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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Lebensweise dieser Leute bewirken bei dem gänzlichen Mangel jeder Bildung
eine Entsittlichung unter ihnen, wovon der Leser wohl schwerlich einen Be¬
griff hat. Körperlich wie geistig stehen sie auf einer Stufe, wo der Name
Mensch kaum mehr angewendet werden darf. Das Thier leckt, putzt und
badet sich, um seinen Körper rein zu halten, diese Proletarier aber ersticken
beinahe in Schmutz und Ungeziefer. Die Weiber sind meist mit ansteckenden
Krankheiten behaftet, und die Mädchen leiden oft schon, wenn sie kaum die
Mannbarkeit erreicht haben, an den Folgen ihrer, weder durch die Vernunft
noch durch das Herz gezügelten Ausschweifungen. Nicht besser sind die
Männer, bei denen der übermäßige Genuß des Branntweins ihren übri¬
gen Lastern die Krone aufsetzt. Was können die Kinder solcher Menschen
anders sein, als elende Geschöpfe, die, selbst wenn sie das Glück begünstigen
wollte, für nichts anders taugen, als für das verächtliche "Gewerbe" ihrer
Eltern!

Vou solchen Menschen kaun man wahrlich nicht anders erwarte", als
daß sie das Geld, was sie am Tage erbeuten, am Abend verschweigen.

Nach vollbrachtem Tagewerk finden sie sich gruppenweise in entlegenen
Wirthshäusern ein, wo sie ihren rohen Leidenschaften den ungebundensten
Lauf lassen. Sie rauchen Cigarren, tanzen, singen und trinken Branntwein,
so lange, bis sie von Schlaf und Müdigkeit übermannt, ohne Rücksicht auf
Alter und Geschlecht, sich wie das Vieh auf ihre Streue niederlegen. Ich
selbst habe eine solche Scene mit angesehen, als ich eines Abends, etwa eine
Stunde vou meinem Wohnorte, in eine entlegene Waldherberge gerieth. Kna¬
ben und Mädchen -- die ältesten mochten kaum Is Jahre alt sein -- feier¬
ten hier ein Gelage. Auf dem Tische standen Kuchen und große Gläser mit
Branntwein, Musik ertönte zu ihre" ausgelassenen, ja unzüchtigen Sprüngen,
und aus den bleichen Gesichtern waren die Spuren weit vorgeschrittener
Trunkenheit deutlich zu lesen. Dies waren Kinder, welche schaarenweise mit
Strohmatten, Besen, Blumen u. dergl. in die Stadt kommen, wo sie unter
dem Vorwand, ihre Waare feil zu bieten, von Haus zu Haus betteln ge¬
hen. Wenn so die Kiuder zechen, wie mögen e.S erst die Erwachsenen thun,
von denen allein es jene gelernt haben können!

In den letzten Monaten wurden in der nächsten Umgebung meiner
Stadt eine ganze Reihe von Gartenhäuschen, in welchen die Eigenthümer
einige Lebensmittel n. s. w. aufbewahren, um Abends da eine Mahlzeit ein¬
nehmen zu können, die aber Nachts unbewohnt sind, bei Tagesanbruch er¬
brochen gefunden. Speisen und Getränke waren verzehrt, Teller und Fla¬
schen zerbrochen, auf dein Boden lagen Cigarrenstnckchen und Asche; kurz


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Lebensweise dieser Leute bewirken bei dem gänzlichen Mangel jeder Bildung
eine Entsittlichung unter ihnen, wovon der Leser wohl schwerlich einen Be¬
griff hat. Körperlich wie geistig stehen sie auf einer Stufe, wo der Name
Mensch kaum mehr angewendet werden darf. Das Thier leckt, putzt und
badet sich, um seinen Körper rein zu halten, diese Proletarier aber ersticken
beinahe in Schmutz und Ungeziefer. Die Weiber sind meist mit ansteckenden
Krankheiten behaftet, und die Mädchen leiden oft schon, wenn sie kaum die
Mannbarkeit erreicht haben, an den Folgen ihrer, weder durch die Vernunft
noch durch das Herz gezügelten Ausschweifungen. Nicht besser sind die
Männer, bei denen der übermäßige Genuß des Branntweins ihren übri¬
gen Lastern die Krone aufsetzt. Was können die Kinder solcher Menschen
anders sein, als elende Geschöpfe, die, selbst wenn sie das Glück begünstigen
wollte, für nichts anders taugen, als für das verächtliche „Gewerbe" ihrer
Eltern!

Vou solchen Menschen kaun man wahrlich nicht anders erwarte», als
daß sie das Geld, was sie am Tage erbeuten, am Abend verschweigen.

