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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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seiner irischen Bildersprache, rief, indem er auf einen dieser unglückseligen
Wähler im Moment des Vvtirens hinwies: "Er sieht auf der einen Seite
den Mann, den er als den Befreier seines Landes zu betrachten gewohnt
ist, und er fühlt sein Herz schlagen; auf der andern den Vorkämpfer der
stolzen Tyrannei, die noch vor Kurzem sein Land mit Füßen trat, seine
Religion schmähte, seine Tochter entehrte, ihn selbst mit Verachtung brand¬
markte. Und für diesen Menschen mich er stimmen! Bleich und zitternd
steigt er auf die "Hustings," wie auf das Schaffet, und spricht nicht den
Namen dessen ans, den er liebt und ehrt, sondern dessen, den er verab¬
scheut! Oder wenn er sich gegen die Tyrannei empört, wenn er seinem Ge¬
wissen folgt, so wird in einem Monat, vielleicht in einer Woche sein ganzer
Besitz ihm genommen; das Pferd das seinen Pflug zog, die Kuh die ihm
Milch gab, das Bett, auf welchem er bisweilen seiner Angst vergaß, alles
wird ihm genommen, und er wandert von dannen, nur die Vorsehung zur
Führerin und Gott, so hoffen wir, zum Rächer!"

So ist das Loos der kleinen Pächter. Diese Herrschaft der Eigen¬
thümer ist in den englischen Sitten so festgewurzelt, daß Lord Stanley mitten
im Parlament erklärte, es genüge zu wissen, in welchem Sinn die und die
Familie poliren würde, um im Voraus den Erfolg einer Grafschaftswahl
zu bestimme".

So ist es auf dem Laude, so in den Städten. Hier verwickelt sich
sogar die Lage noch mehr, denn matt hat hier den Einfluß der Eigenthümer -
auf die Miether, den Einfluß der Kunden auf die Kaufleute zu erwägen.
London z. B. ist beinahe ausschließlich das Eigenthum einer kleinen Zahl
von Familie"; der Marquis von Westminster, Haupt der Familie Grosveuvr,
der Herzog vo" Bedford, Haupt der Familie Russel, besitzen ganze Quartiere.
Was hindert sie, dem Beispiel zu folgen, welches in einigen kleinen Städten
gegeben ist, da Eigenthümer einige Zeit vor den Wahlen ihre Miether nöthig¬
ten, den jährlichen Miethscontract in einen wöchentlichen zu verwandeln, so
daß der Termin auf deu Stimmtag fiel, und die Wähler von einer unmittel¬
baren Austreibung bedroht waren. Ein Lord vertrieb nach einer Wahl 60 seiner
Miether aus ihren Wohnungen, und der Herzog von Newcastle rechtfertigte dies
Verfahren mit der sprichwörtlich gewordenen Phrase: Wir haben das Recht,
mit dem was uns gehört uach Gutdünken zu schalten! Und was soll ein armer
Kaufmann thu", deu zehn seiner Kunden bedrohen, ihn zu verlassen, wenn er
für die Blauen stimmt, und zehn andere wieder, wenn er für die Gelben
stimmt? Muß er nicht verlieren, wohin er sich auch wende? Wie Buridan's Esel
zwischen zwei Heubündel gestellt, wird er nicht verhungern wegen der schole-


seiner irischen Bildersprache, rief, indem er auf einen dieser unglückseligen
Wähler im Moment des Vvtirens hinwies: „Er sieht auf der einen Seite
den Mann, den er als den Befreier seines Landes zu betrachten gewohnt
ist, und er fühlt sein Herz schlagen; auf der andern den Vorkämpfer der
stolzen Tyrannei, die noch vor Kurzem sein Land mit Füßen trat, seine
Religion schmähte, seine Tochter entehrte, ihn selbst mit Verachtung brand¬
markte. Und für diesen Menschen mich er stimmen! Bleich und zitternd
steigt er auf die „Hustings," wie auf das Schaffet, und spricht nicht den
Namen dessen ans, den er liebt und ehrt, sondern dessen, den er verab¬
scheut! Oder wenn er sich gegen die Tyrannei empört, wenn er seinem Ge¬
wissen folgt, so wird in einem Monat, vielleicht in einer Woche sein ganzer
Besitz ihm genommen; das Pferd das seinen Pflug zog, die Kuh die ihm
Milch gab, das Bett, auf welchem er bisweilen seiner Angst vergaß, alles
wird ihm genommen, und er wandert von dannen, nur die Vorsehung zur
Führerin und Gott, so hoffen wir, zum Rächer!"

So ist das Loos der kleinen Pächter. Diese Herrschaft der Eigen¬
thümer ist in den englischen Sitten so festgewurzelt, daß Lord Stanley mitten
im Parlament erklärte, es genüge zu wissen, in welchem Sinn die und die
Familie poliren würde, um im Voraus den Erfolg einer Grafschaftswahl
zu bestimme».

So ist es auf dem Laude, so in den Städten. Hier verwickelt sich
sogar die Lage noch mehr, denn matt hat hier den Einfluß der Eigenthümer -
auf die Miether, den Einfluß der Kunden auf die Kaufleute zu erwägen.
London z. B. ist beinahe ausschließlich das Eigenthum einer kleinen Zahl
von Familie»; der Marquis von Westminster, Haupt der Familie Grosveuvr,
der Herzog vo» Bedford, Haupt der Familie Russel, besitzen ganze Quartiere.
Was hindert sie, dem Beispiel zu folgen, welches in einigen kleinen Städten
gegeben ist, da Eigenthümer einige Zeit vor den Wahlen ihre Miether nöthig¬
ten, den jährlichen Miethscontract in einen wöchentlichen zu verwandeln, so
daß der Termin auf deu Stimmtag fiel, und die Wähler von einer unmittel¬
baren Austreibung bedroht waren. Ein Lord vertrieb nach einer Wahl 60 seiner
Miether aus ihren Wohnungen, und der Herzog von Newcastle rechtfertigte dies
Verfahren mit der sprichwörtlich gewordenen Phrase: Wir haben das Recht,
mit dem was uns gehört uach Gutdünken zu schalten! Und was soll ein armer
Kaufmann thu», deu zehn seiner Kunden bedrohen, ihn zu verlassen, wenn er
für die Blauen stimmt, und zehn andere wieder, wenn er für die Gelben
stimmt? Muß er nicht verlieren, wohin er sich auch wende? Wie Buridan's Esel
zwischen zwei Heubündel gestellt, wird er nicht verhungern wegen der schole-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/319>, abgerufen am 28.07.2024.