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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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den abenteuernden Rittern deö Mittelalters, ohne bestimmten Zweck, überall
die Gelegenheit erspähend und erwartend. Hier bitten sie um Arbeit, um
den Brodherrn zu bestehlen; dort spielen sie die Gebrechlichen, um das Mit¬
leid zu erregen. Sie erscheinen als wandernde Musikanten, Orgelspieler und
Seiltänzer, als beklagenswerthe Eltern verkrüppelter .Kinder, die sie oft um
hohe Preise miethen, wenn sie solche unglückliche Wesen nicht selber besitzen.
So umschwärmen sie die Städte und locken oder zwingen der Gesellschaft
den Tribut ab, dem diese nicht entgehen kann, weil er immer wieder unter
neuer Form gefordert wird, weil das Mitleid, das sie zu erregen wissen,
in der menschlichen Natur so tief begründet ist, daß selbst die Vernunft da¬
vor verstummen muß; man weiß, daß das Almosengeben mehr Böses als
Gutes stiftet, aber mau gibt dennoch!

Allein nicht nnr durch unmittelbare Beeinträchtigung, als Bettel, Dieb-
stahl und Betrug, bekriege" sie die Gesellschaft, sondern sie untergraben die¬
selbe auch mittelbar durch scheinbar erlaubten, ehrlichen Handel. Denn in¬
dem sie ihre Waare erbetteln oder stehlen, können sie diese so billig absetzen,
daß jede rechtschaffene Concurrenz unmöglich wird. -- Eines der ausgebrei-
tetsten Geschäfte dieser Art ist der Brothaudel, der ungefähr so betrieben
wird: der Bettler begibt sich, versehen mit einem Sacke, in die nächste
Stadt und bittet dort nicht, wie andere, um Geld, sondern um Brot, was
dein vorgeblich Hungrigen fast niemals abgeschlagen wird. So zieht er von
Hans zu Haus nud wenn dann der Abend kommt und sein Sack gefüllt ist,
bringt .er das Brot auf die nächsten Oekonomiehöfe als Viehfutter zum
Verkauf. An dem Wohnorte des Verfassers ist dnrch diese Concurrenz eine
ziemliche Anzahl von Menschen anßer Nahrung gekommen, welche ihren Un¬
terhalt darin fanden, daß sie Spühlicht in der Stadt ein- und ans den
Höfen als Futter verkauften. Diese ehrlichen Leute können das Spnhlicht
nicht so wohlfeil liefern, als die Bettler das kostbare Brot, welches letztere
von den Käufern natürlich vorgezogen wird.

Ein ähnlicher Handel wird mit erbettelten und gestohlenen Kleidern,
Schuhen, Zeugen n. s. w. getrieben, womit sie ans dem platten Lande hau-
siren und gleichfalls jede ehrliche Concurrenz vernichten.

Der Kern des Uebels liegt in dem Bestehen des Proletariates, und dieses
hat bereits so feste Wurzel geschlagen, daß Gewerbe entstehen konnten, welche
nur innerhalb des Proletariats ihren Geschäftskreis haben und dasselbe somit
gewissermaßen förmlich constituiren. Am Merkwürdigsten in dieser Beziehung
sind die Vagabundenbanquiers. An den meisten Polizeistellcn nämlich pflegt
man den aufgegriffenen Vagabunden das sogenannte Bettelgeld zu con-


den abenteuernden Rittern deö Mittelalters, ohne bestimmten Zweck, überall
die Gelegenheit erspähend und erwartend. Hier bitten sie um Arbeit, um
den Brodherrn zu bestehlen; dort spielen sie die Gebrechlichen, um das Mit¬
leid zu erregen. Sie erscheinen als wandernde Musikanten, Orgelspieler und
Seiltänzer, als beklagenswerthe Eltern verkrüppelter .Kinder, die sie oft um
hohe Preise miethen, wenn sie solche unglückliche Wesen nicht selber besitzen.
So umschwärmen sie die Städte und locken oder zwingen der Gesellschaft
den Tribut ab, dem diese nicht entgehen kann, weil er immer wieder unter
neuer Form gefordert wird, weil das Mitleid, das sie zu erregen wissen,
in der menschlichen Natur so tief begründet ist, daß selbst die Vernunft da¬
vor verstummen muß; man weiß, daß das Almosengeben mehr Böses als
Gutes stiftet, aber mau gibt dennoch!

