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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Das Stadthaus erstreckt seine Macht nur auf die Bürgerklasse; alles
was den Namen Edelmann führt, vom höchsten Magnaten bis herab zum
adeligen Bauer" und adeligen Bettler, gehört in den Bereich der Comitats-
behörde. Die städtische Polizei hat wohl das Recht, jeden, der auf öffent¬
lichen Plätzen gegen die Ordnung frevelt, festnehmen zu lassen, unter dem
Vorbehalt, den Edelmann zur Untersuchung und Bestrafung dem Comitat
zu überliefern; doch wagt sie sich nicht leicht an den wohlhabenden Edel¬
mann, und auch gegen den reichern Bürger wird nicht mit jeuer Rücksichts¬
losigkeit verfahren, die das Gesetz erfordert. Das ist überhaupt ein abscheu¬
licher Mißstand in dem Lande, daß Privilegien und Geld überall durchhelfen.
Das Bild der Themis mit den verbundenen Augen dürste in wenig Sälen
ungarischer Jurisdiktion passend sein, und das Gesetz scheint hier mehr als
irgendwo nur für die Armen gemacht. Doch wird das wohl anders werden,
indem die ungarischen Zeitungen solchen Unfug in Stadt und Land bekannt
machen und über die Richter Gericht halten.

Die Polizei der Stadt Pesth besteht ans einer uniformirten Munizipal-
wache, Trabanten genannt, und einer Anzahl Agenten in bürgerlicher Klei¬
dung, die man städtische Commissäre nennt. Die Segnungen einer geheimen
Polizei hat Pesth bis heute uoch nicht erfahren. Der Ehef der Polizei heißt
Stadthauptmanu und wird alle drei Jahre durch die Stadtverordneten neu
gewählt.

Die städtischen Commissäre können sich wohl beliebig bewaffnen, aber sie
tragen kein Abzeichen ihres Berufs. Nur etwa zwanzig von ihnen sind be¬
soldet, die andern leben wie die Naubthiere vom Fang. Diese letztern haben
am meisten zu thun, denn ihr Einkommen hängt von ihren Entdeckungsreisen
ab. Sie erhalten den ausgesetzten Preis für eingebrachte militärische Deser¬
teure und voir Privatleuten entsprechende Geschenke für die Zurückschaffung
entwendeter Gegenstände.

Wie in jedem menschlichen Treiben gibt es auch in diesem Beruf ge-
borne Genies, die alle Berufsgenossen weit hinter sich lassen. Ans meinen
Wanderungen durch die Stadt hatte ich Gelegenheit beim Glas Bier den
Geschicktesten, Kühnsten und Berühmtesten dieses Gewerbes kennen zu lernen.
Nach seinem Aeußern würde Niemand glauben, daß dieser Mann den ge¬
fährlichsten Schelmen nachstellt, in die furchtbarsten Schlupfwinkel der Feinde
öffentlicher Ordnung eindringt. Er ist ein kleiner, fast stutzerhaft gekleideter
Maun, trägt den Hut schief auf dem Kopf, und hat kleine wvhlgcwaschene
Hände. Aber seine kleine Hand ist wie aus Stahl und sein Leib hat die
Kraft und die Festigkeit eines Löwen. Wenn Cyriak seinen Stock bei sich


Das Stadthaus erstreckt seine Macht nur auf die Bürgerklasse; alles
was den Namen Edelmann führt, vom höchsten Magnaten bis herab zum
adeligen Bauer» und adeligen Bettler, gehört in den Bereich der Comitats-
behörde. Die städtische Polizei hat wohl das Recht, jeden, der auf öffent¬
lichen Plätzen gegen die Ordnung frevelt, festnehmen zu lassen, unter dem
Vorbehalt, den Edelmann zur Untersuchung und Bestrafung dem Comitat
zu überliefern; doch wagt sie sich nicht leicht an den wohlhabenden Edel¬
mann, und auch gegen den reichern Bürger wird nicht mit jeuer Rücksichts¬
losigkeit verfahren, die das Gesetz erfordert. Das ist überhaupt ein abscheu¬
licher Mißstand in dem Lande, daß Privilegien und Geld überall durchhelfen.
Das Bild der Themis mit den verbundenen Augen dürste in wenig Sälen
ungarischer Jurisdiktion passend sein, und das Gesetz scheint hier mehr als
irgendwo nur für die Armen gemacht. Doch wird das wohl anders werden,
indem die ungarischen Zeitungen solchen Unfug in Stadt und Land bekannt
machen und über die Richter Gericht halten.

Die Polizei der Stadt Pesth besteht ans einer uniformirten Munizipal-
wache, Trabanten genannt, und einer Anzahl Agenten in bürgerlicher Klei¬
dung, die man städtische Commissäre nennt. Die Segnungen einer geheimen
Polizei hat Pesth bis heute uoch nicht erfahren. Der Ehef der Polizei heißt
Stadthauptmanu und wird alle drei Jahre durch die Stadtverordneten neu
gewählt.

