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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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zu lösen und wie in feindliche Lager auszuscheiden, namentlich treten Acker¬
bau und Fabrikindustrie, die von Natur zusammengehören, sich schroff gegen¬
über. Diese feindselige Scheidung und die Folge davon die übermäßige
Concentrirung der Fabrik- und Handelsgewerkc, gegenüber dem wenig zer¬
schlagenen Grundbesitz, ist Englands Krebsschaden. Bei weiterem Fortschreiten
dieses Uebels kann die auflösende und centrifugale Kraft im Staat bei un¬
günstigen Zeitläuften dermaßen anwachsen, daß sie stärker wird als die
Zähigkeit der Fäden, welche die Staatspotenzen bisher verbanden und das
Gleichgewicht sicherten. Damit aber beginne eine Revolution, deren wahre
Urheber uicht diejenigen wären, welche dem Triebe der Natur, dem Gebote
der Noth folgten, sondern die, so diese verkennen und sich, wie's ihr Beruf
heischte, uicht anschicken die Ursachen davon zu beseitigen. Jene Lebensfaden
bis zum Zerreißen auf beiden Seiten anspannen zu lassen, wäre ein heilloser
politischer Fehler, dem vorzubeugen vielleicht eine der geschichtlichen Aufgaben
ist, welche dem Königthum durch entschiedenes Eingreifen in England vor¬
behalten sind. -- Noch bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts besaß jeder
Bauer in England, der nie hörig gewesen, einigen Antheil an Grund und
Boden; seitdem aber ist er durch eine lange Reihe von ungünstigen Ereig¬
nissen fast ganz davon losgerissen worden: kurz, England hat keinen
Bauernstand mehr. -- Die Gefahr wird von vielen erkannt, und
manche vereinzelte Anstrengungen geschehen, ihr zu begegnen. Die Abschaf¬
fung der Getreidezölle muß einen bedeutenden Ruck zuwege bringen, weil
sie Bodenwerth und Arbeitslohn wieder ziemlich miteinander aussöhnt und das
Interesse der Grundbesitzer mehr mit einer größern Theilung und audern
Bewirthschaftung des Bodens in Einklang setzt. Auch tauchen besondere
Pläne auf, die auf größere Verkeilung des Bodens hinzielen. Den Grund¬
herren wird das Ablassen von Feld und Arbeiter, behufs der Zwergwirth-
schast als Nebenbeschäftigung, zur Erzielung einer höhern Bodenrenke sehr
an's Herz gelegt; die Erbpacht wird dringend empfohlen an Stelle der Zeit¬
pacht, und Reform der Pachtverhältnisse in England, und noch mehr in
Irland dürfte bald allgemeines Losungswort werden.

Dann wird auf die Handels- und Finanzpolitik unter dem Einfluß des
Grundbesitzes eingegangen, und die Geschichte derselben an den Systemen
von R. Walpole, W. Pitt und Huskisson entwickelt, die Bedeutung der
Getreidezölle dargethan und ihr Einfluß ans die Zersetzung der alten aristo¬
kratischen Parteien und die Bildung neuer demokratischer (der Freetraders,
deren Bündniß durch die Peel'sche Gesetzgebung des vorigen Jahres ihr Ziel
und ihr Ende erreicht hat; der Radikalen und der Chartisten) nachgewiesen.


zu lösen und wie in feindliche Lager auszuscheiden, namentlich treten Acker¬
bau und Fabrikindustrie, die von Natur zusammengehören, sich schroff gegen¬
über. Diese feindselige Scheidung und die Folge davon die übermäßige
Concentrirung der Fabrik- und Handelsgewerkc, gegenüber dem wenig zer¬
schlagenen Grundbesitz, ist Englands Krebsschaden. Bei weiterem Fortschreiten
dieses Uebels kann die auflösende und centrifugale Kraft im Staat bei un¬
günstigen Zeitläuften dermaßen anwachsen, daß sie stärker wird als die
Zähigkeit der Fäden, welche die Staatspotenzen bisher verbanden und das
Gleichgewicht sicherten. Damit aber beginne eine Revolution, deren wahre
Urheber uicht diejenigen wären, welche dem Triebe der Natur, dem Gebote
der Noth folgten, sondern die, so diese verkennen und sich, wie's ihr Beruf
heischte, uicht anschicken die Ursachen davon zu beseitigen. Jene Lebensfaden
bis zum Zerreißen auf beiden Seiten anspannen zu lassen, wäre ein heilloser
politischer Fehler, dem vorzubeugen vielleicht eine der geschichtlichen Aufgaben
ist, welche dem Königthum durch entschiedenes Eingreifen in England vor¬
behalten sind. — Noch bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts besaß jeder
Bauer in England, der nie hörig gewesen, einigen Antheil an Grund und
Boden; seitdem aber ist er durch eine lange Reihe von ungünstigen Ereig¬
nissen fast ganz davon losgerissen worden: kurz, England hat keinen
Bauernstand mehr. — Die Gefahr wird von vielen erkannt, und
manche vereinzelte Anstrengungen geschehen, ihr zu begegnen. Die Abschaf¬
fung der Getreidezölle muß einen bedeutenden Ruck zuwege bringen, weil
sie Bodenwerth und Arbeitslohn wieder ziemlich miteinander aussöhnt und das
Interesse der Grundbesitzer mehr mit einer größern Theilung und audern
Bewirthschaftung des Bodens in Einklang setzt. Auch tauchen besondere
Pläne auf, die auf größere Verkeilung des Bodens hinzielen. Den Grund¬
herren wird das Ablassen von Feld und Arbeiter, behufs der Zwergwirth-
schast als Nebenbeschäftigung, zur Erzielung einer höhern Bodenrenke sehr
an's Herz gelegt; die Erbpacht wird dringend empfohlen an Stelle der Zeit¬
pacht, und Reform der Pachtverhältnisse in England, und noch mehr in
Irland dürfte bald allgemeines Losungswort werden.

Dann wird auf die Handels- und Finanzpolitik unter dem Einfluß des
Grundbesitzes eingegangen, und die Geschichte derselben an den Systemen
von R. Walpole, W. Pitt und Huskisson entwickelt, die Bedeutung der
Getreidezölle dargethan und ihr Einfluß ans die Zersetzung der alten aristo¬
kratischen Parteien und die Bildung neuer demokratischer (der Freetraders,
deren Bündniß durch die Peel'sche Gesetzgebung des vorigen Jahres ihr Ziel
und ihr Ende erreicht hat; der Radikalen und der Chartisten) nachgewiesen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/242>, abgerufen am 01.09.2024.