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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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nicht die Rede sein; im Gegentheil nur von einer übertriebenen großonkelhaftcn
BesorgliclMt für die artige Aufführung von Landeskindern, die meistens erwach¬
sene Leute und oft ehrbare Familienväter sind. Denken Sie sich einen Necken,
der vielleicht morgen schon Europa erschüttern und Deutschland zum Weltherr-
scher machen soll und dem die Gouvernante heute noch verbietet, aus der Gasse
mit Nachbars Kindern zu spielen, um sich nicht die neuen Höschen zu beschmutzen.
Das muß weher thun als Ohrfeigen. So wurde jüngst in Offenbach das ge¬
meinsame Turnen untersagt, obwohl der Magistrat sich dafür verwendete mit
der Versicherung, daß es bereits viel für -- Kraft und Gesundheit? nein, so
materiell sind wir nicht, sondern für -- die Gesittung des Volkes gewirkt
habe. Es blieb untersagt, d. h. das "gemeinsame" Turnspicl. Auf seiner Stube
darf Jeder Purzelbäume machen, so viel er will; wie man hört, sollen sogar in
allen Zellen der neuen pensilvanischen Gefängnisse in Deutschland Turuapparate
angebracht werden; ein Beweis, daß das Turnen in der Stubenluft dem deut¬
schen Temperament besonders angemessen erachtet wird. Natürlich werden solche
Maßregeln im Auslande falsch verstanden und dann stellt man sich unter den
Turnern Carbonaris, Commuueros oder Kommunisten vor. Was mau bei Ihnen
von großartigen Gährungen und von gefährlichem Mißvergnügen in Deutschland
fabelt, besteht in Wirklichkeit mir aus kleinen Zank- und Strafscenen, wie sie in
jeder großen Haushaltung vorfallen. Die Gouvernante ist grade einmal mit dem
unrechten Fuß aus dem Bett gestiegen und fängt in aller Frühe zu katechisircn
an: Wie oft muß ich Dir noch die allerersten und einfachsten Lebensregeln wie¬
derholen, Sohn Hermann's! Dn sollst den Namen Deines Landesvaters nicht
eitel aussprechen; eS ist gegen die Religion. -- Du sollst nicht im Thiergarten
rauchen, denn Du verjagst die Mücken dadurch, und das ist Thierquälerei. --
Du sollst nicht bei öffentlicher Gelegenheit zu laut reden, es ist gegen den An¬
stand, und nicht in großer Gesellschaft turnen, denn Du kannst Dir vor allen
Leuten die Beinkleider zerreißen und das ist gegen die Sittlichkeit. . . Dann
fängt der Sohn Hcrrmanns erst zu bitten, zu schmollen, endlich zu weinen an
und ruft: Aber soll ich denn gar kein Vergnügen haben? --- Wer sagt, Du
sollest kein Vergnügen haben? Iß Pferdefleisch. Ich habe durchaus nichts gegen
eine ordentliche und sittsame Unterhaltung. Das Pferdefleischesscn ist zeitgemäß
und patriotisch, denn wir Deutschen haben es zuerst aufgebracht. All' die Leute,
die sich damit abgeben, sind ruhige, artige, christliche Bürgersleute. Solche Ge¬
sellschaft darfst Du ungefragt besuchen. -- Und der Sohn Herrmanns geht hin
und ißt ans Langeweile Fleisch von Stuten, Fleisch von Hengsten, anch Fleisch
von Schindmähren und ist beruhigt. -- Also sprach ich mit einem imaginären
Ausländer eine Viertelstunde lang und fühlte mich erleichtert.


