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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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rigkeitder Wahl? Er kann nicht einmal neutral bleiben, es hilft ihm nichts,
er muß stimmen. Bei der vorletzten Wahl in Bristol hatte sich ein Wähler,
um nicht seine Stimme abgeben zu dürfen, in's Bett gelegt. Um sich krank
zu machen, hatte er Arznei eingenommen; um seine Krankheit zu steigern,
nahm er einen Arzt. Aber an dem verhängnißvollen Tag schicken ihm die
Tones einen toristischen Arzt, der verordnet, ihn im Sessel zur Wahl zu
tragen. So geschieht ein Wunder, der Gichtbrüchigc erhebt sich ans seinem
Bett, und stimmt mit, wie alle Welt.

Die Bestechung ist nicht weniger üblich, als die Einschüchterung. Man
hat sogar zu Gunsten der Ersteren Unterscheidungen zwischen beiden Arten
des Einflusses ersonnen. Man hat gesagt, die Einschüchterung sei eine Be--
stechung in der drückendsten Form, eine freigebige Bestechung ohne Formen,
da am Ende, wenn die reichen Leute unter die Armen 20 -- 25 Millionen
vertheilen, dadurch ein gewisser Wohlstand herbeigeführt wird; daß die Unter¬
drückung der Bestechung nur der Einschüchterung eine neue Kraft gebe, welche
den Vortheil hat, minder kostbar und dennoch straflos zu sein, denn wenn
das Gesetz bis ans einen gewissen Punkt die Bestechung ahnden kann, so
hat es über die Einschüchterung keine Gewalt.

Also wird die Bestechung in England nicht nur durch die Tradition
geheiligt, sondern sie erfreut sich auch einer gewissen Popularität. Unter
dem Schatten dieser Volksstimmung ist sie großgewachsen, und hat sich so
entwickelt, daß der Scandal endlich eine Reaction hervorrief. Wir sagten,
daß diejenige Klasse, an welcher die Bestechung am meisten ausgeübt wird,
die Freemen sind. Man wird Freeman durch Geburt oder durch Lehrjahre;
die der letztern Klasse, die einige Proben ihrer Arbeit geben müssen, sind
in der Regel mehr werth, als die erblichen Freemen, diese Schmach und
Wunde des englischen Wahltorpers, der Abschaum der Demokratie; sie be¬
trachten es als ihr Vorrecht, sich erkaufen zu lassen, nud finden daher bei
der Aristokratie eine mächtige Stütze. Durch die regelmäßige Einregistrirung
der Wähler, die vor der Reform uicht stattfand, keimt mau nun die Zahl
der Votireuden, und kann das Resultat ziemlich genau vorher berechnen.
Die Eandidaten wissen daher, wie viel Stimmen sie erkaufen müssen, und
da die Freemen stets käuflich sind, so werden ihre Stimmen fast öffentlich
versteigert.

Wir, wollen den Urhebern der Reformbill Gerechtigkeit wiederfahren
lassen. Sie hatten eingesehen, daß, indem sie das Recht der Vertretung
den großen Städten gaben, die es bisher nicht hatten, sie es einer verderb¬
ten Klasse nehmen müßten, die unwürdig war, es zu behalten. Aber auf


rigkeitder Wahl? Er kann nicht einmal neutral bleiben, es hilft ihm nichts,
er muß stimmen. Bei der vorletzten Wahl in Bristol hatte sich ein Wähler,
um nicht seine Stimme abgeben zu dürfen, in's Bett gelegt. Um sich krank
zu machen, hatte er Arznei eingenommen; um seine Krankheit zu steigern,
nahm er einen Arzt. Aber an dem verhängnißvollen Tag schicken ihm die
Tones einen toristischen Arzt, der verordnet, ihn im Sessel zur Wahl zu
tragen. So geschieht ein Wunder, der Gichtbrüchigc erhebt sich ans seinem
Bett, und stimmt mit, wie alle Welt.

Die Bestechung ist nicht weniger üblich, als die Einschüchterung. Man
hat sogar zu Gunsten der Ersteren Unterscheidungen zwischen beiden Arten
des Einflusses ersonnen. Man hat gesagt, die Einschüchterung sei eine Be--
stechung in der drückendsten Form, eine freigebige Bestechung ohne Formen,
da am Ende, wenn die reichen Leute unter die Armen 20 — 25 Millionen
vertheilen, dadurch ein gewisser Wohlstand herbeigeführt wird; daß die Unter¬
drückung der Bestechung nur der Einschüchterung eine neue Kraft gebe, welche
den Vortheil hat, minder kostbar und dennoch straflos zu sein, denn wenn
das Gesetz bis ans einen gewissen Punkt die Bestechung ahnden kann, so
hat es über die Einschüchterung keine Gewalt.

Also wird die Bestechung in England nicht nur durch die Tradition
geheiligt, sondern sie erfreut sich auch einer gewissen Popularität. Unter
dem Schatten dieser Volksstimmung ist sie großgewachsen, und hat sich so
entwickelt, daß der Scandal endlich eine Reaction hervorrief. Wir sagten,
daß diejenige Klasse, an welcher die Bestechung am meisten ausgeübt wird,
die Freemen sind. Man wird Freeman durch Geburt oder durch Lehrjahre;
die der letztern Klasse, die einige Proben ihrer Arbeit geben müssen, sind
in der Regel mehr werth, als die erblichen Freemen, diese Schmach und
Wunde des englischen Wahltorpers, der Abschaum der Demokratie; sie be¬
trachten es als ihr Vorrecht, sich erkaufen zu lassen, nud finden daher bei
der Aristokratie eine mächtige Stütze. Durch die regelmäßige Einregistrirung
der Wähler, die vor der Reform uicht stattfand, keimt mau nun die Zahl
der Votireuden, und kann das Resultat ziemlich genau vorher berechnen.
Die Eandidaten wissen daher, wie viel Stimmen sie erkaufen müssen, und
da die Freemen stets käuflich sind, so werden ihre Stimmen fast öffentlich
versteigert.

Wir, wollen den Urhebern der Reformbill Gerechtigkeit wiederfahren
lassen. Sie hatten eingesehen, daß, indem sie das Recht der Vertretung
den großen Städten gaben, die es bisher nicht hatten, sie es einer verderb¬
ten Klasse nehmen müßten, die unwürdig war, es zu behalten. Aber auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/320>, abgerufen am 28.07.2024.