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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Stndetttenlebet" in Heidelberg.



Will man deutsches Studentenleben in seiner verschiedenartigstell Ent-
wickelung kennen lernen, so uns! man es ni Heidelberg betrachten. Von
allen Hochschulen entfaltet sich dasselbe am Frischesten auf dieser, wo mancher¬
lei Verhältnisse es vorzugsweise begünstigen. Heidelberg ist nächst Berlin
die besuchteste Universität Deutschlands, die besonders auch Musensöhne in
bunter Mischung uicht aus unsern 38 Bundesstaaten, sondern fast aus allen
civilisirten Ländern Europa'S, ja der ganzen Welt in sich vereinigt. Das
Studentenverzeichniß zählt Namen ans Kurland wie aus der Havanna,
Briten wie Schweden', Walachen und Spanier auf. Berlin ist Alles, nur
kein Ort, wo sich das Studententhum in seiner Eigenthümlichkeit entwickeln
kann, deun es geht daselbst in der Masse gänzlich unter; in Heidelberg ver¬
mag eS dies aber vollkommen, denn es beherrscht die kleine Stadt, die nnr
durch ihre Universität Ansehen und Bedeutung erhält. Dazu sind die Hei¬
delberger lliiiversitätSgeseüe die freisinnigsten, und lassen der eigenen Lebens-
entwickelung deö Studenten den ungehindertsten Spielraum ohne jene ängst¬
liche Ueberwachnlig, die auf den preußischen Universitäten und in weit höhe¬
rem Grade noch in Marburg und Göttingen stattfindet. Die freiere politische
Lust, welche das ganze Großherzogthum Baden durchweht, kommt natürlich
der Universität in Heidelberg sehr zu Statten.

Die Studenten zerfallen hierin drei Klassen: in Corps-Studenten; daun
in solche, welche sich den größeren freieren Verbindungen, hier insgesammt die
"Reform-Partei" genannt, angeschlossen haben und endlich in die, welche
unbekümmert um all' dies Geer'eibc für sich im Kreise einiger Bekannten le¬
ben. Letztere, obgleich sie die Hälfte der ganzen Studentcnzahl ausmachen,
bieten zu wenig Stoff zu besonderer Charakteristik, sie leben theils fleißi¬
ger und solider, wie die dem beiden anderen Richtungen Angehörenden, theils
aber auch unsittlicher und verschwenderischer, da fast alle Individuen, welche
Neigung zum Spiel, Mädcheujägerei, kurz zu einem ungeregelten Lebens¬
wandel in sich fühlen, es vorziehen werden, sich mit einigen gleichgesiunteii


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Stndetttenlebet» in Heidelberg.



Will man deutsches Studentenleben in seiner verschiedenartigstell Ent-
wickelung kennen lernen, so uns! man es ni Heidelberg betrachten. Von
allen Hochschulen entfaltet sich dasselbe am Frischesten auf dieser, wo mancher¬
lei Verhältnisse es vorzugsweise begünstigen. Heidelberg ist nächst Berlin
die besuchteste Universität Deutschlands, die besonders auch Musensöhne in
bunter Mischung uicht aus unsern 38 Bundesstaaten, sondern fast aus allen
civilisirten Ländern Europa'S, ja der ganzen Welt in sich vereinigt. Das
Studentenverzeichniß zählt Namen ans Kurland wie aus der Havanna,
Briten wie Schweden', Walachen und Spanier auf. Berlin ist Alles, nur
kein Ort, wo sich das Studententhum in seiner Eigenthümlichkeit entwickeln
kann, deun es geht daselbst in der Masse gänzlich unter; in Heidelberg ver¬
mag eS dies aber vollkommen, denn es beherrscht die kleine Stadt, die nnr
durch ihre Universität Ansehen und Bedeutung erhält. Dazu sind die Hei¬
delberger lliiiversitätSgeseüe die freisinnigsten, und lassen der eigenen Lebens-
entwickelung deö Studenten den ungehindertsten Spielraum ohne jene ängst¬
liche Ueberwachnlig, die auf den preußischen Universitäten und in weit höhe¬
rem Grade noch in Marburg und Göttingen stattfindet. Die freiere politische
Lust, welche das ganze Großherzogthum Baden durchweht, kommt natürlich
der Universität in Heidelberg sehr zu Statten.