II.
Die Handwerksburschen und die Postbeamten.
Entgegnung.

Eine wohllöbliche Redaction der Grenzboten wird ganz ergebenst gebeten,
daß, falls über den im 6. Jahrgang, No. 1Z, I. Semester enthaltenen Aufsatz:


nicht die Rede sein; im Gegentheil nur von einer übertriebenen großonkelhaftcn
BesorgliclMt für die artige Aufführung von Landeskindern, die meistens erwach¬
sene Leute und oft ehrbare Familienväter sind. Denken Sie sich einen Necken,
der vielleicht morgen schon Europa erschüttern und Deutschland zum Weltherr-
scher machen soll und dem die Gouvernante heute noch verbietet, aus der Gasse
mit Nachbars Kindern zu spielen, um sich nicht die neuen Höschen zu beschmutzen.
Das muß weher thun als Ohrfeigen. So wurde jüngst in Offenbach das ge¬
meinsame Turnen untersagt, obwohl der Magistrat sich dafür verwendete mit
der Versicherung, daß es bereits viel für — Kraft und Gesundheit? nein, so
materiell sind wir nicht, sondern für — die Gesittung des Volkes gewirkt
habe. Es blieb untersagt, d. h. das „gemeinsame" Turnspicl. Auf seiner Stube
darf Jeder Purzelbäume machen, so viel er will; wie man hört, sollen sogar in
allen Zellen der neuen pensilvanischen Gefängnisse in Deutschland Turuapparate
angebracht werden; ein Beweis, daß das Turnen in der Stubenluft dem deut¬
schen Temperament besonders angemessen erachtet wird. Natürlich werden solche
Maßregeln im Auslande falsch verstanden und dann stellt man sich unter den
Turnern Carbonaris, Commuueros oder Kommunisten vor. Was mau bei Ihnen
von großartigen Gährungen und von gefährlichem Mißvergnügen in Deutschland
fabelt, besteht in Wirklichkeit mir aus kleinen Zank- und Strafscenen, wie sie in
jeder großen Haushaltung vorfallen. Die Gouvernante ist grade einmal mit dem
unrechten Fuß aus dem Bett gestiegen und fängt in aller Frühe zu katechisircn
an: Wie oft muß ich Dir noch die allerersten und einfachsten Lebensregeln wie¬
derholen, Sohn Hermann's! Dn sollst den Namen Deines Landesvaters nicht
eitel aussprechen; eS ist gegen die Religion. — Du sollst nicht im Thiergarten
rauchen, denn Du verjagst die Mücken dadurch, und das ist Thierquälerei. —
Du sollst nicht bei öffentlicher Gelegenheit zu laut reden, es ist gegen den An¬
stand, und nicht in großer Gesellschaft turnen, denn Du kannst Dir vor allen
Leuten die Beinkleider zerreißen und das ist gegen die Sittlichkeit. . . Dann
fängt der Sohn Hcrrmanns erst zu bitten, zu schmollen, endlich zu weinen an
und ruft: Aber soll ich denn gar kein Vergnügen haben? —- Wer sagt, Du
sollest kein Vergnügen haben? Iß Pferdefleisch. Ich habe durchaus nichts gegen
eine ordentliche und sittsame Unterhaltung. Das Pferdefleischesscn ist zeitgemäß
und patriotisch, denn wir Deutschen haben es zuerst aufgebracht. All' die Leute,
die sich damit abgeben, sind ruhige, artige, christliche Bürgersleute. Solche Ge¬
sellschaft darfst Du ungefragt besuchen. — Und der Sohn Herrmanns geht hin
und ißt ans Langeweile Fleisch von Stuten, Fleisch von Hengsten, anch Fleisch
von Schindmähren und ist beruhigt. — Also sprach ich mit einem imaginären
Ausländer eine Viertelstunde lang und fühlte mich erleichtert.


II.
Die Handwerksburschen und die Postbeamten.
Entgegnung.

Eine wohllöbliche Redaction der Grenzboten wird ganz ergebenst gebeten,
daß, falls über den im 6. Jahrgang, No. 1Z, I. Semester enthaltenen Aufsatz:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/256>, abgerufen am 27.07.2024.