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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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sagen: Sie haben dicke Lippen, rothe Haare, graue Augen; "sonstige
Merkmale": Klumpfuß, schiefer Mund, hoher Rücken.

Die Pesther Gasthäuser siud wahre Paläste, und so großartig viele
Privathäuser hier gebant sind, so können sich doch wenige mit dem impo¬
santen Aeußern der Hütels hiesiger Wirthe messen. Außer dem Behagen,
welches ich beim Eintritt in das herrliche Gasthaus zur "Königin von Eng¬
land" empfand, durchzitterte meine Seele noch ein anderes, viel freudigeres
Gefühl. Ich dachte nämlich, wie trotz Diplomatie und Politik die Volks¬
souveränität bereits factisch bestände. Was sür ein großer Herr ist das
Volk in neuerer Zeit geworden. Es befriedigt seine Baulust in einem Ma߬
stabe, daß der vierzehnte Ludwig daneben wie ein Bettler erscheint; es hat
seine Kunstpassioncn, wie die Medicäer, es legt Parks und Promenaden
an, errichtet die glänzendsten Theater, beglückt mit seinem Beifall, vernichtet
mit seinein Mißfallen. Aus Reisen fliegt es schneller hin, wie Napoleon,
und bei seiner Ankunft reißen Paläste die Thore auf, Portiers mit großem
Stock und colossalen Schärpen öffnen den Wagenschlag, Bediente fliegen
auf und nieder, Erfrischungen werden hergezaubert, wie mit der Wünschel-
ruthe. '-- Herzlich lachend erinnerte ich mich an die Beschreibung eiues
Straßburger Gasthauses vor 400 Jahren in Walter Scott's "Karl der
Kühne," wo ein einkehrender Engländer nnr auf besondere Empfehlung ein
Stübchen bekommen kann, und hungern muß, bis es dem mürrischen Wirth
gefällt, das Essen für sämmtliche Gäste auftragen zu lassen.

In den größern Pesther Gasthäusern habe ich zwei schöne Einrichtungen
bemerkt; aus dem Gange der ersten Etage, oder an der Mauer des Hofes
befindet sich eine große Uhr, und in den gewaltigen Speisesälen, die so
groß sind wie der weiße Saal in Berlin, sieht man keine Zeitungen, wahr¬
scheinlich um den Appetit nicht zu verderben. Nur auf ausdrückliches Ver¬
langen wird eine Zeitung aus dem Kaffeehause geholt, welches jedes Gast¬
haus in der Nähe des Speisezimmers besitzt. Dagegen wird in ganz Pesth
nirgends ^-M,- it'Jolo gehalten. Wahrscheinlich wollen sich die Gäste nicht
geniren lassen, und die Wirthe könnten bei der großen Eßlust der Ungarn
und Oesterreicher den Preis nicht hoch genug ansetzen.

Aus den Fenstern der "Königin von England" kann man gleich sehen,
was Pesth am meisten charakterisirt. Da erstreckt sich der lange prächtige
Quai, "Douanzeile" genannt, wo das eigentliche Volk Markt hält. Ans
den ersten Blick sieht mau, daß die Ungarn nichts weniger als Sansculotten
sind; im Gegentheil ihre Hosen sind die augenfälligsten in der alten und neuen
Welt. Die sogenannte gebildete Welt kleidet sich wohl auch hier uach den


sagen: Sie haben dicke Lippen, rothe Haare, graue Augen; „sonstige
Merkmale": Klumpfuß, schiefer Mund, hoher Rücken.

Die Pesther Gasthäuser siud wahre Paläste, und so großartig viele
Privathäuser hier gebant sind, so können sich doch wenige mit dem impo¬
santen Aeußern der Hütels hiesiger Wirthe messen. Außer dem Behagen,
welches ich beim Eintritt in das herrliche Gasthaus zur „Königin von Eng¬
land" empfand, durchzitterte meine Seele noch ein anderes, viel freudigeres
Gefühl. Ich dachte nämlich, wie trotz Diplomatie und Politik die Volks¬
souveränität bereits factisch bestände. Was sür ein großer Herr ist das
Volk in neuerer Zeit geworden. Es befriedigt seine Baulust in einem Ma߬
stabe, daß der vierzehnte Ludwig daneben wie ein Bettler erscheint; es hat
seine Kunstpassioncn, wie die Medicäer, es legt Parks und Promenaden
an, errichtet die glänzendsten Theater, beglückt mit seinem Beifall, vernichtet
mit seinein Mißfallen. Aus Reisen fliegt es schneller hin, wie Napoleon,
und bei seiner Ankunft reißen Paläste die Thore auf, Portiers mit großem
Stock und colossalen Schärpen öffnen den Wagenschlag, Bediente fliegen
auf und nieder, Erfrischungen werden hergezaubert, wie mit der Wünschel-
ruthe. '— Herzlich lachend erinnerte ich mich an die Beschreibung eiues
Straßburger Gasthauses vor 400 Jahren in Walter Scott's „Karl der
Kühne," wo ein einkehrender Engländer nnr auf besondere Empfehlung ein
Stübchen bekommen kann, und hungern muß, bis es dem mürrischen Wirth
gefällt, das Essen für sämmtliche Gäste auftragen zu lassen.

