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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Mittel, uns für seiue Helden zu interessiren; von dem sentimentalen Anflug, durch
den ein deutscher Dichter diesen verknöcherten, finstern Charakter vor der Empfind¬
samkeit seines Publikums zu rechtfertigen suchte, ist keine Spur; in sich abgeschlossen,
undurchdringlich, hart und lieblos, wie er in der Wirklichkeit war, tritt er uns
hier im Gemälde entgegen; nicht eben geistvoll aber arbeitsam, ausdauernd, die
wirkliche Seele seines Reichs. Und doch werden wir angezogen, er thut uus leid,
denn wir können uns ganz in ihn hineinleben. Von der allgemeinen Erschütterung
des Geistes, wie jene Zeit sie hervorrief, werden wir nur von Ferne berührt,
wir macheu psychologische und politische Studien, keine ethischen. Man kommt
sich vor wie ein Reisender in einem fremden, merkwürdigen Lande, der bei allen
Personen von Qualität accreditirt ist.

Ein Meisterstück ist die Darstellung des türkischen Reichs. In wenig großen
Zügen, scheinbar anspruchslos, einfach rcferirend, stellt uns der Historiker dieses
allen europäischen Sitten und Ideen widersprechende Volk vor die Augen, wir
gehen von der Befremdung zur Ueberraschung, zur Bewunderung über. Aus dem
Wust unverarbeiteten Materials, mit welchem uns die übrigen Darsteller türkischer
Geschichten überschütten, tritt uns hier, wie durch eine zauberische Beleuchtung,
Plötzlich ein klarer, in sich verständiger, abgeschlossener Bau entgegen, dessen Ver¬
hältnisse wir genau ermessen, dessen Pracht, wie dessen kurze Dauer wir vollstän¬
dig begreifen. Sonderbar, daß nach dieser lichtvollen, classischen Darstellung Zink¬
eisen es gewagt hat, die türkische Geschichte wieder in die alte Verwirrung zu
stürzen.

Es beschleicht uns ein eigenthümliches Gefühl, wenn der Glanz Spaniens,
der Türkei, Venedigs im 16., noch im 17, Jahrhundert uus auf diese lebhafte Weise
vor die Seele geführt wird. Damals die mächtigsten Staaten Enropa's, jetzt nur
noch am Leben, weil die Mächtigen der Erde sich gegenseitig die leichte Beute be¬
neiden. Und wir sehen mitten in der Pracht jener ungeheuern Reiche, von denen
das eine die Sonne stets bescheint, wir sehen, wie bereits die Balken ans den
Fugen gehen, wie die marmornen Säulen sich spalten. Für solche Nisse hat der
Diplomat ein gutes Auge.

Es ist, wie gesagt, keine eigentliche Geschichte, die wir durchmachen, es sind
Kreuz- und Querzüge eines geistvollen, gebildeten und gelehrten Wanderers, die
vielleicht gerade durch ihre graciöse Formlosigkeit einen neuen Reiz gewinnen.
Anders ist es mit den "Päpsten," dem Höchsten, was Ranke geleistet. Hier ha¬
ben wir ein vollendetes, classisches Kunstwerk.

Das großartigste Studium unbekannter Handschriften in den Archiven der
vornehmsten italienischen Städte und den Privatbibliotheken der großen römischen
Familien gaben Ranke ein überreiches Material für diese Geschichte, die bis dahin
uoch keine einigermaßen befriedigende Darstellung gesunden hatte, weil bei allen
Schriftstellern, die sich daran gewagt, Haß oder Liebe, Absehen oder Enthusiasmus


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Mittel, uns für seiue Helden zu interessiren; von dem sentimentalen Anflug, durch
den ein deutscher Dichter diesen verknöcherten, finstern Charakter vor der Empfind¬
samkeit seines Publikums zu rechtfertigen suchte, ist keine Spur; in sich abgeschlossen,
undurchdringlich, hart und lieblos, wie er in der Wirklichkeit war, tritt er uns
hier im Gemälde entgegen; nicht eben geistvoll aber arbeitsam, ausdauernd, die
wirkliche Seele seines Reichs. Und doch werden wir angezogen, er thut uus leid,
denn wir können uns ganz in ihn hineinleben. Von der allgemeinen Erschütterung
des Geistes, wie jene Zeit sie hervorrief, werden wir nur von Ferne berührt,
wir macheu psychologische und politische Studien, keine ethischen. Man kommt
sich vor wie ein Reisender in einem fremden, merkwürdigen Lande, der bei allen
Personen von Qualität accreditirt ist.

Ein Meisterstück ist die Darstellung des türkischen Reichs. In wenig großen
Zügen, scheinbar anspruchslos, einfach rcferirend, stellt uns der Historiker dieses
allen europäischen Sitten und Ideen widersprechende Volk vor die Augen, wir
gehen von der Befremdung zur Ueberraschung, zur Bewunderung über. Aus dem
Wust unverarbeiteten Materials, mit welchem uns die übrigen Darsteller türkischer
Geschichten überschütten, tritt uns hier, wie durch eine zauberische Beleuchtung,
Plötzlich ein klarer, in sich verständiger, abgeschlossener Bau entgegen, dessen Ver¬
hältnisse wir genau ermessen, dessen Pracht, wie dessen kurze Dauer wir vollstän¬
dig begreifen. Sonderbar, daß nach dieser lichtvollen, classischen Darstellung Zink¬
eisen es gewagt hat, die türkische Geschichte wieder in die alte Verwirrung zu
stürzen.

Es beschleicht uns ein eigenthümliches Gefühl, wenn der Glanz Spaniens,
der Türkei, Venedigs im 16., noch im 17, Jahrhundert uus auf diese lebhafte Weise
vor die Seele geführt wird. Damals die mächtigsten Staaten Enropa's, jetzt nur
noch am Leben, weil die Mächtigen der Erde sich gegenseitig die leichte Beute be¬
neiden. Und wir sehen mitten in der Pracht jener ungeheuern Reiche, von denen
das eine die Sonne stets bescheint, wir sehen, wie bereits die Balken ans den
Fugen gehen, wie die marmornen Säulen sich spalten. Für solche Nisse hat der
Diplomat ein gutes Auge.

Es ist, wie gesagt, keine eigentliche Geschichte, die wir durchmachen, es sind
Kreuz- und Querzüge eines geistvollen, gebildeten und gelehrten Wanderers, die
vielleicht gerade durch ihre graciöse Formlosigkeit einen neuen Reiz gewinnen.
Anders ist es mit den „Päpsten," dem Höchsten, was Ranke geleistet. Hier ha¬
ben wir ein vollendetes, classisches Kunstwerk.

Das großartigste Studium unbekannter Handschriften in den Archiven der
vornehmsten italienischen Städte und den Privatbibliotheken der großen römischen
Familien gaben Ranke ein überreiches Material für diese Geschichte, die bis dahin
uoch keine einigermaßen befriedigende Darstellung gesunden hatte, weil bei allen
Schriftstellern, die sich daran gewagt, Haß oder Liebe, Absehen oder Enthusiasmus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/415>, abgerufen am 01.09.2024.