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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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ren und brachen, als sie Titel und Orden auf der Brust tragen, als sie
Millionen durch die kluge Handhabung ihres politischen Gewissens zusammen¬
scharrten. Das sieht so unschuldig aus, ein potiti sah e r Eidbruch. -- Aber
eS gibt dann stets noch Leute genug, die den scharfen Unterschied zwischen
einem politischen und einem unpolitischen Eidbrüche nicht stets machen,
nud diese logischen Stümper sagen dann: O Bah! Ein Eid -- hat doch der
und der ihrer zwanzig geschworen und gebrochen und ist hente -- -- u. s. w.

Wer will es bezweifeln, daß Alle die hohen und niedern Beamten,
die ganz ruhig einen politischen Diebstahl an der großen Tasche des
Budjcts begehen, sich sehr bedenken würden, in die Tasche ihres Nachbarn
zu greifen, und wenn sie auch Hunderte von Tausend Franken in ihr sast
ohne Gefahr zu fischen wüßten? Aber das Alles verhindert nicht, daß kräf¬
tigen und etwas verwilderten Naturell ganz einfach der Gedanke mitunter
kommen muß: "Was ein Diebstahl? hat der und der sich nicht Schätze,
Schlosser und Millionen zusammen gestohlen, und ist doch hente ein Mann
in Ehren so hoch wie kein Zweiter?"

Kein Mensch wird dem Banquier Soundso zumuthen, daß er Abends
in seinem Salon mit falschen Karten spiele, daß er seine Leute hinter seine
Mitspieler stellen werde, damit sie ihm durch telegraphische Merke und Zei¬
chen das Spiel seines Gegners verrathen sollen. Das aber verhindert den
Spieler, der so ehrlich in seinem Salon ist, nicht die Karten falsch zu mi¬
schen, die Telegraphen zu bestechen und auszubeuten -- sobald er aus sei¬
nem Hanse auf die Börse tritt. Und abermals ist es leider nur zu natürlich,
daß es dann auch wieder Leute genug geben wird, die ihr nicht politisches,
nicht offizielles Gewissen beschwichtigen und sich zurufen: "O Bah! falsch
spielen -- spielt denn nicht alle Tage alle Welt falsch an der Börse, haben
nicht dieser und jener ihre Millionen und über Millionen dadurch gewonnen,
daß sie die Karten falsch gemischt hatten und das Spiel ihrer Gegner kann¬
ten?"

So drängt sich die politische Gewissenlosigkeit in's bürgerliche Leben
hinein; das ist natürlich, das ist folgerecht, das ist unabweisbar. Wo es
erlaubt ist, politisch ein Betrüger, ein Lügner, ein Eidbrüchiger, ein falscher
Spieler zu sein, da werden diese schönen Grundsätze auch unmittelbar und
nothwendig theilweise in's bürgerliche Leben übergehen. Der Kern der bra¬
ven Leute, der edeln Naturen wird dadurch nicht angegriffen werden; aber
die Schaale, und nur die sehen wir, wird diesem Einflüsse nicht widerstehen.

Die politische Gewissenlosigkeit ist aber gewiß sehr groß in Frankreich.
Sie kommt von Oben herab, man ist so "wtülv" in den höchsten Kreisen,


ren und brachen, als sie Titel und Orden auf der Brust tragen, als sie
Millionen durch die kluge Handhabung ihres politischen Gewissens zusammen¬
scharrten. Das sieht so unschuldig aus, ein potiti sah e r Eidbruch. — Aber
eS gibt dann stets noch Leute genug, die den scharfen Unterschied zwischen
einem politischen und einem unpolitischen Eidbrüche nicht stets machen,
nud diese logischen Stümper sagen dann: O Bah! Ein Eid — hat doch der
und der ihrer zwanzig geschworen und gebrochen und ist hente — — u. s. w.

Wer will es bezweifeln, daß Alle die hohen und niedern Beamten,
die ganz ruhig einen politischen Diebstahl an der großen Tasche des
Budjcts begehen, sich sehr bedenken würden, in die Tasche ihres Nachbarn
zu greifen, und wenn sie auch Hunderte von Tausend Franken in ihr sast
ohne Gefahr zu fischen wüßten? Aber das Alles verhindert nicht, daß kräf¬
tigen und etwas verwilderten Naturell ganz einfach der Gedanke mitunter
kommen muß: „Was ein Diebstahl? hat der und der sich nicht Schätze,
Schlosser und Millionen zusammen gestohlen, und ist doch hente ein Mann
in Ehren so hoch wie kein Zweiter?"

Kein Mensch wird dem Banquier Soundso zumuthen, daß er Abends
in seinem Salon mit falschen Karten spiele, daß er seine Leute hinter seine
Mitspieler stellen werde, damit sie ihm durch telegraphische Merke und Zei¬
chen das Spiel seines Gegners verrathen sollen. Das aber verhindert den
Spieler, der so ehrlich in seinem Salon ist, nicht die Karten falsch zu mi¬
schen, die Telegraphen zu bestechen und auszubeuten — sobald er aus sei¬
nem Hanse auf die Börse tritt. Und abermals ist es leider nur zu natürlich,
daß es dann auch wieder Leute genug geben wird, die ihr nicht politisches,
nicht offizielles Gewissen beschwichtigen und sich zurufen: „O Bah! falsch
spielen — spielt denn nicht alle Tage alle Welt falsch an der Börse, haben
nicht dieser und jener ihre Millionen und über Millionen dadurch gewonnen,
daß sie die Karten falsch gemischt hatten und das Spiel ihrer Gegner kann¬
ten?"

So drängt sich die politische Gewissenlosigkeit in's bürgerliche Leben
hinein; das ist natürlich, das ist folgerecht, das ist unabweisbar. Wo es
erlaubt ist, politisch ein Betrüger, ein Lügner, ein Eidbrüchiger, ein falscher
Spieler zu sein, da werden diese schönen Grundsätze auch unmittelbar und
nothwendig theilweise in's bürgerliche Leben übergehen. Der Kern der bra¬
ven Leute, der edeln Naturen wird dadurch nicht angegriffen werden; aber
die Schaale, und nur die sehen wir, wird diesem Einflüsse nicht widerstehen.

Die politische Gewissenlosigkeit ist aber gewiß sehr groß in Frankreich.
Sie kommt von Oben herab, man ist so „wtülv" in den höchsten Kreisen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/364>, abgerufen am 28.07.2024.