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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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wenn er keine Antwort bekam, ganz ruhig weiter als wäre nichts geschehen.
Hierdurch ermuntert führte dann auch, mit seltener Ergebenheit in sein Ge¬
schick, stets ein zweiter eine lange Reihe von Verlusten auf, die er gehabt
haben wollte. Mit diesen Angaben hatte es übrigens seine volle Nichtigkeit,
denn man fand später die bezeichneten Gegenstände sämmtlich im Lagerstroh
verstreut. -- Noch ein anderer erhob ebenfalls von Zeit zu Zeit seine Stimme,
und zwar um wehmüthig seinen Nachbar zu bitten, daß er seinen gestiefelten
Fuß, der ihn sehr belästige, etwas zurückziehen möge. Hierauf antwortete
jedes Mal ein schlaftrunkner Musensohn aus einem entfernten Winkel des
Zimmers mit der festen Versicherung, daß er sich seiner Stiefeln längst ent¬
ledigt habe. Er war also sicherlich nicht der Angeredete. Der Bittende
bemerkte ihm auf seiue Antwort, die er für eine ausweichende nahm, immer:
"Selbst ein Stiefel" und schlief wieder ein, um später seine Rede aufs Neue
zu beginnen.

Auch am zweiten Pfingsttage lenkte die ganze Schaar der Zechbrüder
bald wieder vom Schlosse des Rothbart zu unserem Einsiedler ihre Schritte.
Dieser weiß die Studenten zu behandeln; er nennt sich mit ihnen Allen Du
und trägt ihnen oft auf allgemeines Verlangen seine politischen Gedichte
vor, in denen ein gesunder thüringischer Menschenverstand allem Guten und
Schönen aufrichtig wohl will. Der treuherzige Ruf "Vetter, halt'ne Pauke!"
erscholl zu Pfingsten ans der Rothenburg sehr oft, wenn die fröhlichen Ge¬
sänge schwiegen, und so oft er erscholl, bestieg der Einsiedler einen Felsen,
der ihm als Rednerbühne diente. Er klagte mir, daß er zu Pfingsten völ¬
ligen Jahres einmal im Vortrage eines Gedichtes gewaltsam unterbrochen
worden sei und zwar bei der Stelle:


Dem Fürsten seine Rechte,
Der unsre Rechte ehrt.

Einige radicale Studenten wollten ihn, nachdem er die erste der beiden
angeführten Zeilen gesprocheu hatte, uicht weiter reden lassen, andere ver¬
wiesen diese zur Ruhe. Da er aber immer unermüdlich wieder anhob:
"dem Fürsten seine Rechte -- dem Fürsten", so setzte er es endlich durch,
mit schlauer Miene auf den Schlußsatz "der unsre Rechte ehrt" hinzufügen
zu können, und erntete nun einen allgemeinen Applaus. -- Selbst zu
einer so unverfänglichen politischen Demonstration ist es diesmal nicht gekom¬
men, und nur eines Jenensers erinnere ich mich, der, als ich mich zu den
Mnsensöhneu gesetzt hatte, zu mir kam und mit den Worten "die Freiheit
soll leben" mit mir anstieß.


wenn er keine Antwort bekam, ganz ruhig weiter als wäre nichts geschehen.
Hierdurch ermuntert führte dann auch, mit seltener Ergebenheit in sein Ge¬
schick, stets ein zweiter eine lange Reihe von Verlusten auf, die er gehabt
haben wollte. Mit diesen Angaben hatte es übrigens seine volle Nichtigkeit,
denn man fand später die bezeichneten Gegenstände sämmtlich im Lagerstroh
verstreut. — Noch ein anderer erhob ebenfalls von Zeit zu Zeit seine Stimme,
und zwar um wehmüthig seinen Nachbar zu bitten, daß er seinen gestiefelten
Fuß, der ihn sehr belästige, etwas zurückziehen möge. Hierauf antwortete
jedes Mal ein schlaftrunkner Musensohn aus einem entfernten Winkel des
Zimmers mit der festen Versicherung, daß er sich seiner Stiefeln längst ent¬
ledigt habe. Er war also sicherlich nicht der Angeredete. Der Bittende
bemerkte ihm auf seiue Antwort, die er für eine ausweichende nahm, immer:
„Selbst ein Stiefel" und schlief wieder ein, um später seine Rede aufs Neue
zu beginnen.

Auch am zweiten Pfingsttage lenkte die ganze Schaar der Zechbrüder
bald wieder vom Schlosse des Rothbart zu unserem Einsiedler ihre Schritte.
Dieser weiß die Studenten zu behandeln; er nennt sich mit ihnen Allen Du
und trägt ihnen oft auf allgemeines Verlangen seine politischen Gedichte
vor, in denen ein gesunder thüringischer Menschenverstand allem Guten und
Schönen aufrichtig wohl will. Der treuherzige Ruf „Vetter, halt'ne Pauke!"
erscholl zu Pfingsten ans der Rothenburg sehr oft, wenn die fröhlichen Ge¬
sänge schwiegen, und so oft er erscholl, bestieg der Einsiedler einen Felsen,
der ihm als Rednerbühne diente. Er klagte mir, daß er zu Pfingsten völ¬
ligen Jahres einmal im Vortrage eines Gedichtes gewaltsam unterbrochen
worden sei und zwar bei der Stelle:


Dem Fürsten seine Rechte,
Der unsre Rechte ehrt.

Einige radicale Studenten wollten ihn, nachdem er die erste der beiden
angeführten Zeilen gesprocheu hatte, uicht weiter reden lassen, andere ver¬
wiesen diese zur Ruhe. Da er aber immer unermüdlich wieder anhob:
„dem Fürsten seine Rechte — dem Fürsten", so setzte er es endlich durch,
mit schlauer Miene auf den Schlußsatz „der unsre Rechte ehrt" hinzufügen
zu können, und erntete nun einen allgemeinen Applaus. — Selbst zu
einer so unverfänglichen politischen Demonstration ist es diesmal nicht gekom¬
men, und nur eines Jenensers erinnere ich mich, der, als ich mich zu den
Mnsensöhneu gesetzt hatte, zu mir kam und mit den Worten „die Freiheit
soll leben" mit mir anstieß.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/37>, abgerufen am 01.09.2024.