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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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an, wie der geistige Inhalt derselben ist. Der Verfasser hat uns schon ei¬
nige Male mit sehr verschiedenem Erfolg ähnliche Gaben gebracht; an dem
vorliegenden Werk ist zu loben, daß die an's Burleske grenzende Plastik
seiner Naturanschauung, die "hastig grünen Gebüsche" u. tgi. sich etwas gemä¬
ßigt hat. Im Uebrigen aber will es uns scheinen, als ob unter neuen Na¬
men und neuen Masken alte, wohlbekannte Gesichter sich verstecken. Die
Natur wiederholt sich in ihren Productionen, und eine fortdauernde Natur¬
schilderung wird ermüdend. Das Idyll ist überhaupt das Product eiues
-- ich will nicht gerade sagen blasirten aber doch denk- und genußmüdcn
Zeitalters; Theokrit ist das Erzeugniß Alexandrmischcr Uebercnltnr. Bei
den alten Idyllen war es aber die schöne, poetische Form, welche das Still¬
leben einer eng umgrenzten Waldeinsamkeit adelte, und ihm ein Bürgerrecht
gab im Reich der Civilisation. In unserem modernen Roman aber ist durch
die äußere Formlosigkeit dieser Zauber genommen, und wenn nun ein Ge^
malte so rein der Natur nachgezeichnet wird, so hat es ans die Dauer für
den gebildeten Geist etwas Unbehagliches, wenn es auch keineswegs leer ist
an gemüthlichen und rührenden Zügen. Wenn der Roman nicht verwildern
soll, wie in den Zeiten der Lafontaine und Cramer, so muß er sich dem
Drama nähern, d. h. das Interesse muß nicht nur durch locale, oder zeitliche,
oder auch persönliche Einheit zusammengehalten, sondern durch eine sittlich¬
psychische Spannung erweckt werden.

Ein größerer Zusammenhang, als in diesen gemüthlichen Dvrfvildern,
ist in dem vierten Wert, welches wir hier zu besprechen haben. Eine
Familie ans der ersten Gesellschaft, von M. Beckmann. (Düssel¬
dorf, Buddeus). Der Verfasser hat als Motto den Goethe'schen Spruch
vorgesetzt:


Greift nur hinein in's volle Menschenleben,
Ein Jeder lebt's, nicht Vielen ist's bekannt.

Dieser Ausspruch ist nnr halbwahr; denn wenn das Hineingreifer ohne
Wahl, ohne Sichtung stattfindet, so wird man alles mögliche im vollen Men¬
schenleben finden, nnr keine Poesie. Indessen kann man hier im Ganzen dem
Vers, einen glücklichen Griff zuschreiben; er hat Figuren und Ereignisse ge¬
funden, die nicht ohne Interesse sind, und die das Gepräge der Wahrheit
an sich tragen, so daß wir mit großer Ueberraschung mehrere frappante
Züge, die uns selbst vorgekommen sind, darin antrafen. Das ist der beste
Beweis für die Wahrheit einer Schilderung, wenn sie dem Leser als bekannt
vorkommt, ohne daß doch die gleiche Anschauung vorausgesetzt werden dürfte.
-- Die Geschichte ist übrigens sehr einfach. Ein bürgerlicher Obristlente-


an, wie der geistige Inhalt derselben ist. Der Verfasser hat uns schon ei¬
nige Male mit sehr verschiedenem Erfolg ähnliche Gaben gebracht; an dem
vorliegenden Werk ist zu loben, daß die an's Burleske grenzende Plastik
seiner Naturanschauung, die „hastig grünen Gebüsche" u. tgi. sich etwas gemä¬
ßigt hat. Im Uebrigen aber will es uns scheinen, als ob unter neuen Na¬
men und neuen Masken alte, wohlbekannte Gesichter sich verstecken. Die
Natur wiederholt sich in ihren Productionen, und eine fortdauernde Natur¬
schilderung wird ermüdend. Das Idyll ist überhaupt das Product eiues
— ich will nicht gerade sagen blasirten aber doch denk- und genußmüdcn
Zeitalters; Theokrit ist das Erzeugniß Alexandrmischcr Uebercnltnr. Bei
den alten Idyllen war es aber die schöne, poetische Form, welche das Still¬
leben einer eng umgrenzten Waldeinsamkeit adelte, und ihm ein Bürgerrecht
gab im Reich der Civilisation. In unserem modernen Roman aber ist durch
die äußere Formlosigkeit dieser Zauber genommen, und wenn nun ein Ge^
malte so rein der Natur nachgezeichnet wird, so hat es ans die Dauer für
den gebildeten Geist etwas Unbehagliches, wenn es auch keineswegs leer ist
an gemüthlichen und rührenden Zügen. Wenn der Roman nicht verwildern
soll, wie in den Zeiten der Lafontaine und Cramer, so muß er sich dem
Drama nähern, d. h. das Interesse muß nicht nur durch locale, oder zeitliche,
oder auch persönliche Einheit zusammengehalten, sondern durch eine sittlich¬
psychische Spannung erweckt werden.

