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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Lande wirklich qualvoll ist, und bei einigem Winde die Straßen wie ein
dichter Nebel verfinstert. Diesen unvergleichlichen Staub regt nicht blos
die Stadt selbst auf, sondern er wird von dein anliegenden weiten Nakos-
fcld hereingetragen, wo einst die berühmten Reichstage unter freiem Himmel
gehalten wurden. Die Reichstage haben aufgehört, aber der Staub ist ge¬
blieben und zeigt sein fortwährendes Dasein auf eine äußerst unangenehme
Weise.

Die meisten Fremden beginnen ihre Fahrten durch Pesth von der viel
genannten Donauzeile, denn hier legen die Dampfer an und befinden sich
die besuchtesten Gasthöfe. Eine Menge Straßen münden in diese lange Zeile;
ich hielt meinen Einzug bei der Pfarrkirche. Ich muß hier die Bemerkung
machen, daß Pesth, wie die meisten neuen Städte keine großartigen Kirchen,
keine in den Himmel ragende Thürme hat. In der Bankunst ist bekanntlich
anch der Ausdruck "Styl" üblich, und in dieser Kunst ist wie in allen Künsten
der neuern Zeit die Prosa vorherrschend. Die Baukunst schreibt heutzutage
uicht in die Luft hinein mit Pyramiden, Münstern, Spitzbögen und colossalen
Kuppeln. Der Geist der Gleichheit hat sich auch der Bauten bemächtigt;
das Haus des Bürgers will nichts über sich hervorragen lassen, als höch¬
stens die Schornsteine, dnrch welche der Rauch der bürgerlichen Küche em¬
porsteigt.

Man sieht anch in Pesth, so schön die neuern Bauten sind, kein einzi¬
ges Hans, das den Namen Palast führte, obgleich viele Häuser den Namen
von Kavalieren tragen. Das ist eine seltsame Eigenthümlichkeit dieser Stadt,
daß fast alle größeren Häuser nach den Namen ihrer Besitzer bezeichnet wer¬
den. Diese Gewohnheit rührt von der Zeit her, wo die Häuser hier noch nicht
nummerirt waren, und es ist wirklich zu bewundern, mit welchem erstaun¬
lichen Gedächtniß fast jeder Einwohner angeben kann, wo die vielen also
benannten Häuser aufzufinden find. Ich habe es aus sicherer Quelle, daß
in ganz Pesth auf 4915 Gebäuden sich nicht mehr als drei vierstöckige und
ti2 dreistöckige Häuser befinden. Gegenwärtig wird über drei Stock nicht
mehr gebaut, was ganz den Geist der Zeit entspricht. Die alten Städte
liebten die finstre Oeffentlichkeit der Straßen, die neuern können nicht genug
Licht haben.

Die große Überschwemmung im Jahre 1838 hat wohl viel Unheil an¬
gerichtet, über 2000 Häuser sind damals zusammengestürzt, aber das kräftige
Lebensmoment der ungarischen Hauptstadt fand nur Gelegenheit, sich um so
blühender zu entwickeln. Aus den Ruinen sind prächtige Stadttheile ent¬
standen. Am herrlichsten ist die Leopoldstadt. Sie bildet ein fast regelmä-


Lande wirklich qualvoll ist, und bei einigem Winde die Straßen wie ein
dichter Nebel verfinstert. Diesen unvergleichlichen Staub regt nicht blos
die Stadt selbst auf, sondern er wird von dein anliegenden weiten Nakos-
fcld hereingetragen, wo einst die berühmten Reichstage unter freiem Himmel
gehalten wurden. Die Reichstage haben aufgehört, aber der Staub ist ge¬
blieben und zeigt sein fortwährendes Dasein auf eine äußerst unangenehme
Weise.

Die meisten Fremden beginnen ihre Fahrten durch Pesth von der viel
genannten Donauzeile, denn hier legen die Dampfer an und befinden sich
die besuchtesten Gasthöfe. Eine Menge Straßen münden in diese lange Zeile;
ich hielt meinen Einzug bei der Pfarrkirche. Ich muß hier die Bemerkung
machen, daß Pesth, wie die meisten neuen Städte keine großartigen Kirchen,
keine in den Himmel ragende Thürme hat. In der Bankunst ist bekanntlich
anch der Ausdruck „Styl" üblich, und in dieser Kunst ist wie in allen Künsten
der neuern Zeit die Prosa vorherrschend. Die Baukunst schreibt heutzutage
uicht in die Luft hinein mit Pyramiden, Münstern, Spitzbögen und colossalen
Kuppeln. Der Geist der Gleichheit hat sich auch der Bauten bemächtigt;
das Haus des Bürgers will nichts über sich hervorragen lassen, als höch¬
stens die Schornsteine, dnrch welche der Rauch der bürgerlichen Küche em¬
porsteigt.

Man sieht anch in Pesth, so schön die neuern Bauten sind, kein einzi¬
ges Hans, das den Namen Palast führte, obgleich viele Häuser den Namen
von Kavalieren tragen. Das ist eine seltsame Eigenthümlichkeit dieser Stadt,
daß fast alle größeren Häuser nach den Namen ihrer Besitzer bezeichnet wer¬
den. Diese Gewohnheit rührt von der Zeit her, wo die Häuser hier noch nicht
nummerirt waren, und es ist wirklich zu bewundern, mit welchem erstaun¬
lichen Gedächtniß fast jeder Einwohner angeben kann, wo die vielen also
benannten Häuser aufzufinden find. Ich habe es aus sicherer Quelle, daß
in ganz Pesth auf 4915 Gebäuden sich nicht mehr als drei vierstöckige und
ti2 dreistöckige Häuser befinden. Gegenwärtig wird über drei Stock nicht
mehr gebaut, was ganz den Geist der Zeit entspricht. Die alten Städte
liebten die finstre Oeffentlichkeit der Straßen, die neuern können nicht genug
Licht haben.

Die große Überschwemmung im Jahre 1838 hat wohl viel Unheil an¬
gerichtet, über 2000 Häuser sind damals zusammengestürzt, aber das kräftige
Lebensmoment der ungarischen Hauptstadt fand nur Gelegenheit, sich um so
blühender zu entwickeln. Aus den Ruinen sind prächtige Stadttheile ent¬
standen. Am herrlichsten ist die Leopoldstadt. Sie bildet ein fast regelmä-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/380>, abgerufen am 01.09.2024.