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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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hat, nimmt er es mit drei Kerlen auf, aber obgleich von allen Schelmen
wohlbekannt und blutig gehaßt, geht er doch bei Regenwetter nur mit dem
Regenschirm aus, und durchstreicht so die finstersten und entlegensten Stra¬
ßen. Blasse Furcht hat noch nie an Cyriak's Herz gepocht. Sein Haupt¬
vortheil besteht darin, daß er nie überrascht wird; mit dem Ohr eines Ti¬
gers hört und erkennt er auf hundert Schritt den leisesten Tritt, seine klei¬
nen stechenden Augen durchdringen die schwärzeste Nacht, und erschauen in
der Seele des gegenüberstehenden Feindes jede Bewegung, die er macheu
will und welcher momentane Gedanke ihn durchzuckt.

Cyriak hat schon oft Geld und Leben daran gesetzt, eine verbrecherische
That ans dem Dunkel zu ziehen, Missethäter, die lange der Rache des Ge¬
setzes entgingen, beim Kragen zu fassen. Er war oft Wochen laug auf der
Fährte des Wildes und verfolgte dessen Spur Meilen weit durch Städte
und Comitate. Er trägt Namen und Personbeschrcibnng von Hunderten ver¬
dächtiger Individuell in seinem Taschenbuch und ist vollkommen bekannt mit
ihrer Familie und Lebensweise, ihren Charakteren und Liebschaften.

Und was treibt diesem Mann mit solcher Ausdauer und Verwegenheit
hinter Schelmen und Gaunern her? Es ist dies weniger Gewinnsucht als
sein eigenthümliches Geschick. Als Cyriak noch unter dem Herzen der Mut¬
ter ruhte, wurde, wenn auch nicht sein Beruf, doch die vorherrschende Nei¬
gung und das Talent dazu vom Schicksal bestimmt.

Cyriak war der Sohn^eines fleißigen Tischlers in einem Landstädtchen.
Dieser ernährte sich ziemlich gut und legte sogar einige Ersparnisse zurück,
obgleich er drei Kinder hatte. Als seine Fran in der Hoffnung war, ein
viertes in die Welt zu setzen, wurde sie sehr nachdenklich. Mein Mann,
dachte sie, kann eines Tages sich die Hand verletzen und arbeitsunfähig wer¬
den, was werden wir dann mit unsern vier Kindern anfangen?

War es böse Ahnung oder der Zuwachs der Familie, was die Frau
auf so trübselige Gedanken brachte, aber sie konnte sich während der ganzen
Schwangerschaft trauriger Sorgen nicht entschlagen. Die düstern Vorgefühle
der Tischlcrin sollten sich leider in noch viel schlimmerer Weise bald erfüllen.
In einer stürmischen Herbstnacht schlichen fünf starke bärtige Kerle um das
Häuschen des Tischlers. Sie machten sich wenig aus dem eisigen Regen,
der ihre rauhen Gesichter peitschte und selbst den Schafpelz durchdrang, der
ihre stämmigen Glieder deckte. Der Sturm, der Regen jagte doch auch
alles Lebende ans den Straßen und übertönte das Geräusch der brechenden
Gitterstäbe am Fenster des Tischlerhäuschens.

Der Tischler und sein Weib erwachten nicht eher, als bis die fünf


hat, nimmt er es mit drei Kerlen auf, aber obgleich von allen Schelmen
wohlbekannt und blutig gehaßt, geht er doch bei Regenwetter nur mit dem
Regenschirm aus, und durchstreicht so die finstersten und entlegensten Stra¬
ßen. Blasse Furcht hat noch nie an Cyriak's Herz gepocht. Sein Haupt¬
vortheil besteht darin, daß er nie überrascht wird; mit dem Ohr eines Ti¬
gers hört und erkennt er auf hundert Schritt den leisesten Tritt, seine klei¬
nen stechenden Augen durchdringen die schwärzeste Nacht, und erschauen in
der Seele des gegenüberstehenden Feindes jede Bewegung, die er macheu
will und welcher momentane Gedanke ihn durchzuckt.

Cyriak hat schon oft Geld und Leben daran gesetzt, eine verbrecherische
That ans dem Dunkel zu ziehen, Missethäter, die lange der Rache des Ge¬
setzes entgingen, beim Kragen zu fassen. Er war oft Wochen laug auf der
Fährte des Wildes und verfolgte dessen Spur Meilen weit durch Städte
und Comitate. Er trägt Namen und Personbeschrcibnng von Hunderten ver¬
dächtiger Individuell in seinem Taschenbuch und ist vollkommen bekannt mit
ihrer Familie und Lebensweise, ihren Charakteren und Liebschaften.

Und was treibt diesem Mann mit solcher Ausdauer und Verwegenheit
hinter Schelmen und Gaunern her? Es ist dies weniger Gewinnsucht als
sein eigenthümliches Geschick. Als Cyriak noch unter dem Herzen der Mut¬
ter ruhte, wurde, wenn auch nicht sein Beruf, doch die vorherrschende Nei¬
gung und das Talent dazu vom Schicksal bestimmt.