Ein größerer Zusammenhang, als in diesen gemüthlichen Dvrfvildern,
ist in dem vierten Wert, welches wir hier zu besprechen haben. Eine
Familie ans der ersten Gesellschaft, von M. Beckmann. (Düssel¬
dorf, Buddeus). Der Verfasser hat als Motto den Goethe'schen Spruch
vorgesetzt:


Greift nur hinein in's volle Menschenleben,
Ein Jeder lebt's, nicht Vielen ist's bekannt.

Dieser Ausspruch ist nnr halbwahr; denn wenn das Hineingreifer ohne
Wahl, ohne Sichtung stattfindet, so wird man alles mögliche im vollen Men¬
schenleben finden, nnr keine Poesie. Indessen kann man hier im Ganzen dem
Vers, einen glücklichen Griff zuschreiben; er hat Figuren und Ereignisse ge¬
funden, die nicht ohne Interesse sind, und die das Gepräge der Wahrheit
an sich tragen, so daß wir mit großer Ueberraschung mehrere frappante
Züge, die uns selbst vorgekommen sind, darin antrafen. Das ist der beste
Beweis für die Wahrheit einer Schilderung, wenn sie dem Leser als bekannt
vorkommt, ohne daß doch die gleiche Anschauung vorausgesetzt werden dürfte.
— Die Geschichte ist übrigens sehr einfach. Ein bürgerlicher Obristlente-


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[0344] an, wie der geistige Inhalt derselben ist. Der Verfasser hat uns schon ei¬ nige Male mit sehr verschiedenem Erfolg ähnliche Gaben gebracht; an dem vorliegenden Werk ist zu loben, daß die an's Burleske grenzende Plastik seiner Naturanschauung, die „hastig grünen Gebüsche" u. tgi. sich etwas gemä¬ ßigt hat. Im Uebrigen aber will es uns scheinen, als ob unter neuen Na¬ men und neuen Masken alte, wohlbekannte Gesichter sich verstecken. Die Natur wiederholt sich in ihren Productionen, und eine fortdauernde Natur¬ schilderung wird ermüdend. Das Idyll ist überhaupt das Product eiues — ich will nicht gerade sagen blasirten aber doch denk- und genußmüdcn Zeitalters; Theokrit ist das Erzeugniß Alexandrmischcr Uebercnltnr. Bei den alten Idyllen war es aber die schöne, poetische Form, welche das Still¬ leben einer eng umgrenzten Waldeinsamkeit adelte, und ihm ein Bürgerrecht gab im Reich der Civilisation. In unserem modernen Roman aber ist durch die äußere Formlosigkeit dieser Zauber genommen, und wenn nun ein Ge^ malte so rein der Natur nachgezeichnet wird, so hat es ans die Dauer für den gebildeten Geist etwas Unbehagliches, wenn es auch keineswegs leer ist an gemüthlichen und rührenden Zügen. Wenn der Roman nicht verwildern soll, wie in den Zeiten der Lafontaine und Cramer, so muß er sich dem Drama nähern, d. h. das Interesse muß nicht nur durch locale, oder zeitliche, oder auch persönliche Einheit zusammengehalten, sondern durch eine sittlich¬ psychische Spannung erweckt werden. Ein größerer Zusammenhang, als in diesen gemüthlichen Dvrfvildern, ist in dem vierten Wert, welches wir hier zu besprechen haben. Eine Familie ans der ersten Gesellschaft, von M. Beckmann. (Düssel¬ dorf, Buddeus). Der Verfasser hat als Motto den Goethe'schen Spruch vorgesetzt: Greift nur hinein in's volle Menschenleben, Ein Jeder lebt's, nicht Vielen ist's bekannt. Dieser Ausspruch ist nnr halbwahr; denn wenn das Hineingreifer ohne Wahl, ohne Sichtung stattfindet, so wird man alles mögliche im vollen Men¬ schenleben finden, nnr keine Poesie. Indessen kann man hier im Ganzen dem Vers, einen glücklichen Griff zuschreiben; er hat Figuren und Ereignisse ge¬ funden, die nicht ohne Interesse sind, und die das Gepräge der Wahrheit an sich tragen, so daß wir mit großer Ueberraschung mehrere frappante Züge, die uns selbst vorgekommen sind, darin antrafen. Das ist der beste Beweis für die Wahrheit einer Schilderung, wenn sie dem Leser als bekannt vorkommt, ohne daß doch die gleiche Anschauung vorausgesetzt werden dürfte. — Die Geschichte ist übrigens sehr einfach. Ein bürgerlicher Obristlente-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/344>, abgerufen am 01.09.2024.