Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Naben umflatterte ihn. -- Weh' Dir, Dn deutscher Kaiser, so mußt Du
noch hundert Jahre sitzen!

In der Nähe der Rothenburg stößt man auf planirte Spaziergänge
nud findet bequeme Tische und Baute. Ganz versteckt unter gewaltigen
Felsblöcken liegt eine Einsiedelei, welche als Wirthshaus dient. Der Fürst
von Schwarzburg-Rudolstadt, der Besitzer der beiden Ruinen Rothenburg
und Kyffhäuser, will nicht, daß der Eindruck, welche" die Trümmer machen,
durch den Contrast, den ein modernes, ihnen gegenüberstehendes Gebäude
bilden würde, gestört werde, und hat daher zum Bau eines Gasthäuschens
nnr diesen Ort augewiesen. Mehr aber als durch diese gewiß zu billigende
Vorsichtsmaßregel wird einem störenden Eindrucke dadurch vorgebeugt, daß
der Wirth ein poetisches Gemüth ist, das sich von dein Gedanken, hier ans
dem Rücken des Kyffhäuscrberges, mitten im Walde, dicht neben der, Ruine
eines alten Nitterschlosses zu wohnen, lebhaft ergriffen zeigt. Er sucht da¬
her sein Wesen der romantischen Umgebung so viel als möglich anzunähern;
der kleine untersetzte Manu, mit dein offnen aber pfiffigen Gesicht, hat sich
Bart und Haar wachsen lassen, über das Strohdach seiner "Klause," welche
die Inschrift trägt: ora et lahm-ii, -- ein langes, hölzernes Kreuz gesetzt
und sich sogar eine Kutte angeschafft, in der er besonders dann erscheint,
wenn der Fürst die Rothenburg besucht. Die reichen, wunderbaren Sagen
dieser Gegend, die ganze Romantik des Orts, wo "mancher mit einem
Steine nach einer Kuh wirst, der mehr werth ist als die Kuh selbst," lockte
in früheren Jahrhunderten immer von Neuem Menschen in die Ruinen Kyff¬
häuser und Rothenburg, welche hier ihr Leben in einsamer Schwärmerei zu¬
brachten: viele gruben unablässig nach Schätzen, viele gaben sich für den
erwachten Kaiser Friedrich aus nud noch nach der Reformation berichtet ein
Chronist mit einem gewissen Entsetzen, daß die Ruine Kyffhausen von einem
Eremiten bewohnt werde. Als den letzten von diesen praktischen Romanti¬
kern können wir in der That uusern Nvthenburger betrachten, bei welchem
mehr der Hang zum beschaulichen Lebenswandel in diesem verzauberten Walde
die Aussicht auf einen billigen Gewinn durch Feilhalten von Speisen und
Getränken für die Reisenden zum Vorwande zu nehmen scheint, als umge¬
kehrt. Einen tiefen Sinn für die Natur kann man ihm nicht absprechen.
Wie Jean Paul sagte: "Und wem: ich jeden Morgen den Sonnenaufgang
sähe und jeden Abend ihn beschriebe, ich würde doch wie die Kinder rufen:
noch einmal! o noch einmal!" -- so rühmt er sich seit seinem achtjährigen
Aufenthalte aus der Rothenburg den Aublick keines Sonnen-Ausgangs und


Naben umflatterte ihn. — Weh' Dir, Dn deutscher Kaiser, so mußt Du
noch hundert Jahre sitzen!

