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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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rant Machet eine Adelige, und steht gänzlich unter ihrem Pantoffel; sie
will den Glanz ihrer Geburt, der sie zur Verachtung der bürgerlichen Ver¬
wandten ihres Mannes treibt, an ihren Kindern wiederherstellen, und setzt
sich und ihre Familie, um in hohem Cirkeln Zutritt zu finden, den grö߬
ten Demüthigungen aus. Jenes Erziehungs-Experiment mißglückt; die
eine Tochter, mit glänzenden Anlagen, aber coquett und leichtsinnig, will
nach der Anweisung ihrer Mutter die Hand eines Grafen fischen, wird von
demselben im Stich gelassen und stirbt vor Gram; ein Sohn soll Officier
werden, hat aber keine Lust dazu, erregt vielmehr durch seine Neigung zur
Musik den Zorn seiner Eltern, entflieht endlich und wandert nach Amerika
aus, wo er Kapellmeister wird. Die andere Tochter, eine liebe Aschenbrö¬
del, bewahrt in der Lüge ihrer Umgebung allein ihren reinen Sinn, n"d
ist die einzige, die glücklich wird. Sie heirathet den Mann ihres Herzens,
einen Oberlehrer. Geschichten, wie sie alle Tage vorkommen, aber anspre¬
chend und treu erzählt. Die Charactere sind anspruchslos erfunden, aber gut
gehalten; die Verkehrtheiten der Gesellschaft sind nach Gebühr gegeiselt, der
Schluß macht einen befriedigenden und der Absicht des Dichters entspre¬
chenden Eindruck. Nur die Ironie gegen Sprache und Sitte der eigentlich
höhern Stände -- denn daß jene Familie zu der ersten Gesellschaft gerechnet
wird, zeigt von der Unkenntniß des Verfassers-- ist verfehlt, wahrscheinlich
weil dein Verf. sein Gegenstand zu fremd lag.

Eine durchaus rühmliche Erwähnung verdient das Werk von F. Ger¬
stäcker: Der deutschen Auswanderer Fahrten und Schicksale
(anch unter dem Titel: Volksbibliothek, Vierter Band. Leipzig, F. A. Brock¬
haus). Es ist der eigentliche Zweck dieses Werkes, uns zu belehren über
die fremde Welt, die einer ganzen Richtung unserer Zeit wie ein Eldorado
erscheint. Und diese Belehrung kommt uns um so erwünschter, da sie von
dem Gesichtspunkt eines Deutschen ans aufgefaßt ist, und wohl zum grö߬
ten Theil auf eigenen Anschauungen und Erfahrungen beruht. Es verhält
sich damit anders wie mit den vorher erwähnten Idyllen, denn es herrscht
hier ein rein stoffliches Interesse vor; die gemüthliche Anregung ist Neben¬
sache. Die poetische Gewalt der Schilderung, die über Sealsfleld's Schrif¬
ten einen so magischen Neiz ausbreitet, wird mau hier vergebens suchen;
es wird einfach erzählt und beschrieben; aber um so mehr trägt es das Ge¬
präge der Wahrheit an sich. Bei Sealsfield wie bei Cooper wird uns doch
zuweilen unheimlich zu Muthe, und wir wissen nicht recht, sollen wir glau¬
ben oder nicht; das Poetische, was allerdings zunächst nur in der Form
liegt, übt dann doch wenigstens auf die Färbung und Gruppirung der That-


rant Machet eine Adelige, und steht gänzlich unter ihrem Pantoffel; sie
will den Glanz ihrer Geburt, der sie zur Verachtung der bürgerlichen Ver¬
wandten ihres Mannes treibt, an ihren Kindern wiederherstellen, und setzt
sich und ihre Familie, um in hohem Cirkeln Zutritt zu finden, den grö߬
ten Demüthigungen aus. Jenes Erziehungs-Experiment mißglückt; die
eine Tochter, mit glänzenden Anlagen, aber coquett und leichtsinnig, will
nach der Anweisung ihrer Mutter die Hand eines Grafen fischen, wird von
demselben im Stich gelassen und stirbt vor Gram; ein Sohn soll Officier
werden, hat aber keine Lust dazu, erregt vielmehr durch seine Neigung zur
Musik den Zorn seiner Eltern, entflieht endlich und wandert nach Amerika
aus, wo er Kapellmeister wird. Die andere Tochter, eine liebe Aschenbrö¬
del, bewahrt in der Lüge ihrer Umgebung allein ihren reinen Sinn, n»d
ist die einzige, die glücklich wird. Sie heirathet den Mann ihres Herzens,
einen Oberlehrer. Geschichten, wie sie alle Tage vorkommen, aber anspre¬
chend und treu erzählt. Die Charactere sind anspruchslos erfunden, aber gut
gehalten; die Verkehrtheiten der Gesellschaft sind nach Gebühr gegeiselt, der
Schluß macht einen befriedigenden und der Absicht des Dichters entspre¬
chenden Eindruck. Nur die Ironie gegen Sprache und Sitte der eigentlich
höhern Stände — denn daß jene Familie zu der ersten Gesellschaft gerechnet
wird, zeigt von der Unkenntniß des Verfassers— ist verfehlt, wahrscheinlich
weil dein Verf. sein Gegenstand zu fremd lag.

Eine durchaus rühmliche Erwähnung verdient das Werk von F. Ger¬
stäcker: Der deutschen Auswanderer Fahrten und Schicksale
(anch unter dem Titel: Volksbibliothek, Vierter Band. Leipzig, F. A. Brock¬
haus). Es ist der eigentliche Zweck dieses Werkes, uns zu belehren über
die fremde Welt, die einer ganzen Richtung unserer Zeit wie ein Eldorado
erscheint. Und diese Belehrung kommt uns um so erwünschter, da sie von
dem Gesichtspunkt eines Deutschen ans aufgefaßt ist, und wohl zum grö߬
ten Theil auf eigenen Anschauungen und Erfahrungen beruht. Es verhält
sich damit anders wie mit den vorher erwähnten Idyllen, denn es herrscht
hier ein rein stoffliches Interesse vor; die gemüthliche Anregung ist Neben¬
sache. Die poetische Gewalt der Schilderung, die über Sealsfleld's Schrif¬
ten einen so magischen Neiz ausbreitet, wird mau hier vergebens suchen;
es wird einfach erzählt und beschrieben; aber um so mehr trägt es das Ge¬
präge der Wahrheit an sich. Bei Sealsfield wie bei Cooper wird uns doch
zuweilen unheimlich zu Muthe, und wir wissen nicht recht, sollen wir glau¬
ben oder nicht; das Poetische, was allerdings zunächst nur in der Form
liegt, übt dann doch wenigstens auf die Färbung und Gruppirung der That-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/345>, abgerufen am 01.09.2024.