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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Seine Reisen, so wie der Ruf seiner Gelehrsamkeit haben ihn in die höchsten
Kreise der Gesellschaft eingeführt. Im Umgang ist er beweglich, aufgeweckt, schil¬
lernd und mannigfaltig wie in seinem Vortrag. Auch in die gewöhnlichsten Ge¬
genstände weiß er ein originelles Interesse hineinzulegen; er begnügt sich nie mit
einem allgemeinen Urtheil. Einzelne Wendungen seines Styls finden darin ihre
Erklärung, z. B. das häufig angebrachte "doch," das aus einer Opposition gegen
das triviale Urtheil der Menge, zuletzt eine bloße Angewohnheit geworden ist.

Wir gehen nun zu seiner eigentlich literarischen Wirksamkeit über.

Seine Werke sind der Reihe nach folgende. 1824 erschien der I.Band einer
"Geschichte der romanischen und germanischen Völkerschaften von 1494--1535,"
dem aber keine weitere Fortsetzung folgte. Dagegen schloß sich in demselben Jahre
ein kleines Schriftchen an: "Zur Kritik neuerer Geschichtschreiber." Dann erschien
1827: "Fürsten und Völker voie Südeuropa im 16. und 17. Jahrhundert," und
als Fortsetzung desselben 1834 -- 37: "Die römischen Päpste, ihre Kirche und ihr
Staat im 16. und 17. Jahrhundert" in 3 Bänden. Dazwischen fallen noch einige
kleinere historische Schriften: "Die serbische Revolution" 1829, und "Die Ver¬
schwörung gegen Venedig im Jahr 1618," 1831. Dann folgte seit 1839 ein grö¬
ßeres Werk: "Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation" in 5 Bänden.
So eben ist der erste Band seines neuesten Werks erschienen: "Neun Bücher
Preußischer Geschichte," von dem die beiden übrigen Bände in kurzem folgen
sollen. Von seiner politisch-literarischen Wirksamkeit zu sprechen, werde ich später
Gelegenheit nehmen.

Das erste der von uns "genannten Werke ist eigentlich nur als eine Vorarbeit
zu betrachten. Es ist bemerkenswerth, daß mit Ausnahme seiner letzten Schrift
die productive Thätigkeit sich fast ausschließlich auf das 16. und 17. Jahrhundert
bezieht, die Zeit der Wiedergeburt für den menschlichen Geist. Außer den übrigen
großen Umwälzungen, die das Mittelalter von der neuen Zeit sondern, fällt zu¬
nächst in's Auge, daß auch die Kunst der Geschichtschreibung in dieser Zeit eine
neue Aera beginnt. Die Geschichtschreibung selbst ist wenigstens in der Regel
nicht die Verkünderin einer neuen Zeit, sondern der Abschluß der alten. So ha¬
ben wir auch die großen Geschichtschreiber im Anfang des 16. Jahrhunderts anf-
Mfassen, einen Macchiavelli, Guicciardini u. s. w. Jene Schrift ist eigentlich
kritisch gegen die Art und Weise jener bisher als Muster angestaunten Werke ge¬
richtet. Aus dieser Kritik wird sich am Klarsten ergeben, wie Ranke sein eignes
Verhältniß zur Geschichte auffaßt, und darum ist uus die kleine "Kritik neuerer
Geschichtschreiber" bei weitem wichtiger, als das Werk selbst, dem sie nur als
Anhang dienen sollte.

Jene Geschichtschreiber gehörten nicht nur zu den gebildetsten Männern der
damaligen Zeit, sie waren auch wesentlich bei den politischen Verhältnissen ihres
Landes betheiligt. Erfüllt von dem Studium der classischen Schriftsteller -- deren


53*

Seine Reisen, so wie der Ruf seiner Gelehrsamkeit haben ihn in die höchsten
Kreise der Gesellschaft eingeführt. Im Umgang ist er beweglich, aufgeweckt, schil¬
lernd und mannigfaltig wie in seinem Vortrag. Auch in die gewöhnlichsten Ge¬
genstände weiß er ein originelles Interesse hineinzulegen; er begnügt sich nie mit
einem allgemeinen Urtheil. Einzelne Wendungen seines Styls finden darin ihre
Erklärung, z. B. das häufig angebrachte „doch," das aus einer Opposition gegen
das triviale Urtheil der Menge, zuletzt eine bloße Angewohnheit geworden ist.

Wir gehen nun zu seiner eigentlich literarischen Wirksamkeit über.

Seine Werke sind der Reihe nach folgende. 1824 erschien der I.Band einer
„Geschichte der romanischen und germanischen Völkerschaften von 1494—1535,"
dem aber keine weitere Fortsetzung folgte. Dagegen schloß sich in demselben Jahre
ein kleines Schriftchen an: „Zur Kritik neuerer Geschichtschreiber." Dann erschien
1827: „Fürsten und Völker voie Südeuropa im 16. und 17. Jahrhundert," und
als Fortsetzung desselben 1834 — 37: „Die römischen Päpste, ihre Kirche und ihr
Staat im 16. und 17. Jahrhundert" in 3 Bänden. Dazwischen fallen noch einige
kleinere historische Schriften: „Die serbische Revolution" 1829, und „Die Ver¬
schwörung gegen Venedig im Jahr 1618," 1831. Dann folgte seit 1839 ein grö¬
ßeres Werk: „Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation" in 5 Bänden.
So eben ist der erste Band seines neuesten Werks erschienen: „Neun Bücher
Preußischer Geschichte," von dem die beiden übrigen Bände in kurzem folgen
sollen. Von seiner politisch-literarischen Wirksamkeit zu sprechen, werde ich später
Gelegenheit nehmen.

