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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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fiözireu, weil man auf diese Weise dem Bettel" am wirksamsten zu steuern
hofft. Als Bcttclgcld betrachtet man alles Kupfer und die kleinsten Silber¬
münzen, und es ist also für den Bettler von der größten Wichtigkeit, seinen
Vorrath von solchem Gelde in größere Sorten zu verwechseln. Aber wo
soll er dieses thun? Bei jedem Gliede der ehrlichen Gesellschaft würde er
sich durch das Vorzeigen einer großen Menge von Hellem und Kreuzern als
Gewohnheitsbettler zu erkennen geben und Gefahr laufen, entdeckt zu werden,
oder doch die Kundschaft sich zu verderben. Es bedarf also einer Mittels¬
person, die das Risiko übernimmt, und dazu verstehen sich einzelne kühne
Bursche, die sich für die Gefahr, daß ihnen bei der nächsten Verhaftung
alles eingewechselte Bettelgeld confiszirt werde, eine bedeutende Prämie be¬
dingen. Sie ziehen, wie die Andern, bettelnd umher, sind diesen wohlbe¬
kannt und immer bereit und im Stande jenes Wechsclgeschäft zu vollziehe".
Indessen falle" sie der Polizei uur höchst selten in die Hände, weil sie
änßerst vorsichtig sind und viel verschmitzter und gewandter als alle ihres
Gleichen, und darum ist ihre Existenz so wenig bekannt.

Ein anderer Umstand, der besonders dazu beiträgt, daß das Proletariat,
von dem hier die Rede ist, als eine Art in sich abgeschlossene Gesellschaft
erscheint, ist, daß die einzelnen Glieder einander bekannt sind. Um jede
größere und wohlhabende Stadt nämlich sammelt sich, gleichsam um sie in
Belagerungszustand zu halten, ans einem bedeutenden Umkreise eine Schaar
von unstäten Proletariern. Manche Dörfer senden den größern Theil ihrer
Bewohner ans, ja der Verfasser könnte Orte namhaft mache", wo fast die
gesammte Einwohnerschaft, zwar, nicht zu gleicher Zeit, aber doch abwechselnd,
ans Bettelreise" zieht. Meistens erscheinen sie in ganzen Familien, welche
größtentheils mit Kindern sehr gesegnet sindVater oder Mutter stelle"
sich mit irgend Etwas, das sie zum Verkauf aufbieten, an einen Platz, wo
mehrere Straßen münden und sende" ihre Kinder "ach allen Richtungen hin
betteln; diese kommen, so oft sie etwas erhalten haben, zurück und liefern es
ab. Die wachestehenden Elter" dagege" geben, wenn sich ein Polizeibeam-
ter blicken läßt, ihren Kindern el" Zeiche", worauf diese schnell die Flucht
ergreifen. Wird aber anch einmal ausnahmsweise Eins verhaftet, so ist der



In diesen Klassen der Gesellschaft muß die Größe der Familien nicht, wie dies
sonst geschieht, zu 5, sondern zu 7--3 Köpfen berechnet werden. -- Der gewerbsmäßige
Bettler fürchtet die Vergrößerung seiner Familie nicht, denn die Ergiebigkeit seines Ge¬
schäfts steigt mit der Zahl seiner Kinder, weil sie ihn darin unterstützen, entweder durch
ihre eigene Thätigkeit, oder wenn sie noch ganz jung sind, dadurch, daß sie das Mitleid
erregen.

fiözireu, weil man auf diese Weise dem Bettel» am wirksamsten zu steuern
hofft. Als Bcttclgcld betrachtet man alles Kupfer und die kleinsten Silber¬
münzen, und es ist also für den Bettler von der größten Wichtigkeit, seinen
Vorrath von solchem Gelde in größere Sorten zu verwechseln. Aber wo
soll er dieses thun? Bei jedem Gliede der ehrlichen Gesellschaft würde er
sich durch das Vorzeigen einer großen Menge von Hellem und Kreuzern als
Gewohnheitsbettler zu erkennen geben und Gefahr laufen, entdeckt zu werden,
oder doch die Kundschaft sich zu verderben. Es bedarf also einer Mittels¬
person, die das Risiko übernimmt, und dazu verstehen sich einzelne kühne
Bursche, die sich für die Gefahr, daß ihnen bei der nächsten Verhaftung
alles eingewechselte Bettelgeld confiszirt werde, eine bedeutende Prämie be¬
dingen. Sie ziehen, wie die Andern, bettelnd umher, sind diesen wohlbe¬
kannt und immer bereit und im Stande jenes Wechsclgeschäft zu vollziehe».
Indessen falle» sie der Polizei uur höchst selten in die Hände, weil sie
änßerst vorsichtig sind und viel verschmitzter und gewandter als alle ihres
Gleichen, und darum ist ihre Existenz so wenig bekannt.

Ein anderer Umstand, der besonders dazu beiträgt, daß das Proletariat,
von dem hier die Rede ist, als eine Art in sich abgeschlossene Gesellschaft
erscheint, ist, daß die einzelnen Glieder einander bekannt sind. Um jede
größere und wohlhabende Stadt nämlich sammelt sich, gleichsam um sie in
Belagerungszustand zu halten, ans einem bedeutenden Umkreise eine Schaar
von unstäten Proletariern. Manche Dörfer senden den größern Theil ihrer
Bewohner ans, ja der Verfasser könnte Orte namhaft mache», wo fast die
gesammte Einwohnerschaft, zwar, nicht zu gleicher Zeit, aber doch abwechselnd,
ans Bettelreise» zieht. Meistens erscheinen sie in ganzen Familien, welche
größtentheils mit Kindern sehr gesegnet sindVater oder Mutter stelle»
sich mit irgend Etwas, das sie zum Verkauf aufbieten, an einen Platz, wo
mehrere Straßen münden und sende» ihre Kinder »ach allen Richtungen hin
betteln; diese kommen, so oft sie etwas erhalten haben, zurück und liefern es
ab. Die wachestehenden Elter» dagege» geben, wenn sich ein Polizeibeam-
ter blicken läßt, ihren Kindern el» Zeiche», worauf diese schnell die Flucht
ergreifen. Wird aber anch einmal ausnahmsweise Eins verhaftet, so ist der



In diesen Klassen der Gesellschaft muß die Größe der Familien nicht, wie dies
sonst geschieht, zu 5, sondern zu 7—3 Köpfen berechnet werden. — Der gewerbsmäßige
Bettler fürchtet die Vergrößerung seiner Familie nicht, denn die Ergiebigkeit seines Ge¬
schäfts steigt mit der Zahl seiner Kinder, weil sie ihn darin unterstützen, entweder durch
ihre eigene Thätigkeit, oder wenn sie noch ganz jung sind, dadurch, daß sie das Mitleid
erregen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/289>, abgerufen am 01.09.2024.