Die städtischen Commissäre können sich wohl beliebig bewaffnen, aber sie
tragen kein Abzeichen ihres Berufs. Nur etwa zwanzig von ihnen sind be¬
soldet, die andern leben wie die Naubthiere vom Fang. Diese letztern haben
am meisten zu thun, denn ihr Einkommen hängt von ihren Entdeckungsreisen
ab. Sie erhalten den ausgesetzten Preis für eingebrachte militärische Deser¬
teure und voir Privatleuten entsprechende Geschenke für die Zurückschaffung
entwendeter Gegenstände.

Wie in jedem menschlichen Treiben gibt es auch in diesem Beruf ge-
borne Genies, die alle Berufsgenossen weit hinter sich lassen. Ans meinen
Wanderungen durch die Stadt hatte ich Gelegenheit beim Glas Bier den
Geschicktesten, Kühnsten und Berühmtesten dieses Gewerbes kennen zu lernen.
Nach seinem Aeußern würde Niemand glauben, daß dieser Mann den ge¬
fährlichsten Schelmen nachstellt, in die furchtbarsten Schlupfwinkel der Feinde
öffentlicher Ordnung eindringt. Er ist ein kleiner, fast stutzerhaft gekleideter
Maun, trägt den Hut schief auf dem Kopf, und hat kleine wvhlgcwaschene
Hände. Aber seine kleine Hand ist wie aus Stahl und sein Leib hat die
Kraft und die Festigkeit eines Löwen. Wenn Cyriak seinen Stock bei sich


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[0383] Das Stadthaus erstreckt seine Macht nur auf die Bürgerklasse; alles was den Namen Edelmann führt, vom höchsten Magnaten bis herab zum adeligen Bauer» und adeligen Bettler, gehört in den Bereich der Comitats- behörde. Die städtische Polizei hat wohl das Recht, jeden, der auf öffent¬ lichen Plätzen gegen die Ordnung frevelt, festnehmen zu lassen, unter dem Vorbehalt, den Edelmann zur Untersuchung und Bestrafung dem Comitat zu überliefern; doch wagt sie sich nicht leicht an den wohlhabenden Edel¬ mann, und auch gegen den reichern Bürger wird nicht mit jeuer Rücksichts¬ losigkeit verfahren, die das Gesetz erfordert. Das ist überhaupt ein abscheu¬ licher Mißstand in dem Lande, daß Privilegien und Geld überall durchhelfen. Das Bild der Themis mit den verbundenen Augen dürste in wenig Sälen ungarischer Jurisdiktion passend sein, und das Gesetz scheint hier mehr als irgendwo nur für die Armen gemacht. Doch wird das wohl anders werden, indem die ungarischen Zeitungen solchen Unfug in Stadt und Land bekannt machen und über die Richter Gericht halten. Die Polizei der Stadt Pesth besteht ans einer uniformirten Munizipal- wache, Trabanten genannt, und einer Anzahl Agenten in bürgerlicher Klei¬ dung, die man städtische Commissäre nennt. Die Segnungen einer geheimen Polizei hat Pesth bis heute uoch nicht erfahren. Der Ehef der Polizei heißt Stadthauptmanu und wird alle drei Jahre durch die Stadtverordneten neu gewählt. Die städtischen Commissäre können sich wohl beliebig bewaffnen, aber sie tragen kein Abzeichen ihres Berufs. Nur etwa zwanzig von ihnen sind be¬ soldet, die andern leben wie die Naubthiere vom Fang. Diese letztern haben am meisten zu thun, denn ihr Einkommen hängt von ihren Entdeckungsreisen ab. Sie erhalten den ausgesetzten Preis für eingebrachte militärische Deser¬ teure und voir Privatleuten entsprechende Geschenke für die Zurückschaffung entwendeter Gegenstände. Wie in jedem menschlichen Treiben gibt es auch in diesem Beruf ge- borne Genies, die alle Berufsgenossen weit hinter sich lassen. Ans meinen Wanderungen durch die Stadt hatte ich Gelegenheit beim Glas Bier den Geschicktesten, Kühnsten und Berühmtesten dieses Gewerbes kennen zu lernen. Nach seinem Aeußern würde Niemand glauben, daß dieser Mann den ge¬ fährlichsten Schelmen nachstellt, in die furchtbarsten Schlupfwinkel der Feinde öffentlicher Ordnung eindringt. Er ist ein kleiner, fast stutzerhaft gekleideter Maun, trägt den Hut schief auf dem Kopf, und hat kleine wvhlgcwaschene Hände. Aber seine kleine Hand ist wie aus Stahl und sein Leib hat die Kraft und die Festigkeit eines Löwen. Wenn Cyriak seinen Stock bei sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/383>, abgerufen am 01.09.2024.