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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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darf, ist auch jenes Mittel das allcrunsicherstc. Eine Revolution hervorzu¬
rufen, ist unter günstigen Umständen einem entschlossenen Willen wohl mög¬
lich; sie aber aufzuhalten oder zu leite", das vermag auch ein Mirabeau
nicht. Das Wort Gesetzlichkeit ist nun freilich ein ziemlich unbestimmtes,
und sagt im Wesentlichen nichts anderes, als was der Revolution entgegen¬
gesetzt ist. Daß dieser gesetzliche Weg nicht unnütz ist, zeigt die neue Wendung
der Dinge in Preußen; einer der wesentlichsten Wunsche des Liberalismus,
die Öffentlichkeit in deu gerichtlichen und politischen Angelegenheiten, hat
sich zum Theil schon Bahn gebrochen nud wird bald unbedingt gelten; ein
anderes, die Centralisation der ständischen Sonderiutercsscu ist wenigstens
mit großer Aussicht aus vollständige Ausbildung angebahnt. Die Regierung
möge sich in vornehmer Ferne halten wie sie wolle, sie steht doch innerhalb
des Volksbewußtseins, ihre Erkenntniß wie ihre Gesinnung ist nicht unab¬
hängig von dem Geist, der das Ganze bewegt. Und selbst in so fern man
sie dem Volke gegenüberstellt, gibt es Interessen genug, die eine Brücke
schlagen zwischen beiden, die fest und entschieden zu wahren, das sicherste
Mittel ist, einen vertragsmäßigen Zustand herzustellen. Was den zweiten
Vorwurf betrifft, daß die Liberale" durch ihre Gesetzlichkcits-Jdee in eine
halbe nud eben darum unwürdige Stellung verlockt werden, so kann freilich
nicht geleugnet werde", daß Aehnliches wohl vorkommt, aber doch viel we¬
niger als i" revolutionären Zeiten. Die Achselträgerei eines Barrere, die
Kriecherei vor dem schmutzigen Hause" des Volks ist jedenfalls eine eben so
unwürdige Richtung des Charakters, als selbst der Servilismus des Herren-
dienstcS. -- Wenn man endlich das Aufreiben der politischen Kräfte im klei¬
nen Kampf für schädlich hält, so ist es ein vollständiges Verkennen aller
politischen Bewegung; durch solche Reibungen werden die Kräfte nicht ab¬
genutzt, soudern gestählt. Je weiter das Feld des Kampfes sich ausbreitet,
desto intensiver wird die Energie der Gesammtheit. -- Daß die demokratische
Ausbildung der localen Kreise mit dein Fortschritt des politischen Liberalis¬
mus Hand in Hand geht, lehrt überall die Erfahrung.

Den Sozialiste" könnte ma" einfach antworten, zwei verschiedene Be¬
strebungen schließen sich darum noch nicht aus; der Liberalismus ist z. B. der
Förderung bestimmter industrieller Interessen darum noch nicht entgegen, weil
er nicht ausschließlich damit zu thun hat; er hat ebeu einen andern Gegen¬
stand. Allein in diesem Fall muß mau weiter gehe". Alle Tendenzen des
Sozialismus -- um uus nicht in's Unbestimmte zu verlieren, wollen wir
sagen, zunächst in Deutschland -- können nnr dann etwas erreichen, we"n
eine StaatSverändernng vorhergeht, ans dem einfache" Grunde, weil der


darf, ist auch jenes Mittel das allcrunsicherstc. Eine Revolution hervorzu¬
rufen, ist unter günstigen Umständen einem entschlossenen Willen wohl mög¬
lich; sie aber aufzuhalten oder zu leite», das vermag auch ein Mirabeau
nicht. Das Wort Gesetzlichkeit ist nun freilich ein ziemlich unbestimmtes,
und sagt im Wesentlichen nichts anderes, als was der Revolution entgegen¬
gesetzt ist. Daß dieser gesetzliche Weg nicht unnütz ist, zeigt die neue Wendung
der Dinge in Preußen; einer der wesentlichsten Wunsche des Liberalismus,
die Öffentlichkeit in deu gerichtlichen und politischen Angelegenheiten, hat
sich zum Theil schon Bahn gebrochen nud wird bald unbedingt gelten; ein
anderes, die Centralisation der ständischen Sonderiutercsscu ist wenigstens
mit großer Aussicht aus vollständige Ausbildung angebahnt. Die Regierung
möge sich in vornehmer Ferne halten wie sie wolle, sie steht doch innerhalb
des Volksbewußtseins, ihre Erkenntniß wie ihre Gesinnung ist nicht unab¬
hängig von dem Geist, der das Ganze bewegt. Und selbst in so fern man
sie dem Volke gegenüberstellt, gibt es Interessen genug, die eine Brücke
schlagen zwischen beiden, die fest und entschieden zu wahren, das sicherste
Mittel ist, einen vertragsmäßigen Zustand herzustellen. Was den zweiten
Vorwurf betrifft, daß die Liberale» durch ihre Gesetzlichkcits-Jdee in eine
halbe nud eben darum unwürdige Stellung verlockt werden, so kann freilich
nicht geleugnet werde», daß Aehnliches wohl vorkommt, aber doch viel we¬
niger als i» revolutionären Zeiten. Die Achselträgerei eines Barrere, die
Kriecherei vor dem schmutzigen Hause» des Volks ist jedenfalls eine eben so
unwürdige Richtung des Charakters, als selbst der Servilismus des Herren-
dienstcS. — Wenn man endlich das Aufreiben der politischen Kräfte im klei¬
nen Kampf für schädlich hält, so ist es ein vollständiges Verkennen aller
politischen Bewegung; durch solche Reibungen werden die Kräfte nicht ab¬
genutzt, soudern gestählt. Je weiter das Feld des Kampfes sich ausbreitet,
desto intensiver wird die Energie der Gesammtheit. — Daß die demokratische
Ausbildung der localen Kreise mit dein Fortschritt des politischen Liberalis¬
mus Hand in Hand geht, lehrt überall die Erfahrung.

Den Sozialiste» könnte ma» einfach antworten, zwei verschiedene Be¬
strebungen schließen sich darum noch nicht aus; der Liberalismus ist z. B. der
Förderung bestimmter industrieller Interessen darum noch nicht entgegen, weil
er nicht ausschließlich damit zu thun hat; er hat ebeu einen andern Gegen¬
stand. Allein in diesem Fall muß mau weiter gehe». Alle Tendenzen des
Sozialismus — um uus nicht in's Unbestimmte zu verlieren, wollen wir
sagen, zunächst in Deutschland — können nnr dann etwas erreichen, we»n
eine StaatSverändernng vorhergeht, ans dem einfache» Grunde, weil der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/284>, abgerufen am 01.09.2024.