Das erste der von uns "genannten Werke ist eigentlich nur als eine Vorarbeit
zu betrachten. Es ist bemerkenswerth, daß mit Ausnahme seiner letzten Schrift
die productive Thätigkeit sich fast ausschließlich auf das 16. und 17. Jahrhundert
bezieht, die Zeit der Wiedergeburt für den menschlichen Geist. Außer den übrigen
großen Umwälzungen, die das Mittelalter von der neuen Zeit sondern, fällt zu¬
nächst in's Auge, daß auch die Kunst der Geschichtschreibung in dieser Zeit eine
neue Aera beginnt. Die Geschichtschreibung selbst ist wenigstens in der Regel
nicht die Verkünderin einer neuen Zeit, sondern der Abschluß der alten. So ha¬
ben wir auch die großen Geschichtschreiber im Anfang des 16. Jahrhunderts anf-
Mfassen, einen Macchiavelli, Guicciardini u. s. w. Jene Schrift ist eigentlich
kritisch gegen die Art und Weise jener bisher als Muster angestaunten Werke ge¬
richtet. Aus dieser Kritik wird sich am Klarsten ergeben, wie Ranke sein eignes
Verhältniß zur Geschichte auffaßt, und darum ist uus die kleine „Kritik neuerer
Geschichtschreiber" bei weitem wichtiger, als das Werk selbst, dem sie nur als
Anhang dienen sollte.

Jene Geschichtschreiber gehörten nicht nur zu den gebildetsten Männern der
damaligen Zeit, sie waren auch wesentlich bei den politischen Verhältnissen ihres
Landes betheiligt. Erfüllt von dem Studium der classischen Schriftsteller — deren


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[0409] Seine Reisen, so wie der Ruf seiner Gelehrsamkeit haben ihn in die höchsten Kreise der Gesellschaft eingeführt. Im Umgang ist er beweglich, aufgeweckt, schil¬ lernd und mannigfaltig wie in seinem Vortrag. Auch in die gewöhnlichsten Ge¬ genstände weiß er ein originelles Interesse hineinzulegen; er begnügt sich nie mit einem allgemeinen Urtheil. Einzelne Wendungen seines Styls finden darin ihre Erklärung, z. B. das häufig angebrachte „doch," das aus einer Opposition gegen das triviale Urtheil der Menge, zuletzt eine bloße Angewohnheit geworden ist. Wir gehen nun zu seiner eigentlich literarischen Wirksamkeit über. Seine Werke sind der Reihe nach folgende. 1824 erschien der I.Band einer „Geschichte der romanischen und germanischen Völkerschaften von 1494—1535," dem aber keine weitere Fortsetzung folgte. Dagegen schloß sich in demselben Jahre ein kleines Schriftchen an: „Zur Kritik neuerer Geschichtschreiber." Dann erschien 1827: „Fürsten und Völker voie Südeuropa im 16. und 17. Jahrhundert," und als Fortsetzung desselben 1834 — 37: „Die römischen Päpste, ihre Kirche und ihr Staat im 16. und 17. Jahrhundert" in 3 Bänden. Dazwischen fallen noch einige kleinere historische Schriften: „Die serbische Revolution" 1829, und „Die Ver¬ schwörung gegen Venedig im Jahr 1618," 1831. Dann folgte seit 1839 ein grö¬ ßeres Werk: „Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation" in 5 Bänden. So eben ist der erste Band seines neuesten Werks erschienen: „Neun Bücher Preußischer Geschichte," von dem die beiden übrigen Bände in kurzem folgen sollen. Von seiner politisch-literarischen Wirksamkeit zu sprechen, werde ich später Gelegenheit nehmen. Das erste der von uns "genannten Werke ist eigentlich nur als eine Vorarbeit zu betrachten. Es ist bemerkenswerth, daß mit Ausnahme seiner letzten Schrift die productive Thätigkeit sich fast ausschließlich auf das 16. und 17. Jahrhundert bezieht, die Zeit der Wiedergeburt für den menschlichen Geist. Außer den übrigen großen Umwälzungen, die das Mittelalter von der neuen Zeit sondern, fällt zu¬ nächst in's Auge, daß auch die Kunst der Geschichtschreibung in dieser Zeit eine neue Aera beginnt. Die Geschichtschreibung selbst ist wenigstens in der Regel nicht die Verkünderin einer neuen Zeit, sondern der Abschluß der alten. So ha¬ ben wir auch die großen Geschichtschreiber im Anfang des 16. Jahrhunderts anf- Mfassen, einen Macchiavelli, Guicciardini u. s. w. Jene Schrift ist eigentlich kritisch gegen die Art und Weise jener bisher als Muster angestaunten Werke ge¬ richtet. Aus dieser Kritik wird sich am Klarsten ergeben, wie Ranke sein eignes Verhältniß zur Geschichte auffaßt, und darum ist uus die kleine „Kritik neuerer Geschichtschreiber" bei weitem wichtiger, als das Werk selbst, dem sie nur als Anhang dienen sollte. Jene Geschichtschreiber gehörten nicht nur zu den gebildetsten Männern der damaligen Zeit, sie waren auch wesentlich bei den politischen Verhältnissen ihres Landes betheiligt. Erfüllt von dem Studium der classischen Schriftsteller — deren 53*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/409>, abgerufen am 01.09.2024.