Die Studenten zerfallen hierin drei Klassen: in Corps-Studenten; daun
in solche, welche sich den größeren freieren Verbindungen, hier insgesammt die
„Reform-Partei" genannt, angeschlossen haben und endlich in die, welche
unbekümmert um all' dies Geer'eibc für sich im Kreise einiger Bekannten le¬
ben. Letztere, obgleich sie die Hälfte der ganzen Studentcnzahl ausmachen,
bieten zu wenig Stoff zu besonderer Charakteristik, sie leben theils fleißi¬
ger und solider, wie die dem beiden anderen Richtungen Angehörenden, theils
aber auch unsittlicher und verschwenderischer, da fast alle Individuen, welche
Neigung zum Spiel, Mädcheujägerei, kurz zu einem ungeregelten Lebens¬
wandel in sich fühlen, es vorziehen werden, sich mit einigen gleichgesiunteii


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[0275] Stndetttenlebet» in Heidelberg. Will man deutsches Studentenleben in seiner verschiedenartigstell Ent- wickelung kennen lernen, so uns! man es ni Heidelberg betrachten. Von allen Hochschulen entfaltet sich dasselbe am Frischesten auf dieser, wo mancher¬ lei Verhältnisse es vorzugsweise begünstigen. Heidelberg ist nächst Berlin die besuchteste Universität Deutschlands, die besonders auch Musensöhne in bunter Mischung uicht aus unsern 38 Bundesstaaten, sondern fast aus allen civilisirten Ländern Europa'S, ja der ganzen Welt in sich vereinigt. Das Studentenverzeichniß zählt Namen ans Kurland wie aus der Havanna, Briten wie Schweden', Walachen und Spanier auf. Berlin ist Alles, nur kein Ort, wo sich das Studententhum in seiner Eigenthümlichkeit entwickeln kann, deun es geht daselbst in der Masse gänzlich unter; in Heidelberg ver¬ mag eS dies aber vollkommen, denn es beherrscht die kleine Stadt, die nnr durch ihre Universität Ansehen und Bedeutung erhält. Dazu sind die Hei¬ delberger lliiiversitätSgeseüe die freisinnigsten, und lassen der eigenen Lebens- entwickelung deö Studenten den ungehindertsten Spielraum ohne jene ängst¬ liche Ueberwachnlig, die auf den preußischen Universitäten und in weit höhe¬ rem Grade noch in Marburg und Göttingen stattfindet. Die freiere politische Lust, welche das ganze Großherzogthum Baden durchweht, kommt natürlich der Universität in Heidelberg sehr zu Statten. Die Studenten zerfallen hierin drei Klassen: in Corps-Studenten; daun in solche, welche sich den größeren freieren Verbindungen, hier insgesammt die „Reform-Partei" genannt, angeschlossen haben und endlich in die, welche unbekümmert um all' dies Geer'eibc für sich im Kreise einiger Bekannten le¬ ben. Letztere, obgleich sie die Hälfte der ganzen Studentcnzahl ausmachen, bieten zu wenig Stoff zu besonderer Charakteristik, sie leben theils fleißi¬ ger und solider, wie die dem beiden anderen Richtungen Angehörenden, theils aber auch unsittlicher und verschwenderischer, da fast alle Individuen, welche Neigung zum Spiel, Mädcheujägerei, kurz zu einem ungeregelten Lebens¬ wandel in sich fühlen, es vorziehen werden, sich mit einigen gleichgesiunteii Gr-nMen. »I, Ili-i7.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/275>, abgerufen am 27.07.2024.