite Abtheilung im nächsten Hefte.)




die mangelnde Kenntniß hatten ersetzen müssen. Ranke geht ohne Haß und ohne
Liebe an sein Werk; er kann eS nicht billigen, daß man ihm die römischen Archive
selbst nicht geöffnet, denn ein Protestant, der von der Macht der Kirche weder
im Guten noch im Schlimmen berührt wurde, sei am geeignetsten, diese ihm voll¬
kommen fremde Gewalt objectiv und würdig darzustellen. — Eine sonderbare An¬
sicht! könnte mau sagen; der einsame Gelehrte mag sich die Kirche in Gedanken
vom Halse schaffen, wie aber der Staatsmann sie ignoriren will, ist nicht wohl
zu begreifen. 1837 wurden „die Päpste" vollendet, das folgende Jahr brachen
in dem Staat, dem Ranke angehört, die Kölner Wirren aus. Der Protestant
kann die Kirche nicht blos objectiv darstellen, er muß sie verabscheuen; aber Ranke
täuscht sich selber, wenn er sich für einen hält; er ist, wie ich schon sagte, ein
Dilettant in der Religion, ein sehr geistreicher, sehr gebildeter, sehr gelehrter, aber
ein Dilettant. Er würde auch in Lucifer positive Seiten aufzufinden und ihn als
eine interessante, wenn auch etwas barocke Persönlichkeit darzustellen wissen.

(Zweite Abtheilung im nächsten Hefte.)




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[0416] die mangelnde Kenntniß hatten ersetzen müssen. Ranke geht ohne Haß und ohne Liebe an sein Werk; er kann eS nicht billigen, daß man ihm die römischen Archive selbst nicht geöffnet, denn ein Protestant, der von der Macht der Kirche weder im Guten noch im Schlimmen berührt wurde, sei am geeignetsten, diese ihm voll¬ kommen fremde Gewalt objectiv und würdig darzustellen. — Eine sonderbare An¬ sicht! könnte mau sagen; der einsame Gelehrte mag sich die Kirche in Gedanken vom Halse schaffen, wie aber der Staatsmann sie ignoriren will, ist nicht wohl zu begreifen. 1837 wurden „die Päpste" vollendet, das folgende Jahr brachen in dem Staat, dem Ranke angehört, die Kölner Wirren aus. Der Protestant kann die Kirche nicht blos objectiv darstellen, er muß sie verabscheuen; aber Ranke täuscht sich selber, wenn er sich für einen hält; er ist, wie ich schon sagte, ein Dilettant in der Religion, ein sehr geistreicher, sehr gebildeter, sehr gelehrter, aber ein Dilettant. Er würde auch in Lucifer positive Seiten aufzufinden und ihn als eine interessante, wenn auch etwas barocke Persönlichkeit darzustellen wissen. (Zweite Abtheilung im nächsten Hefte.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/416>, abgerufen am 06.10.2024.