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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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noch bis auf 30,000 Pf. Se. angelaufen. Es ist übrigens eine alte Sache,
daß man ohne einen solchen Kostenaufwand nicht Mitglied des englischen Parla¬
mentes werden kann, und je bedeutender der Posten, je höher steigt die Summe,
die Kosten zu decken. Man kann es daher nur loben, daß sie das Mittel nicht
gescheut haben, das hier allein zum Zwecke führte, und muß das um so mehr
thun, indem in der jetzigen Zeit der Sieg der Juden über veraltete Vorurtheile
auch zugleich der für alle Dissenters oder individuell nach ihrer Ueberzeugung
glaubenden Personen ist, und so hangt in gewissem Sinne die Freiheit des Ge¬
dankens -- das erste der Menschenrechte -- für den Augenblick eng mit der
bürgerlichen Stellung der Juden zusammen.

Da für dies Jahr das Parlament geschlossen ist, wird Baron Rothschild
erst im nächsten Sitz und Stimme einnehmen, und daß er dies werde, darüber
hegt man jetzt fast keinen Zweifel mehr. Diese ersten Tage des Angust werden
nun noch mit den übrigen nicht ganz beendeten Wahlen verbracht werden, und
dann stäubt Alles so schnell auseinander, als man nur kann, und London bleibt
eine große Wüste, bis die kalten Wintertage nach und nach Leben und Bewegung
in seine verödeten Mauern zurückbringen. Die Königin ist schon in der letzten
Woche fortgegangen und schwimmt jetzt mit dem Prinzen Albert und ihren Kin¬
dern ans der See umher. Viele der ersten Familien sind gleichfalls schon
lauge durch die Hitze davongejagt. Die Hitze ist entsetzlich; der Nasen sieht
gelb und verbraunt guf, und die Bäume in den Parks und Squares haben ein
so bestaubtes, müdes, abgelebtes Ansehen, wie eine Schöne, die die ganze Saison
hindurch keinen einzigen Ball verfehlt hat. Bald wird es ganz traurig hier sein,
denn auch die Wenigen, die hier zu bleiben durch pecuniärc Verhältnisse gezwun¬
gen sind, schämen sich, ihr Angesicht Iiors dö sirison zu zeigen, und verschließen
daher nicht allein ihr Hans jedem Besuche, sondern lassen auch noch die ganze
Fronte desselben dicht mit Leder versichern, damit man auch glaube, daß sie nicht
dimne -- deun es ist ja der Schein und nicht die Wahrheit, vor der sie sich
schämen. Sie leben indessen stille in einem dunkeln Hinterstübchen, und wagen
sich nnr dann und wann ganz früh aus ihrer Behausung, fürchtend, daß man sie
wie Diebe aus der That ertappe; bis daun endlich die Stunde schlägt, wo sie
aus ihrem Retiro hervorgehen, und mit gutem Gewissen und hoch erhobener
Stirne aus ihrem Salon wieder aus die Straßen Londons herabschauen können.
Diese kleinen Opfer, die man so häufig pour les convenances gebracht sieht,
müssen doch eine stille Befriedigung gewähren, eben weil man sie gebracht sieht.
Wo wäre sonst die Entschädigung? --

Ueber die Ernte laufen fortwährend die günstigsten Berichte ein, und das
Brot ist schon bedeutend im Preise gefallen. Aus Irland laust aber eine ori¬
ginelle Nachricht ein. Ein Herr Caastwood hatte von Lord Haddnigton ein paar
Körner Weizen bekommen, die dieser einer Mnmmie entnommen, die er aus Egyp-
ten mitgebracht, und dieselben auf seinem Felde in der Nachbarschaft von Dun-
dalk gesäet. Er sand das Resultat über alle Begriffe günstig, und das Stroh
sogar einen Fuß länger, als das des gewöhnlichen Weizens. Die englischen
Blätter rathen nun an. da dieser Mummen-Weizen dem irischen Boden beson-


