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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Schneidergeschen von Wien, Paris und London. Aber nur im Volke lebt
ein gesunder Sinn, und dieses Volk sieht nicht ein, wozu der Mensch dop¬
pelter Beinkleider bedürfe. Mau muß sich jedoch nicht weiß machen lassen,
das Volk gehe hier in schnöden Unterhosen. Bei einfachen Dingen gibt es
kein Unter und kein Ueber. Wahrhaftig, diese guten Landleute sind zu be¬
neiden in ihrer Einfachheit und in ihrer Verachtung aller krankhaften Be¬
dürfnisse des Luxus, welches Wort, nebenbei gesagt, aus dem Griechischen
stammt und Verkehrtheit bedeutet. Thatsache ist es wohl, Menschen und
Völker ohne Bedürfnisse sind träge und arbeitsscheu, macheu keine Erfindun¬
gen, treiben keinen Welthandel, Hecken keine weitgreifenden Unternehmungen
aus und haben -- kein Geld. Die Negation des Geldes ist freilich ein
positives Unglück, doch" nicht für jeden, Im Grunde ist Geld uur eine
Staatsanweisuug un an-leur, die von den Administratoren aller Gasthäuser,
Dampfboote, Eisenbahnen und Postämter, von jedem Kaufmann, Kellner und
Fiaker honorirt wird. Wer aber all' das nicht braucht, dem ist ein Sou¬
verän nur ein Stück gelben Blechs und eine Banknote nicht mehr als ein
Fidibus. Gewiß, der alte Jean Jaques, welcher behauptete, Kunst und
Wissen hätten die Welt unglücklich gemacht, würde seine Freude an diesen
Naturmenschen haben.

Was einem Fremden ans dieser Assemblee der Donauzeile am meisten
auffällt, das sind die ungeheuren Schnurrbärte, welche das Gesicht des un¬
garischen Landmannes zur Hälfte bedecken. Wenn man Frankreich das Land
der Mode, England die Werkstätte der Industrie, Spanien den Bezirk des
Hochmuthes, Deutschland die Region der Träume nennt, dürfte man Ungarn
das Reich der Schnauze nennen. Der Himmel hat dieses schöne Land in seiner
Liebe mit so vielen Haaren beschenkt, daß alle Kahlköpfe Europa's sich da
mit Verrücken versehen könnten, und es wird noch viel Haare lassen müssen,
bis die Civilisation an seiner Frisur nichts auszusetzen finden wird.

Eine eigene Fa^on haben die Hüte des Landmannes. Sie besitzen nicht
die obligate innere Hohlheit der civilisirten Hüte und schützen das Gesicht
so wenig wie diese vor Sonne und Wetter, dagegen haben sie ringsum die
Krämpen in Gestalt einer breiten Rinne aufgeschlagen, worin sich eine be¬
deutende Last von Schnee und Regenwasser sammeln kann. Diese Einrich¬
tung ist insofern zweckmäßig, als sich der ungarische Landmann nicht genug
an den Druck von oben gewöhnen kann.

Eine zahllose Menge von Lastschiffen liegen längs der ganzen "Donau¬
zeile" vor Anker. Der Fremde, der unsre Rhein- und Elbschiffe kennt, wird
die Form dieser Schisse ziemlich alt finden; so muß wohl die Arche Noah's


Schneidergeschen von Wien, Paris und London. Aber nur im Volke lebt
ein gesunder Sinn, und dieses Volk sieht nicht ein, wozu der Mensch dop¬
pelter Beinkleider bedürfe. Mau muß sich jedoch nicht weiß machen lassen,
das Volk gehe hier in schnöden Unterhosen. Bei einfachen Dingen gibt es
kein Unter und kein Ueber. Wahrhaftig, diese guten Landleute sind zu be¬
neiden in ihrer Einfachheit und in ihrer Verachtung aller krankhaften Be¬
dürfnisse des Luxus, welches Wort, nebenbei gesagt, aus dem Griechischen
stammt und Verkehrtheit bedeutet. Thatsache ist es wohl, Menschen und
Völker ohne Bedürfnisse sind träge und arbeitsscheu, macheu keine Erfindun¬
gen, treiben keinen Welthandel, Hecken keine weitgreifenden Unternehmungen
aus und haben — kein Geld. Die Negation des Geldes ist freilich ein
positives Unglück, doch" nicht für jeden, Im Grunde ist Geld uur eine
Staatsanweisuug un an-leur, die von den Administratoren aller Gasthäuser,
Dampfboote, Eisenbahnen und Postämter, von jedem Kaufmann, Kellner und
Fiaker honorirt wird. Wer aber all' das nicht braucht, dem ist ein Sou¬
verän nur ein Stück gelben Blechs und eine Banknote nicht mehr als ein
Fidibus. Gewiß, der alte Jean Jaques, welcher behauptete, Kunst und
Wissen hätten die Welt unglücklich gemacht, würde seine Freude an diesen
Naturmenschen haben.