Nach vollbrachtem Tagewerk finden sie sich gruppenweise in entlegenen
Wirthshäusern ein, wo sie ihren rohen Leidenschaften den ungebundensten
Lauf lassen. Sie rauchen Cigarren, tanzen, singen und trinken Branntwein,
so lange, bis sie von Schlaf und Müdigkeit übermannt, ohne Rücksicht auf
Alter und Geschlecht, sich wie das Vieh auf ihre Streue niederlegen. Ich
selbst habe eine solche Scene mit angesehen, als ich eines Abends, etwa eine
Stunde vou meinem Wohnorte, in eine entlegene Waldherberge gerieth. Kna¬
ben und Mädchen — die ältesten mochten kaum Is Jahre alt sein — feier¬
ten hier ein Gelage. Auf dem Tische standen Kuchen und große Gläser mit
Branntwein, Musik ertönte zu ihre» ausgelassenen, ja unzüchtigen Sprüngen,
und aus den bleichen Gesichtern waren die Spuren weit vorgeschrittener
Trunkenheit deutlich zu lesen. Dies waren Kinder, welche schaarenweise mit
Strohmatten, Besen, Blumen u. dergl. in die Stadt kommen, wo sie unter
dem Vorwand, ihre Waare feil zu bieten, von Haus zu Haus betteln ge¬
hen. Wenn so die Kiuder zechen, wie mögen e.S erst die Erwachsenen thun,
von denen allein es jene gelernt haben können!

In den letzten Monaten wurden in der nächsten Umgebung meiner
Stadt eine ganze Reihe von Gartenhäuschen, in welchen die Eigenthümer
einige Lebensmittel n. s. w. aufbewahren, um Abends da eine Mahlzeit ein¬
nehmen zu können, die aber Nachts unbewohnt sind, bei Tagesanbruch er¬
brochen gefunden. Speisen und Getränke waren verzehrt, Teller und Fla¬
schen zerbrochen, auf dein Boden lagen Cigarrenstnckchen und Asche; kurz


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[0291] Lebensweise dieser Leute bewirken bei dem gänzlichen Mangel jeder Bildung eine Entsittlichung unter ihnen, wovon der Leser wohl schwerlich einen Be¬ griff hat. Körperlich wie geistig stehen sie auf einer Stufe, wo der Name Mensch kaum mehr angewendet werden darf. Das Thier leckt, putzt und badet sich, um seinen Körper rein zu halten, diese Proletarier aber ersticken beinahe in Schmutz und Ungeziefer. Die Weiber sind meist mit ansteckenden Krankheiten behaftet, und die Mädchen leiden oft schon, wenn sie kaum die Mannbarkeit erreicht haben, an den Folgen ihrer, weder durch die Vernunft noch durch das Herz gezügelten Ausschweifungen. Nicht besser sind die Männer, bei denen der übermäßige Genuß des Branntweins ihren übri¬ gen Lastern die Krone aufsetzt. Was können die Kinder solcher Menschen anders sein, als elende Geschöpfe, die, selbst wenn sie das Glück begünstigen wollte, für nichts anders taugen, als für das verächtliche „Gewerbe" ihrer Eltern! Vou solchen Menschen kaun man wahrlich nicht anders erwarte», als daß sie das Geld, was sie am Tage erbeuten, am Abend verschweigen. Nach vollbrachtem Tagewerk finden sie sich gruppenweise in entlegenen Wirthshäusern ein, wo sie ihren rohen Leidenschaften den ungebundensten Lauf lassen. Sie rauchen Cigarren, tanzen, singen und trinken Branntwein, so lange, bis sie von Schlaf und Müdigkeit übermannt, ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht, sich wie das Vieh auf ihre Streue niederlegen. Ich selbst habe eine solche Scene mit angesehen, als ich eines Abends, etwa eine Stunde vou meinem Wohnorte, in eine entlegene Waldherberge gerieth. Kna¬ ben und Mädchen — die ältesten mochten kaum Is Jahre alt sein — feier¬ ten hier ein Gelage. Auf dem Tische standen Kuchen und große Gläser mit Branntwein, Musik ertönte zu ihre» ausgelassenen, ja unzüchtigen Sprüngen, und aus den bleichen Gesichtern waren die Spuren weit vorgeschrittener Trunkenheit deutlich zu lesen. Dies waren Kinder, welche schaarenweise mit Strohmatten, Besen, Blumen u. dergl. in die Stadt kommen, wo sie unter dem Vorwand, ihre Waare feil zu bieten, von Haus zu Haus betteln ge¬ hen. Wenn so die Kiuder zechen, wie mögen e.S erst die Erwachsenen thun, von denen allein es jene gelernt haben können! In den letzten Monaten wurden in der nächsten Umgebung meiner Stadt eine ganze Reihe von Gartenhäuschen, in welchen die Eigenthümer einige Lebensmittel n. s. w. aufbewahren, um Abends da eine Mahlzeit ein¬ nehmen zu können, die aber Nachts unbewohnt sind, bei Tagesanbruch er¬ brochen gefunden. Speisen und Getränke waren verzehrt, Teller und Fla¬ schen zerbrochen, auf dein Boden lagen Cigarrenstnckchen und Asche; kurz Grmjbvlc» Il>. 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/291>, abgerufen am 01.09.2024.