noch bis auf 30,000 Pf. Se. angelaufen. Es ist übrigens eine alte Sache,
daß man ohne einen solchen Kostenaufwand nicht Mitglied des englischen Parla¬
mentes werden kann, und je bedeutender der Posten, je höher steigt die Summe,
die Kosten zu decken. Man kann es daher nur loben, daß sie das Mittel nicht
gescheut haben, das hier allein zum Zwecke führte, und muß das um so mehr
thun, indem in der jetzigen Zeit der Sieg der Juden über veraltete Vorurtheile
auch zugleich der für alle Dissenters oder individuell nach ihrer Ueberzeugung
glaubenden Personen ist, und so hangt in gewissem Sinne die Freiheit des Ge¬
dankens — das erste der Menschenrechte — für den Augenblick eng mit der
bürgerlichen Stellung der Juden zusammen.

Da für dies Jahr das Parlament geschlossen ist, wird Baron Rothschild
erst im nächsten Sitz und Stimme einnehmen, und daß er dies werde, darüber
hegt man jetzt fast keinen Zweifel mehr. Diese ersten Tage des Angust werden
nun noch mit den übrigen nicht ganz beendeten Wahlen verbracht werden, und
dann stäubt Alles so schnell auseinander, als man nur kann, und London bleibt
eine große Wüste, bis die kalten Wintertage nach und nach Leben und Bewegung
in seine verödeten Mauern zurückbringen. Die Königin ist schon in der letzten
Woche fortgegangen und schwimmt jetzt mit dem Prinzen Albert und ihren Kin¬
dern ans der See umher. Viele der ersten Familien sind gleichfalls schon
lauge durch die Hitze davongejagt. Die Hitze ist entsetzlich; der Nasen sieht
gelb und verbraunt guf, und die Bäume in den Parks und Squares haben ein
so bestaubtes, müdes, abgelebtes Ansehen, wie eine Schöne, die die ganze Saison
hindurch keinen einzigen Ball verfehlt hat. Bald wird es ganz traurig hier sein,
denn auch die Wenigen, die hier zu bleiben durch pecuniärc Verhältnisse gezwun¬
gen sind, schämen sich, ihr Angesicht Iiors dö sirison zu zeigen, und verschließen
daher nicht allein ihr Hans jedem Besuche, sondern lassen auch noch die ganze
Fronte desselben dicht mit Leder versichern, damit man auch glaube, daß sie nicht
dimne — deun es ist ja der Schein und nicht die Wahrheit, vor der sie sich
schämen. Sie leben indessen stille in einem dunkeln Hinterstübchen, und wagen
sich nnr dann und wann ganz früh aus ihrer Behausung, fürchtend, daß man sie
wie Diebe aus der That ertappe; bis daun endlich die Stunde schlägt, wo sie
aus ihrem Retiro hervorgehen, und mit gutem Gewissen und hoch erhobener
Stirne aus ihrem Salon wieder aus die Straßen Londons herabschauen können.
Diese kleinen Opfer, die man so häufig pour les convenances gebracht sieht,
müssen doch eine stille Befriedigung gewähren, eben weil man sie gebracht sieht.
Wo wäre sonst die Entschädigung? —

Ueber die Ernte laufen fortwährend die günstigsten Berichte ein, und das
Brot ist schon bedeutend im Preise gefallen. Aus Irland laust aber eine ori¬
ginelle Nachricht ein. Ein Herr Caastwood hatte von Lord Haddnigton ein paar
Körner Weizen bekommen, die dieser einer Mnmmie entnommen, die er aus Egyp-
ten mitgebracht, und dieselben auf seinem Felde in der Nachbarschaft von Dun-
dalk gesäet. Er sand das Resultat über alle Begriffe günstig, und das Stroh
sogar einen Fuß länger, als das des gewöhnlichen Weizens. Die englischen
Blätter rathen nun an. da dieser Mummen-Weizen dem irischen Boden beson-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/273>, abgerufen am 01.09.2024.