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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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der Handschriften angewendet, die Ranke als Nachtrag zu seinen beiden größern
Werken geliefert hat.

Das größte Interesse hat in diesem kleinen Bande offenbar die Charakteristik
Macchiavelli's, dieses räthselhaften Staatsmannes, an dessen Widersprüchen sich
Philosophen und Historiker, namentlich in Deutschland, ohne Ende abgemüht haben.
Wenn mau ihn früher als Urheber jener abscheulichen Politik, die er darstellte,
verabscheute, so suchte man bei genauerer Erwägung seines gesammten Lebens und
Wirkens nicht nur einen vollendeten Staatsmann, sondern auch einen erhabenen
Patrioten aus ihm zu macheu. Es war namentlich Fichte, der zuerst mit großer
Energie diesen Gesichtspunkt festhielt; er habe nur zur Heilung der furchtbaren
Knechtschaft, in welcher Italien schmachtete, ein furchtbares Mittel vorgeschlagen;
ganz Italien uuter einem eingebornen, entschlossenen Tyrannen zu vereinigen, um
die Barbaren mit gemeinsamen Kräften zu vertilgen. So blendend diese Hypothese
beim ersten Anblick auf uns wirkt, so kommt sie uns doch bald gezwungen und
erkünstelt vor. Von andern Auffassungen, z. B. der bekannten, den "Principe" für
eine Ironie gegen den Despotismus auszugeben, will ich ganz schweigen.

Das Schiefe in all' diesen Versuchen lag darin, daß man mit Gewalt in das
Gesammtwirken Macchiavelli's eine allgemeine leitende ethische Idee zu bringen
suchte. Ranke geht anders zu Werke; er faßt das Problem nicht als ein ethisches,
sondern als ein psychologisches. Er betrachtet das bewegte, wechselnde Leben des
Staatsmannes und Schriftstellers, folgt ihm in seine Wünsche, HoFnnngen und
Sorgen, wie sie grade durch die augenblicklichen Zeitumstände auf ihn eindrangen,
und so findet sich, daß Alles, wenn auch nicht grade idealisch, doch natürlich bei
ihm zugegangen sei. Mit sicherem Takt hebt er in deu zerstreuten Bemerkungen
Macchiavelli's, z. B. den "Discorst", zu denen es wohl am schwierigsten ist, einen
Leitfaden zu finden, dasjenige heraus, worauf es ankommt. Jenes berüchtigte Buch
wird so nicht das letzte Resultat eines philosophisch-politischen Studiums, sondern der
bittere Ausbruch eines in seinen besten Ansprüchen und Erwartungen getäuschten
Herzens, eiues rastlosen, unbefriedigten Ehrgeizes, und eines Unmuthes, der nun
auch jede Rücksicht von sich wirft.

Ich kann mich nicht enthalten, beiläufig auf das Urtheil eines zu sehr ver¬
gessenen Schriftstellers aufmerksam zu machen, Valentin Andrea, dessen gesundes
Ange schon in so früher Zeit insofern das Nichtige erkannte, als er in Macchia-
velli nicht den Leiter, sondern den Ausdruck seiner Zeit fand.

Wenn schon in diesem ersten Werk Ranke's das Bemühen ersichtlich war, so
viel es sich vermeiden ließ, nichts zu sagen, was man schon anderwärts her erfah¬
ren konnte, was nach Ranke's Lieblingsausdruck "Jedermann wußte"; wenn diesem
Bemühen, das vollständig seinen Zweck doch nie erreichen kann, namentlich bei der
Charakteristik der Schriftsteller die Vollständigkeit geopfert war, die häufig sehr


der Handschriften angewendet, die Ranke als Nachtrag zu seinen beiden größern
Werken geliefert hat.

Das größte Interesse hat in diesem kleinen Bande offenbar die Charakteristik
Macchiavelli's, dieses räthselhaften Staatsmannes, an dessen Widersprüchen sich
Philosophen und Historiker, namentlich in Deutschland, ohne Ende abgemüht haben.
Wenn mau ihn früher als Urheber jener abscheulichen Politik, die er darstellte,
verabscheute, so suchte man bei genauerer Erwägung seines gesammten Lebens und
Wirkens nicht nur einen vollendeten Staatsmann, sondern auch einen erhabenen
Patrioten aus ihm zu macheu. Es war namentlich Fichte, der zuerst mit großer
Energie diesen Gesichtspunkt festhielt; er habe nur zur Heilung der furchtbaren
Knechtschaft, in welcher Italien schmachtete, ein furchtbares Mittel vorgeschlagen;
ganz Italien uuter einem eingebornen, entschlossenen Tyrannen zu vereinigen, um
die Barbaren mit gemeinsamen Kräften zu vertilgen. So blendend diese Hypothese
beim ersten Anblick auf uns wirkt, so kommt sie uns doch bald gezwungen und
erkünstelt vor. Von andern Auffassungen, z. B. der bekannten, den „Principe" für
eine Ironie gegen den Despotismus auszugeben, will ich ganz schweigen.