In der Nähe der Rothenburg stößt man auf planirte Spaziergänge
nud findet bequeme Tische und Baute. Ganz versteckt unter gewaltigen
Felsblöcken liegt eine Einsiedelei, welche als Wirthshaus dient. Der Fürst
von Schwarzburg-Rudolstadt, der Besitzer der beiden Ruinen Rothenburg
und Kyffhäuser, will nicht, daß der Eindruck, welche» die Trümmer machen,
durch den Contrast, den ein modernes, ihnen gegenüberstehendes Gebäude
bilden würde, gestört werde, und hat daher zum Bau eines Gasthäuschens
nnr diesen Ort augewiesen. Mehr aber als durch diese gewiß zu billigende
Vorsichtsmaßregel wird einem störenden Eindrucke dadurch vorgebeugt, daß
der Wirth ein poetisches Gemüth ist, das sich von dein Gedanken, hier ans
dem Rücken des Kyffhäuscrberges, mitten im Walde, dicht neben der, Ruine
eines alten Nitterschlosses zu wohnen, lebhaft ergriffen zeigt. Er sucht da¬
her sein Wesen der romantischen Umgebung so viel als möglich anzunähern;
der kleine untersetzte Manu, mit dein offnen aber pfiffigen Gesicht, hat sich
Bart und Haar wachsen lassen, über das Strohdach seiner „Klause," welche
die Inschrift trägt: ora et lahm-ii, — ein langes, hölzernes Kreuz gesetzt
und sich sogar eine Kutte angeschafft, in der er besonders dann erscheint,
wenn der Fürst die Rothenburg besucht. Die reichen, wunderbaren Sagen
dieser Gegend, die ganze Romantik des Orts, wo „mancher mit einem
Steine nach einer Kuh wirst, der mehr werth ist als die Kuh selbst," lockte
in früheren Jahrhunderten immer von Neuem Menschen in die Ruinen Kyff¬
häuser und Rothenburg, welche hier ihr Leben in einsamer Schwärmerei zu¬
brachten: viele gruben unablässig nach Schätzen, viele gaben sich für den
erwachten Kaiser Friedrich aus nud noch nach der Reformation berichtet ein
Chronist mit einem gewissen Entsetzen, daß die Ruine Kyffhausen von einem
Eremiten bewohnt werde. Als den letzten von diesen praktischen Romanti¬
kern können wir in der That uusern Nvthenburger betrachten, bei welchem
mehr der Hang zum beschaulichen Lebenswandel in diesem verzauberten Walde
die Aussicht auf einen billigen Gewinn durch Feilhalten von Speisen und
Getränken für die Reisenden zum Vorwande zu nehmen scheint, als umge¬
kehrt. Einen tiefen Sinn für die Natur kann man ihm nicht absprechen.
Wie Jean Paul sagte: „Und wem: ich jeden Morgen den Sonnenaufgang
sähe und jeden Abend ihn beschriebe, ich würde doch wie die Kinder rufen:
noch einmal! o noch einmal!" — so rühmt er sich seit seinem achtjährigen
Aufenthalte aus der Rothenburg den Aublick keines Sonnen-Ausgangs und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0034" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/184194"/>
              <p xml:id="ID_81" prev="#ID_80"> Naben umflatterte ihn. &#x2014; Weh' Dir, Dn deutscher Kaiser, so mußt Du<lb/>
noch hundert Jahre sitzen!</p><lb/>
              <p xml:id="ID_82" next="#ID_83"> In der Nähe der Rothenburg stößt man auf planirte Spaziergänge<lb/>
nud findet bequeme Tische und Baute. Ganz versteckt unter gewaltigen<lb/>
Felsblöcken liegt eine Einsiedelei, welche als Wirthshaus dient. Der Fürst<lb/>
von Schwarzburg-Rudolstadt, der Besitzer der beiden Ruinen Rothenburg<lb/>
und Kyffhäuser, will nicht, daß der Eindruck, welche» die Trümmer machen,<lb/>
durch den Contrast, den ein modernes, ihnen gegenüberstehendes Gebäude<lb/>
bilden würde, gestört werde, und hat daher zum Bau eines Gasthäuschens<lb/>
nnr diesen Ort augewiesen. Mehr aber als durch diese gewiß zu billigende<lb/>
Vorsichtsmaßregel wird einem störenden Eindrucke dadurch vorgebeugt, daß<lb/>
der Wirth ein poetisches Gemüth ist, das sich von dein Gedanken, hier ans<lb/>
dem Rücken des Kyffhäuscrberges, mitten im Walde, dicht neben der, Ruine<lb/>
eines alten Nitterschlosses zu wohnen, lebhaft ergriffen zeigt. Er sucht da¬<lb/>
her sein Wesen der romantischen Umgebung so viel als möglich anzunähern;<lb/>
der kleine untersetzte Manu, mit dein offnen aber pfiffigen Gesicht, hat sich<lb/>
Bart und Haar wachsen lassen, über das Strohdach seiner &#x201E;Klause," welche<lb/>
die Inschrift trägt: ora et lahm-ii, &#x2014; ein langes, hölzernes Kreuz gesetzt<lb/>
und sich sogar eine Kutte angeschafft, in der er besonders dann erscheint,<lb/>