Allein nicht nnr durch unmittelbare Beeinträchtigung, als Bettel, Dieb-
stahl und Betrug, bekriege» sie die Gesellschaft, sondern sie untergraben die¬
selbe auch mittelbar durch scheinbar erlaubten, ehrlichen Handel. Denn in¬
dem sie ihre Waare erbetteln oder stehlen, können sie diese so billig absetzen,
daß jede rechtschaffene Concurrenz unmöglich wird. — Eines der ausgebrei-
tetsten Geschäfte dieser Art ist der Brothaudel, der ungefähr so betrieben
wird: der Bettler begibt sich, versehen mit einem Sacke, in die nächste
Stadt und bittet dort nicht, wie andere, um Geld, sondern um Brot, was
dein vorgeblich Hungrigen fast niemals abgeschlagen wird. So zieht er von
Hans zu Haus nud wenn dann der Abend kommt und sein Sack gefüllt ist,
bringt .er das Brot auf die nächsten Oekonomiehöfe als Viehfutter zum
Verkauf. An dem Wohnorte des Verfassers ist dnrch diese Concurrenz eine
ziemliche Anzahl von Menschen anßer Nahrung gekommen, welche ihren Un¬
terhalt darin fanden, daß sie Spühlicht in der Stadt ein- und ans den
Höfen als Futter verkauften. Diese ehrlichen Leute können das Spnhlicht
nicht so wohlfeil liefern, als die Bettler das kostbare Brot, welches letztere
von den Käufern natürlich vorgezogen wird.

Ein ähnlicher Handel wird mit erbettelten und gestohlenen Kleidern,
Schuhen, Zeugen n. s. w. getrieben, womit sie ans dem platten Lande hau-
siren und gleichfalls jede ehrliche Concurrenz vernichten.

Der Kern des Uebels liegt in dem Bestehen des Proletariates, und dieses
hat bereits so feste Wurzel geschlagen, daß Gewerbe entstehen konnten, welche
nur innerhalb des Proletariats ihren Geschäftskreis haben und dasselbe somit
gewissermaßen förmlich constituiren. Am Merkwürdigsten in dieser Beziehung
sind die Vagabundenbanquiers. An den meisten Polizeistellcn nämlich pflegt
man den aufgegriffenen Vagabunden das sogenannte Bettelgeld zu con-


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[0288] den abenteuernden Rittern deö Mittelalters, ohne bestimmten Zweck, überall die Gelegenheit erspähend und erwartend. Hier bitten sie um Arbeit, um den Brodherrn zu bestehlen; dort spielen sie die Gebrechlichen, um das Mit¬ leid zu erregen. Sie erscheinen als wandernde Musikanten, Orgelspieler und Seiltänzer, als beklagenswerthe Eltern verkrüppelter .Kinder, die sie oft um hohe Preise miethen, wenn sie solche unglückliche Wesen nicht selber besitzen. So umschwärmen sie die Städte und locken oder zwingen der Gesellschaft den Tribut ab, dem diese nicht entgehen kann, weil er immer wieder unter neuer Form gefordert wird, weil das Mitleid, das sie zu erregen wissen, in der menschlichen Natur so tief begründet ist, daß selbst die Vernunft da¬ vor verstummen muß; man weiß, daß das Almosengeben mehr Böses als Gutes stiftet, aber mau gibt dennoch! Allein nicht nnr durch unmittelbare Beeinträchtigung, als Bettel, Dieb- stahl und Betrug, bekriege» sie die Gesellschaft, sondern sie untergraben die¬ selbe auch mittelbar durch scheinbar erlaubten, ehrlichen Handel. Denn in¬ dem sie ihre Waare erbetteln oder stehlen, können sie diese so billig absetzen, daß jede rechtschaffene Concurrenz unmöglich wird. — Eines der ausgebrei- tetsten Geschäfte dieser Art ist der Brothaudel, der ungefähr so betrieben wird: der Bettler begibt sich, versehen mit einem Sacke, in die nächste Stadt und bittet dort nicht, wie andere, um Geld, sondern um Brot, was dein vorgeblich Hungrigen fast niemals abgeschlagen wird. So zieht er von Hans zu Haus nud wenn dann der Abend kommt und sein Sack gefüllt ist, bringt .er das Brot auf die nächsten Oekonomiehöfe als Viehfutter zum Verkauf. An dem Wohnorte des Verfassers ist dnrch diese Concurrenz eine ziemliche Anzahl von Menschen anßer Nahrung gekommen, welche ihren Un¬ terhalt darin fanden, daß sie Spühlicht in der Stadt ein- und ans den Höfen als Futter verkauften. Diese ehrlichen Leute können das Spnhlicht nicht so wohlfeil liefern, als die Bettler das kostbare Brot, welches letztere von den Käufern natürlich vorgezogen wird. Ein ähnlicher Handel wird mit erbettelten und gestohlenen Kleidern, Schuhen, Zeugen n. s. w. getrieben, womit sie ans dem platten Lande hau- siren und gleichfalls jede ehrliche Concurrenz vernichten. Der Kern des Uebels liegt in dem Bestehen des Proletariates, und dieses hat bereits so feste Wurzel geschlagen, daß Gewerbe entstehen konnten, welche nur innerhalb des Proletariats ihren Geschäftskreis haben und dasselbe somit gewissermaßen förmlich constituiren. Am Merkwürdigsten in dieser Beziehung sind die Vagabundenbanquiers. An den meisten Polizeistellcn nämlich pflegt man den aufgegriffenen Vagabunden das sogenannte Bettelgeld zu con-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/288>, abgerufen am 01.09.2024.