Das Schiefe in all' diesen Versuchen lag darin, daß man mit Gewalt in das
Gesammtwirken Macchiavelli's eine allgemeine leitende ethische Idee zu bringen
suchte. Ranke geht anders zu Werke; er faßt das Problem nicht als ein ethisches,
sondern als ein psychologisches. Er betrachtet das bewegte, wechselnde Leben des
Staatsmannes und Schriftstellers, folgt ihm in seine Wünsche, HoFnnngen und
Sorgen, wie sie grade durch die augenblicklichen Zeitumstände auf ihn eindrangen,
und so findet sich, daß Alles, wenn auch nicht grade idealisch, doch natürlich bei
ihm zugegangen sei. Mit sicherem Takt hebt er in deu zerstreuten Bemerkungen
Macchiavelli's, z. B. den „Discorst", zu denen es wohl am schwierigsten ist, einen
Leitfaden zu finden, dasjenige heraus, worauf es ankommt. Jenes berüchtigte Buch
wird so nicht das letzte Resultat eines philosophisch-politischen Studiums, sondern der
bittere Ausbruch eines in seinen besten Ansprüchen und Erwartungen getäuschten
Herzens, eiues rastlosen, unbefriedigten Ehrgeizes, und eines Unmuthes, der nun
auch jede Rücksicht von sich wirft.

Ich kann mich nicht enthalten, beiläufig auf das Urtheil eines zu sehr ver¬
gessenen Schriftstellers aufmerksam zu machen, Valentin Andrea, dessen gesundes
Ange schon in so früher Zeit insofern das Nichtige erkannte, als er in Macchia-
velli nicht den Leiter, sondern den Ausdruck seiner Zeit fand.

Wenn schon in diesem ersten Werk Ranke's das Bemühen ersichtlich war, so
viel es sich vermeiden ließ, nichts zu sagen, was man schon anderwärts her erfah¬
ren konnte, was nach Ranke's Lieblingsausdruck „Jedermann wußte"; wenn diesem
Bemühen, das vollständig seinen Zweck doch nie erreichen kann, namentlich bei der
Charakteristik der Schriftsteller die Vollständigkeit geopfert war, die häufig sehr


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[0412] der Handschriften angewendet, die Ranke als Nachtrag zu seinen beiden größern Werken geliefert hat. Das größte Interesse hat in diesem kleinen Bande offenbar die Charakteristik Macchiavelli's, dieses räthselhaften Staatsmannes, an dessen Widersprüchen sich Philosophen und Historiker, namentlich in Deutschland, ohne Ende abgemüht haben. Wenn mau ihn früher als Urheber jener abscheulichen Politik, die er darstellte, verabscheute, so suchte man bei genauerer Erwägung seines gesammten Lebens und Wirkens nicht nur einen vollendeten Staatsmann, sondern auch einen erhabenen Patrioten aus ihm zu macheu. Es war namentlich Fichte, der zuerst mit großer Energie diesen Gesichtspunkt festhielt; er habe nur zur Heilung der furchtbaren Knechtschaft, in welcher Italien schmachtete, ein furchtbares Mittel vorgeschlagen; ganz Italien uuter einem eingebornen, entschlossenen Tyrannen zu vereinigen, um die Barbaren mit gemeinsamen Kräften zu vertilgen. So blendend diese Hypothese beim ersten Anblick auf uns wirkt, so kommt sie uns doch bald gezwungen und erkünstelt vor. Von andern Auffassungen, z. B. der bekannten, den „Principe" für eine Ironie gegen den Despotismus auszugeben, will ich ganz schweigen. Das Schiefe in all' diesen Versuchen lag darin, daß man mit Gewalt in das Gesammtwirken Macchiavelli's eine allgemeine leitende ethische Idee zu bringen suchte. Ranke geht anders zu Werke; er faßt das Problem nicht als ein ethisches, sondern als ein psychologisches. Er betrachtet das bewegte, wechselnde Leben des Staatsmannes und Schriftstellers, folgt ihm in seine Wünsche, HoFnnngen und Sorgen, wie sie grade durch die augenblicklichen Zeitumstände auf ihn eindrangen, und so findet sich, daß Alles, wenn auch nicht grade idealisch, doch natürlich bei ihm zugegangen sei. Mit sicherem Takt hebt er in deu zerstreuten Bemerkungen Macchiavelli's, z. B. den „Discorst", zu denen es wohl am schwierigsten ist, einen Leitfaden zu finden, dasjenige heraus, worauf es ankommt. Jenes berüchtigte Buch wird so nicht das letzte Resultat eines philosophisch-politischen Studiums, sondern der bittere Ausbruch eines in seinen besten Ansprüchen und Erwartungen getäuschten Herzens, eiues rastlosen, unbefriedigten Ehrgeizes, und eines Unmuthes, der nun auch jede Rücksicht von sich wirft. Ich kann mich nicht enthalten, beiläufig auf das Urtheil eines zu sehr ver¬ gessenen Schriftstellers aufmerksam zu machen, Valentin Andrea, dessen gesundes Ange schon in so früher Zeit insofern das Nichtige erkannte, als er in Macchia- velli nicht den Leiter, sondern den Ausdruck seiner Zeit fand. Wenn schon in diesem ersten Werk Ranke's das Bemühen ersichtlich war, so viel es sich vermeiden ließ, nichts zu sagen, was man schon anderwärts her erfah¬ ren konnte, was nach Ranke's Lieblingsausdruck „Jedermann wußte"; wenn diesem Bemühen, das vollständig seinen Zweck doch nie erreichen kann, namentlich bei der Charakteristik der Schriftsteller die Vollständigkeit geopfert war, die häufig sehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/412>, abgerufen am 01.09.2024.