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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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England befragt bei all seinen Maßnahmen nur seine eigene Wohlfahrt.
Thun wir desgleichen!"

Nach diesen allgemeinen Betrachtungen geht der Verfasser auf die Ver-
waltungs-, Geld-, Zoll- und Handclsreformen des Pcelschen Ministeriums
über. Englands Geschichte ist kein Räthsel, ihre Schickungen stehen in
genauem Zusammenhang. Die alte Schuld, welche zuerst das angelsächsische
Volk, dann das irische um Grund und Boden gebracht, und diesen in die
Hände weniger mächtigen Geschlechter als Eigenthum vereint hat, ans dem
die Masse der Bevölkerung spärlich in zum Theil schmählichem Pacht und
niederer Dienstbarkeit lebt -- diese Schuld ist nicht gesühnt, und ohne
neues Ungemach wird sie nicht gesühnt werden. Bis an die Wurzel des
Schadens muß das Messer des Arztes, in die Tiefen der Zustände der länd¬
lichen und städtischen Bevölkerung in das Heiligthum des historischen Be¬
sitzes -- in die Vertheilung des Bodens muß die Reform siegend dringen,
damit alle Volksklassen dauernd versöhnt, damit Englands Staatsverfassung
und Volkswescn wieder ganz, heil und gesund werden können. -- Die Re-
formbill war ein Sieg der Mittelklasse, erfochten mit Hülfe der arbeiten¬
den Massen. Nach dem ersten Sieg schüttelte die Mittelklasse die Helfer
wieder ab, die sich in die Tiefe des Chartismus verloren; dagegen machte
sie Gebrauch von ihren neuen Rechten im Streben dahin, den verhaßten
Zoll aufzuheben, durch welchen die Erzeugnisse des eigenen, der Nation ent¬
rissenen Bodens, vertheuert werde". Die Verblendung der Landaristokratie
trieb die Whigs vom Amte. Wer aber folgte ihnen? Nicht die Landlords,
welche da meinten, mit unverhüllten Eigennutz, daß Landinteresse dürfe sei¬
nem Selbstvortheil die Landesinteressen. opfern, sondern ein Emporkömmling
Peel, den die Partei als ihren ersten Geschäftsmann, als ein geschicktes
Werkzeug zu nutzen gedachte, um das Unterhaus zu leiten. Wenn Peel
nun auch sich bald genug in die Lahn gedrängt sah, aus der er die
Vorgänger im Amte warf -- denn Naturgesetzen entwindet sich Niemand --
so war er doch grade der geeignete Mann, der eine Versöhnung der Mittel¬
klasse als Geld- und HandclSaristokratie mit der Landaristvkratie versuchen
und die Geschäfte mit Besonnenheit dahin leiten konnte. -- Die Schilde¬
rung dieser Reformen bis auf die neueste Gestaltung und ihre detaillirte
Motivirung ist wohl der gelungenste und lehrreichste Theil des ganzen Werks;
lehrreich nicht allein für den Freund historischer Forschungen, sondern beson¬
ders für den Staatsmann. Peel erscheint in dieser Darstellung, wie wir
ihn immer aufgefaßt haben, nicht als ein entschlossener Macchiavell, der von
vorneherein dieselbe Tendenz mit den entgegengesetztesten Mitteln verfolgt habe,


England befragt bei all seinen Maßnahmen nur seine eigene Wohlfahrt.
Thun wir desgleichen!"

Nach diesen allgemeinen Betrachtungen geht der Verfasser auf die Ver-
waltungs-, Geld-, Zoll- und Handclsreformen des Pcelschen Ministeriums
über. Englands Geschichte ist kein Räthsel, ihre Schickungen stehen in
genauem Zusammenhang. Die alte Schuld, welche zuerst das angelsächsische
Volk, dann das irische um Grund und Boden gebracht, und diesen in die
Hände weniger mächtigen Geschlechter als Eigenthum vereint hat, ans dem
die Masse der Bevölkerung spärlich in zum Theil schmählichem Pacht und
niederer Dienstbarkeit lebt — diese Schuld ist nicht gesühnt, und ohne
neues Ungemach wird sie nicht gesühnt werden. Bis an die Wurzel des
Schadens muß das Messer des Arztes, in die Tiefen der Zustände der länd¬
lichen und städtischen Bevölkerung in das Heiligthum des historischen Be¬
sitzes — in die Vertheilung des Bodens muß die Reform siegend dringen,
damit alle Volksklassen dauernd versöhnt, damit Englands Staatsverfassung
und Volkswescn wieder ganz, heil und gesund werden können. — Die Re-
formbill war ein Sieg der Mittelklasse, erfochten mit Hülfe der arbeiten¬
den Massen. Nach dem ersten Sieg schüttelte die Mittelklasse die Helfer
wieder ab, die sich in die Tiefe des Chartismus verloren; dagegen machte
sie Gebrauch von ihren neuen Rechten im Streben dahin, den verhaßten
Zoll aufzuheben, durch welchen die Erzeugnisse des eigenen, der Nation ent¬
rissenen Bodens, vertheuert werde». Die Verblendung der Landaristokratie
trieb die Whigs vom Amte. Wer aber folgte ihnen? Nicht die Landlords,
welche da meinten, mit unverhüllten Eigennutz, daß Landinteresse dürfe sei¬
nem Selbstvortheil die Landesinteressen. opfern, sondern ein Emporkömmling
Peel, den die Partei als ihren ersten Geschäftsmann, als ein geschicktes
Werkzeug zu nutzen gedachte, um das Unterhaus zu leiten. Wenn Peel
nun auch sich bald genug in die Lahn gedrängt sah, aus der er die
Vorgänger im Amte warf — denn Naturgesetzen entwindet sich Niemand —
so war er doch grade der geeignete Mann, der eine Versöhnung der Mittel¬
klasse als Geld- und HandclSaristokratie mit der Landaristvkratie versuchen
und die Geschäfte mit Besonnenheit dahin leiten konnte. — Die Schilde¬
rung dieser Reformen bis auf die neueste Gestaltung und ihre detaillirte
Motivirung ist wohl der gelungenste und lehrreichste Theil des ganzen Werks;
lehrreich nicht allein für den Freund historischer Forschungen, sondern beson¬
ders für den Staatsmann. Peel erscheint in dieser Darstellung, wie wir
ihn immer aufgefaßt haben, nicht als ein entschlossener Macchiavell, der von
vorneherein dieselbe Tendenz mit den entgegengesetztesten Mitteln verfolgt habe,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/244>, abgerufen am 01.09.2024.