In den größern Pesther Gasthäusern habe ich zwei schöne Einrichtungen
bemerkt; aus dem Gange der ersten Etage, oder an der Mauer des Hofes
befindet sich eine große Uhr, und in den gewaltigen Speisesälen, die so
groß sind wie der weiße Saal in Berlin, sieht man keine Zeitungen, wahr¬
scheinlich um den Appetit nicht zu verderben. Nur auf ausdrückliches Ver¬
langen wird eine Zeitung aus dem Kaffeehause geholt, welches jedes Gast¬
haus in der Nähe des Speisezimmers besitzt. Dagegen wird in ganz Pesth
nirgends ^-M,- it'Jolo gehalten. Wahrscheinlich wollen sich die Gäste nicht
geniren lassen, und die Wirthe könnten bei der großen Eßlust der Ungarn
und Oesterreicher den Preis nicht hoch genug ansetzen.

Aus den Fenstern der „Königin von England" kann man gleich sehen,
was Pesth am meisten charakterisirt. Da erstreckt sich der lange prächtige
Quai, „Douanzeile" genannt, wo das eigentliche Volk Markt hält. Ans
den ersten Blick sieht mau, daß die Ungarn nichts weniger als Sansculotten
sind; im Gegentheil ihre Hosen sind die augenfälligsten in der alten und neuen
Welt. Die sogenannte gebildete Welt kleidet sich wohl auch hier uach den


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[0375] sagen: Sie haben dicke Lippen, rothe Haare, graue Augen; „sonstige Merkmale": Klumpfuß, schiefer Mund, hoher Rücken. Die Pesther Gasthäuser siud wahre Paläste, und so großartig viele Privathäuser hier gebant sind, so können sich doch wenige mit dem impo¬ santen Aeußern der Hütels hiesiger Wirthe messen. Außer dem Behagen, welches ich beim Eintritt in das herrliche Gasthaus zur „Königin von Eng¬ land" empfand, durchzitterte meine Seele noch ein anderes, viel freudigeres Gefühl. Ich dachte nämlich, wie trotz Diplomatie und Politik die Volks¬ souveränität bereits factisch bestände. Was sür ein großer Herr ist das Volk in neuerer Zeit geworden. Es befriedigt seine Baulust in einem Ma߬ stabe, daß der vierzehnte Ludwig daneben wie ein Bettler erscheint; es hat seine Kunstpassioncn, wie die Medicäer, es legt Parks und Promenaden an, errichtet die glänzendsten Theater, beglückt mit seinem Beifall, vernichtet mit seinein Mißfallen. Aus Reisen fliegt es schneller hin, wie Napoleon, und bei seiner Ankunft reißen Paläste die Thore auf, Portiers mit großem Stock und colossalen Schärpen öffnen den Wagenschlag, Bediente fliegen auf und nieder, Erfrischungen werden hergezaubert, wie mit der Wünschel- ruthe. '— Herzlich lachend erinnerte ich mich an die Beschreibung eiues Straßburger Gasthauses vor 400 Jahren in Walter Scott's „Karl der Kühne," wo ein einkehrender Engländer nnr auf besondere Empfehlung ein Stübchen bekommen kann, und hungern muß, bis es dem mürrischen Wirth gefällt, das Essen für sämmtliche Gäste auftragen zu lassen. In den größern Pesther Gasthäusern habe ich zwei schöne Einrichtungen bemerkt; aus dem Gange der ersten Etage, oder an der Mauer des Hofes befindet sich eine große Uhr, und in den gewaltigen Speisesälen, die so groß sind wie der weiße Saal in Berlin, sieht man keine Zeitungen, wahr¬ scheinlich um den Appetit nicht zu verderben. Nur auf ausdrückliches Ver¬ langen wird eine Zeitung aus dem Kaffeehause geholt, welches jedes Gast¬ haus in der Nähe des Speisezimmers besitzt. Dagegen wird in ganz Pesth nirgends ^-M,- it'Jolo gehalten. Wahrscheinlich wollen sich die Gäste nicht geniren lassen, und die Wirthe könnten bei der großen Eßlust der Ungarn und Oesterreicher den Preis nicht hoch genug ansetzen. Aus den Fenstern der „Königin von England" kann man gleich sehen, was Pesth am meisten charakterisirt. Da erstreckt sich der lange prächtige Quai, „Douanzeile" genannt, wo das eigentliche Volk Markt hält. Ans den ersten Blick sieht mau, daß die Ungarn nichts weniger als Sansculotten sind; im Gegentheil ihre Hosen sind die augenfälligsten in der alten und neuen Welt. Die sogenannte gebildete Welt kleidet sich wohl auch hier uach den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/375>, abgerufen am 01.09.2024.