Cyriak war der Sohn^eines fleißigen Tischlers in einem Landstädtchen.
Dieser ernährte sich ziemlich gut und legte sogar einige Ersparnisse zurück,
obgleich er drei Kinder hatte. Als seine Fran in der Hoffnung war, ein
viertes in die Welt zu setzen, wurde sie sehr nachdenklich. Mein Mann,
dachte sie, kann eines Tages sich die Hand verletzen und arbeitsunfähig wer¬
den, was werden wir dann mit unsern vier Kindern anfangen?

War es böse Ahnung oder der Zuwachs der Familie, was die Frau
auf so trübselige Gedanken brachte, aber sie konnte sich während der ganzen
Schwangerschaft trauriger Sorgen nicht entschlagen. Die düstern Vorgefühle
der Tischlcrin sollten sich leider in noch viel schlimmerer Weise bald erfüllen.
In einer stürmischen Herbstnacht schlichen fünf starke bärtige Kerle um das
Häuschen des Tischlers. Sie machten sich wenig aus dem eisigen Regen,
der ihre rauhen Gesichter peitschte und selbst den Schafpelz durchdrang, der
ihre stämmigen Glieder deckte. Der Sturm, der Regen jagte doch auch
alles Lebende ans den Straßen und übertönte das Geräusch der brechenden
Gitterstäbe am Fenster des Tischlerhäuschens.

Der Tischler und sein Weib erwachten nicht eher, als bis die fünf


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[0384] hat, nimmt er es mit drei Kerlen auf, aber obgleich von allen Schelmen wohlbekannt und blutig gehaßt, geht er doch bei Regenwetter nur mit dem Regenschirm aus, und durchstreicht so die finstersten und entlegensten Stra¬ ßen. Blasse Furcht hat noch nie an Cyriak's Herz gepocht. Sein Haupt¬ vortheil besteht darin, daß er nie überrascht wird; mit dem Ohr eines Ti¬ gers hört und erkennt er auf hundert Schritt den leisesten Tritt, seine klei¬ nen stechenden Augen durchdringen die schwärzeste Nacht, und erschauen in der Seele des gegenüberstehenden Feindes jede Bewegung, die er macheu will und welcher momentane Gedanke ihn durchzuckt. Cyriak hat schon oft Geld und Leben daran gesetzt, eine verbrecherische That ans dem Dunkel zu ziehen, Missethäter, die lange der Rache des Ge¬ setzes entgingen, beim Kragen zu fassen. Er war oft Wochen laug auf der Fährte des Wildes und verfolgte dessen Spur Meilen weit durch Städte und Comitate. Er trägt Namen und Personbeschrcibnng von Hunderten ver¬ dächtiger Individuell in seinem Taschenbuch und ist vollkommen bekannt mit ihrer Familie und Lebensweise, ihren Charakteren und Liebschaften. Und was treibt diesem Mann mit solcher Ausdauer und Verwegenheit hinter Schelmen und Gaunern her? Es ist dies weniger Gewinnsucht als sein eigenthümliches Geschick. Als Cyriak noch unter dem Herzen der Mut¬ ter ruhte, wurde, wenn auch nicht sein Beruf, doch die vorherrschende Nei¬ gung und das Talent dazu vom Schicksal bestimmt. Cyriak war der Sohn^eines fleißigen Tischlers in einem Landstädtchen. Dieser ernährte sich ziemlich gut und legte sogar einige Ersparnisse zurück, obgleich er drei Kinder hatte. Als seine Fran in der Hoffnung war, ein viertes in die Welt zu setzen, wurde sie sehr nachdenklich. Mein Mann, dachte sie, kann eines Tages sich die Hand verletzen und arbeitsunfähig wer¬ den, was werden wir dann mit unsern vier Kindern anfangen? War es böse Ahnung oder der Zuwachs der Familie, was die Frau auf so trübselige Gedanken brachte, aber sie konnte sich während der ganzen Schwangerschaft trauriger Sorgen nicht entschlagen. Die düstern Vorgefühle der Tischlcrin sollten sich leider in noch viel schlimmerer Weise bald erfüllen. In einer stürmischen Herbstnacht schlichen fünf starke bärtige Kerle um das Häuschen des Tischlers. Sie machten sich wenig aus dem eisigen Regen, der ihre rauhen Gesichter peitschte und selbst den Schafpelz durchdrang, der ihre stämmigen Glieder deckte. Der Sturm, der Regen jagte doch auch alles Lebende ans den Straßen und übertönte das Geräusch der brechenden Gitterstäbe am Fenster des Tischlerhäuschens. Der Tischler und sein Weib erwachten nicht eher, als bis die fünf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/384>, abgerufen am 01.09.2024.