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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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lasse gegen seine historische Einsicht; aber eben so wenig, daß man diesen Um¬
stand aus den Augen lasse, er gehört auch zur Charakteristik des Historikers.

Ein Gesammtbild von seiner literarischen Thätigkeit zu geben, scheint wohl an
der Zeit; Ranke ist jetzt in dein Stadium seines Lebens, wo man zwar noch un¬
ausgesetzt fortgehende Bildung, aber nicht mehr eine wesentliche Umgestaltung er¬
warten kaun. Sein neuestes, so eben erschienenes Werk über die preußische Ge¬
schichte fordert außerdem noch zu einer Beurtheilung auf.

Ranke, ein geborner Thüringer (zu Wiese, am 21. December 1795), ist jetzt
52 Jahr alt und bereits seit 22 Jahren Professor zu Berlin. Er wurde im Jahr
1825 dahin berufen, auf Grund seines ersten historischen Werks: "Geschichte der
romanischen und germanischen Völkerschaften von 1494 --1535." Vorher war er
Oberlehrer am Gymnasium zu Frankfurt a. d. O.

Zum Verständniß seiner Schriften wird uns eine Skizze seiner Persönlichkeit
behülflich sein. Vor dem gedrängtesten Auditorium, das sich überhaupt in Berlin
zusammenfindet -- eine große Menge Gardeoffiziere und überhaupt Männer ans allen
Ständen, geben dem gewöhnlichen Universitätspubliknm eine größere Abwechselung --
sitzt oder steht ein unbillig kleiner Mann mit schwarzem Haar und schwarzen funkelnden
Augen. Obgleich in dem weiten Saal eine Stille herrscht, daß man das Fallen
einer Feder hören könnte, vernimmt man doch zu Aufang von dem Redner wenig.
Einige dumpf und unverständlich herausgestvßene Laute, das ist Alles. Dagegen
arbeitet es in seinen Augen, die nach dem Plafond gerichtet sind und die be¬
ständig zucken, in einer heftigen Gährung; der dünne, feine Mund vibrirt unaus¬
gesetzt, Gesicht und Körper ist in einer unruhigen Bewegung. Plötzlich schnellt
er vom Sitz in die Höhe und wieder zurück, aus dem Zucken seiner Augen wird
ein scharfer, durchdringender Blick, und mit einer Volubilität, die etwas Unbe¬
greifliches hat, drängt sich das vorher concipirte Bild in seiner Rede heraus.
Dabei bleibt es nicht; der Gegenstand wird - ° geistig wie Physisch -- von den
verschiedenartigsten Gesichtspunkten betrachtet, und bei jeder neuen Wendung blitzt
ein neuer, überraschender, geistvoller Einfall hervor. Dab.el ist der ganzen Dar¬
stellung ein gewisses Wohlwollen aufgeprägt, es ist nicht der Ausdruck aristokra¬
tischer Abgeschlossenheit und Indifferenz, der seine Objectivität charakterisirt; es
ist die Freude am Gegenständlichen, am Seienden überhaupt; das unmittelbare
Interesse am Stoff, wie er da ist.

Dies Wohlwollen zeichnet Ranke auch in seinem persönlichen Umgang, wie
namentlich in seiner pädagogischen Wirksamkeit aus. Nie war ein Mann zugleich
arbeitsamer und zugänglicher. Als Leiter des von ihm gegründeten historischen
Seminars, wendet er seine besten Kräfte der Bildung aufstrebender junger Män-
ner zu, aus deren Zahl schon manche tüchtige Kraft hervorgegangen ist; wir er¬
innern hier nur an die Annalen des deutschen Reichs unter den Ottonen, die unter
Ranke's Leitung von vier jungen Gelehrten herausgegeben wurden.


lasse gegen seine historische Einsicht; aber eben so wenig, daß man diesen Um¬
stand aus den Augen lasse, er gehört auch zur Charakteristik des Historikers.

Ein Gesammtbild von seiner literarischen Thätigkeit zu geben, scheint wohl an
der Zeit; Ranke ist jetzt in dein Stadium seines Lebens, wo man zwar noch un¬
ausgesetzt fortgehende Bildung, aber nicht mehr eine wesentliche Umgestaltung er¬
warten kaun. Sein neuestes, so eben erschienenes Werk über die preußische Ge¬
schichte fordert außerdem noch zu einer Beurtheilung auf.

Ranke, ein geborner Thüringer (zu Wiese, am 21. December 1795), ist jetzt
52 Jahr alt und bereits seit 22 Jahren Professor zu Berlin. Er wurde im Jahr
1825 dahin berufen, auf Grund seines ersten historischen Werks: „Geschichte der
romanischen und germanischen Völkerschaften von 1494 —1535." Vorher war er
Oberlehrer am Gymnasium zu Frankfurt a. d. O.

Zum Verständniß seiner Schriften wird uns eine Skizze seiner Persönlichkeit
behülflich sein. Vor dem gedrängtesten Auditorium, das sich überhaupt in Berlin
zusammenfindet — eine große Menge Gardeoffiziere und überhaupt Männer ans allen
Ständen, geben dem gewöhnlichen Universitätspubliknm eine größere Abwechselung —
sitzt oder steht ein unbillig kleiner Mann mit schwarzem Haar und schwarzen funkelnden
Augen. Obgleich in dem weiten Saal eine Stille herrscht, daß man das Fallen
einer Feder hören könnte, vernimmt man doch zu Aufang von dem Redner wenig.
Einige dumpf und unverständlich herausgestvßene Laute, das ist Alles. Dagegen
arbeitet es in seinen Augen, die nach dem Plafond gerichtet sind und die be¬
ständig zucken, in einer heftigen Gährung; der dünne, feine Mund vibrirt unaus¬
gesetzt, Gesicht und Körper ist in einer unruhigen Bewegung. Plötzlich schnellt
er vom Sitz in die Höhe und wieder zurück, aus dem Zucken seiner Augen wird
ein scharfer, durchdringender Blick, und mit einer Volubilität, die etwas Unbe¬
greifliches hat, drängt sich das vorher concipirte Bild in seiner Rede heraus.
Dabei bleibt es nicht; der Gegenstand wird - ° geistig wie Physisch — von den
verschiedenartigsten Gesichtspunkten betrachtet, und bei jeder neuen Wendung blitzt
ein neuer, überraschender, geistvoller Einfall hervor. Dab.el ist der ganzen Dar¬
stellung ein gewisses Wohlwollen aufgeprägt, es ist nicht der Ausdruck aristokra¬
tischer Abgeschlossenheit und Indifferenz, der seine Objectivität charakterisirt; es
ist die Freude am Gegenständlichen, am Seienden überhaupt; das unmittelbare
Interesse am Stoff, wie er da ist.

Dies Wohlwollen zeichnet Ranke auch in seinem persönlichen Umgang, wie
namentlich in seiner pädagogischen Wirksamkeit aus. Nie war ein Mann zugleich
arbeitsamer und zugänglicher. Als Leiter des von ihm gegründeten historischen
Seminars, wendet er seine besten Kräfte der Bildung aufstrebender junger Män-
ner zu, aus deren Zahl schon manche tüchtige Kraft hervorgegangen ist; wir er¬
innern hier nur an die Annalen des deutschen Reichs unter den Ottonen, die unter
Ranke's Leitung von vier jungen Gelehrten herausgegeben wurden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/408>, abgerufen am 01.09.2024.