wenn der Fürst die Rothenburg besucht. Die reichen, wunderbaren Sagen<lb/>
dieser Gegend, die ganze Romantik des Orts, wo &#x201E;mancher mit einem<lb/>
Steine nach einer Kuh wirst, der mehr werth ist als die Kuh selbst," lockte<lb/>
in früheren Jahrhunderten immer von Neuem Menschen in die Ruinen Kyff¬<lb/>
häuser und Rothenburg, welche hier ihr Leben in einsamer Schwärmerei zu¬<lb/>
brachten: viele gruben unablässig nach Schätzen, viele gaben sich für den<lb/>
erwachten Kaiser Friedrich aus nud noch nach der Reformation berichtet ein<lb/>
Chronist mit einem gewissen Entsetzen, daß die Ruine Kyffhausen von einem<lb/>
Eremiten bewohnt werde. Als den letzten von diesen praktischen Romanti¬<lb/>
kern können wir in der That uusern Nvthenburger betrachten, bei welchem<lb/>
mehr der Hang zum beschaulichen Lebenswandel in diesem verzauberten Walde<lb/>
die Aussicht auf einen billigen Gewinn durch Feilhalten von Speisen und<lb/>
Getränken für die Reisenden zum Vorwande zu nehmen scheint, als umge¬<lb/>
kehrt. Einen tiefen Sinn für die Natur kann man ihm nicht absprechen.<lb/>
Wie Jean Paul sagte: &#x201E;Und wem: ich jeden Morgen den Sonnenaufgang<lb/>
sähe und jeden Abend ihn beschriebe, ich würde doch wie die Kinder rufen:<lb/>
noch einmal! o noch einmal!" &#x2014; so rühmt er sich seit seinem achtjährigen<lb/>
Aufenthalte aus der Rothenburg den Aublick keines Sonnen-Ausgangs und</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0034] Naben umflatterte ihn. — Weh' Dir, Dn deutscher Kaiser, so mußt Du noch hundert Jahre sitzen! In der Nähe der Rothenburg stößt man auf planirte Spaziergänge nud findet bequeme Tische und Baute. Ganz versteckt unter gewaltigen Felsblöcken liegt eine Einsiedelei, welche als Wirthshaus dient. Der Fürst von Schwarzburg-Rudolstadt, der Besitzer der beiden Ruinen Rothenburg und Kyffhäuser, will nicht, daß der Eindruck, welche» die Trümmer machen, durch den Contrast, den ein modernes, ihnen gegenüberstehendes Gebäude bilden würde, gestört werde, und hat daher zum Bau eines Gasthäuschens nnr diesen Ort augewiesen. Mehr aber als durch diese gewiß zu billigende Vorsichtsmaßregel wird einem störenden Eindrucke dadurch vorgebeugt, daß der Wirth ein poetisches Gemüth ist, das sich von dein Gedanken, hier ans dem Rücken des Kyffhäuscrberges, mitten im Walde, dicht neben der, Ruine eines alten Nitterschlosses zu wohnen, lebhaft ergriffen zeigt. Er sucht da¬ her sein Wesen der romantischen Umgebung so viel als möglich anzunähern; der kleine untersetzte Manu, mit dein offnen aber pfiffigen Gesicht, hat sich Bart und Haar wachsen lassen, über das Strohdach seiner „Klause," welche die Inschrift trägt: ora et lahm-ii, — ein langes, hölzernes Kreuz gesetzt und sich sogar eine Kutte angeschafft, in der er besonders dann erscheint, wenn der Fürst die Rothenburg besucht. Die reichen, wunderbaren Sagen dieser Gegend, die ganze Romantik des Orts, wo „mancher mit einem Steine nach einer Kuh wirst, der mehr werth ist als die Kuh selbst," lockte in früheren Jahrhunderten immer von Neuem Menschen in die Ruinen Kyff¬ häuser und Rothenburg, welche hier ihr Leben in einsamer Schwärmerei zu¬ brachten: viele gruben unablässig nach Schätzen, viele gaben sich für den erwachten Kaiser Friedrich aus nud noch nach der Reformation berichtet ein Chronist mit einem gewissen Entsetzen, daß die Ruine Kyffhausen von einem Eremiten bewohnt werde. Als den letzten von diesen praktischen Romanti¬ kern können wir in der That uusern Nvthenburger betrachten, bei welchem mehr der Hang zum beschaulichen Lebenswandel in diesem verzauberten Walde die Aussicht auf einen billigen Gewinn durch Feilhalten von Speisen und Getränken für die Reisenden zum Vorwande zu nehmen scheint, als umge¬ kehrt. Einen tiefen Sinn für die Natur kann man ihm nicht absprechen. Wie Jean Paul sagte: „Und wem: ich jeden Morgen den Sonnenaufgang sähe und jeden Abend ihn beschriebe, ich würde doch wie die Kinder rufen: noch einmal! o noch einmal!" — so rühmt er sich seit seinem achtjährigen Aufenthalte aus der Rothenburg den Aublick keines Sonnen-Ausgangs und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/34
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/34>, abgerufen am 01.09.2024.