Was einem Fremden ans dieser Assemblee der Donauzeile am meisten
auffällt, das sind die ungeheuren Schnurrbärte, welche das Gesicht des un¬
garischen Landmannes zur Hälfte bedecken. Wenn man Frankreich das Land
der Mode, England die Werkstätte der Industrie, Spanien den Bezirk des
Hochmuthes, Deutschland die Region der Träume nennt, dürfte man Ungarn
das Reich der Schnauze nennen. Der Himmel hat dieses schöne Land in seiner
Liebe mit so vielen Haaren beschenkt, daß alle Kahlköpfe Europa's sich da
mit Verrücken versehen könnten, und es wird noch viel Haare lassen müssen,
bis die Civilisation an seiner Frisur nichts auszusetzen finden wird.

Eine eigene Fa^on haben die Hüte des Landmannes. Sie besitzen nicht
die obligate innere Hohlheit der civilisirten Hüte und schützen das Gesicht
so wenig wie diese vor Sonne und Wetter, dagegen haben sie ringsum die
Krämpen in Gestalt einer breiten Rinne aufgeschlagen, worin sich eine be¬
deutende Last von Schnee und Regenwasser sammeln kann. Diese Einrich¬
tung ist insofern zweckmäßig, als sich der ungarische Landmann nicht genug
an den Druck von oben gewöhnen kann.

Eine zahllose Menge von Lastschiffen liegen längs der ganzen „Donau¬
zeile" vor Anker. Der Fremde, der unsre Rhein- und Elbschiffe kennt, wird
die Form dieser Schisse ziemlich alt finden; so muß wohl die Arche Noah's


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[0376] Schneidergeschen von Wien, Paris und London. Aber nur im Volke lebt ein gesunder Sinn, und dieses Volk sieht nicht ein, wozu der Mensch dop¬ pelter Beinkleider bedürfe. Mau muß sich jedoch nicht weiß machen lassen, das Volk gehe hier in schnöden Unterhosen. Bei einfachen Dingen gibt es kein Unter und kein Ueber. Wahrhaftig, diese guten Landleute sind zu be¬ neiden in ihrer Einfachheit und in ihrer Verachtung aller krankhaften Be¬ dürfnisse des Luxus, welches Wort, nebenbei gesagt, aus dem Griechischen stammt und Verkehrtheit bedeutet. Thatsache ist es wohl, Menschen und Völker ohne Bedürfnisse sind träge und arbeitsscheu, macheu keine Erfindun¬ gen, treiben keinen Welthandel, Hecken keine weitgreifenden Unternehmungen aus und haben — kein Geld. Die Negation des Geldes ist freilich ein positives Unglück, doch" nicht für jeden, Im Grunde ist Geld uur eine Staatsanweisuug un an-leur, die von den Administratoren aller Gasthäuser, Dampfboote, Eisenbahnen und Postämter, von jedem Kaufmann, Kellner und Fiaker honorirt wird. Wer aber all' das nicht braucht, dem ist ein Sou¬ verän nur ein Stück gelben Blechs und eine Banknote nicht mehr als ein Fidibus. Gewiß, der alte Jean Jaques, welcher behauptete, Kunst und Wissen hätten die Welt unglücklich gemacht, würde seine Freude an diesen Naturmenschen haben. Was einem Fremden ans dieser Assemblee der Donauzeile am meisten auffällt, das sind die ungeheuren Schnurrbärte, welche das Gesicht des un¬ garischen Landmannes zur Hälfte bedecken. Wenn man Frankreich das Land der Mode, England die Werkstätte der Industrie, Spanien den Bezirk des Hochmuthes, Deutschland die Region der Träume nennt, dürfte man Ungarn das Reich der Schnauze nennen. Der Himmel hat dieses schöne Land in seiner Liebe mit so vielen Haaren beschenkt, daß alle Kahlköpfe Europa's sich da mit Verrücken versehen könnten, und es wird noch viel Haare lassen müssen, bis die Civilisation an seiner Frisur nichts auszusetzen finden wird. Eine eigene Fa^on haben die Hüte des Landmannes. Sie besitzen nicht die obligate innere Hohlheit der civilisirten Hüte und schützen das Gesicht so wenig wie diese vor Sonne und Wetter, dagegen haben sie ringsum die Krämpen in Gestalt einer breiten Rinne aufgeschlagen, worin sich eine be¬ deutende Last von Schnee und Regenwasser sammeln kann. Diese Einrich¬ tung ist insofern zweckmäßig, als sich der ungarische Landmann nicht genug an den Druck von oben gewöhnen kann. Eine zahllose Menge von Lastschiffen liegen längs der ganzen „Donau¬ zeile" vor Anker. Der Fremde, der unsre Rhein- und Elbschiffe kennt, wird die Form dieser Schisse ziemlich alt finden; so muß wohl die Arche Noah's

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/376>, abgerufen am 01.09.2024.