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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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andern kann ihm vorgeworfen werden, daß er seine zur Theil völlig freie
und gesicherte Stellung viel zu wenig benutzt, um der Intelligenz zum Sieg
über die bloße Gewalt zu verhelfen." -- "Um einigermaßen ein Gleichge¬
wicht herzustellen, ist erforderlich, daß die Regierung die vorherrschende
Begünstigung der industriellen Mittelklasse zurückziehe und sie den minder
begüterten und besitzlosen Ständen zuwende. Durch diese Aenderung im
System wird sie zwar in die Lage gerathen, für ihre eignen großen Industrie-
Unternehmungen weniger Kräfte aufbieten und in Bewegung setzen zu kön¬
nen, dagegen gewinnt sie den Vortheil, daß sie nicht in noch größere Ab¬
hängigkeit vom Mittelstande geräth und daß sie ihm an dem emporgebrachten
unter" Gewerbstand ein Gegengewicht setzen, und was in dem andern Factor
der Nationalöconomie, an der Landwirthschaft nämlich, versäumt ist, mittler¬
weile nachholen kann, wodurch, wenn in dieser Weise vorgegangen wird,
zuletzt das erfreuliche Resultat einer gleichförmigen Entfaltung und Wirk¬
samkeit der Kräfte herauskommt, während die längere Beibehaltung über¬
wiegender Thätigkeit zu Gunsten des industriellen Mittelstandes zu Diffa>
renzen führen könnte, die später gar nicht mehr auszugleichen wären."

Am Schlimmsten kommt der Adel weg. "Er hat das Verständniß ed¬
lerer Beweggründe bis auf die Erinnerung verloren, daß sie da sind, und
die Brust des Patrioten füllen. Die grobe Selbstsucht, der er leibeigen
geworden ist, macht ihn überall uur wieder Selbstsucht heraussehen, daher
er Jeden für seinen Feind hält und feindlich behandelt, der ihm die Wahr¬
heit sagt." -- "Während der Adel seine Reichthümer jetzt zu niedrigen
Zwecken und in einer gemeinen Genußsucht vergeudet, wird er, sobald es
keine audern Mittel mehr gibt, sich Geltung zu verschaffen, den Ruhm ge¬
meinnütziger Leistungen suchen müssen und neuerdings mit dein Glänze sich
umgeben, den die Gönnerschaft der Künste und Wissenschaften verleiht. Er
wird die hirnverbrannten Ideen von den Rechten und Vorzügen der Geburt
fahren lassen, wenn er sie nicht mehr geltend machen kann. Da er aber
aus freiem Antrieb zu dieser Wiedergeburt nie gelangen würde, wenn er
nicht Zwang erführe, so muß dieser eintreten, was geschieht, wenn die Ne¬
gierung ihn verläßt und dem Volke sich zuneigt."

Eben so schlimm steht es mit dem Clerus. "Um sich zu legitimiren,
daß einer ein guter Christ sei, und um den Verdacht des Atheismus und
Jndifferentismus abzulehnen, bedürfte und bedarf es nur der genauen Befol¬
gung aller äußern Religionsgebräuche und allenfalls noch der Declaration, ein
Jesuitenfrennd zu sein. Die Frömmelei derer, die in Staatsangelegenheiten
einen Einfluß hatten, charakterisirt sich außer der rigorosesten äußern Ne-


andern kann ihm vorgeworfen werden, daß er seine zur Theil völlig freie
und gesicherte Stellung viel zu wenig benutzt, um der Intelligenz zum Sieg
über die bloße Gewalt zu verhelfen." — „Um einigermaßen ein Gleichge¬
wicht herzustellen, ist erforderlich, daß die Regierung die vorherrschende
Begünstigung der industriellen Mittelklasse zurückziehe und sie den minder
begüterten und besitzlosen Ständen zuwende. Durch diese Aenderung im
System wird sie zwar in die Lage gerathen, für ihre eignen großen Industrie-
Unternehmungen weniger Kräfte aufbieten und in Bewegung setzen zu kön¬
nen, dagegen gewinnt sie den Vortheil, daß sie nicht in noch größere Ab¬
hängigkeit vom Mittelstande geräth und daß sie ihm an dem emporgebrachten
unter» Gewerbstand ein Gegengewicht setzen, und was in dem andern Factor
der Nationalöconomie, an der Landwirthschaft nämlich, versäumt ist, mittler¬
weile nachholen kann, wodurch, wenn in dieser Weise vorgegangen wird,
zuletzt das erfreuliche Resultat einer gleichförmigen Entfaltung und Wirk¬
samkeit der Kräfte herauskommt, während die längere Beibehaltung über¬
wiegender Thätigkeit zu Gunsten des industriellen Mittelstandes zu Diffa>
renzen führen könnte, die später gar nicht mehr auszugleichen wären."

Am Schlimmsten kommt der Adel weg. „Er hat das Verständniß ed¬
lerer Beweggründe bis auf die Erinnerung verloren, daß sie da sind, und
die Brust des Patrioten füllen. Die grobe Selbstsucht, der er leibeigen
geworden ist, macht ihn überall uur wieder Selbstsucht heraussehen, daher
er Jeden für seinen Feind hält und feindlich behandelt, der ihm die Wahr¬
heit sagt." — „Während der Adel seine Reichthümer jetzt zu niedrigen
Zwecken und in einer gemeinen Genußsucht vergeudet, wird er, sobald es
keine audern Mittel mehr gibt, sich Geltung zu verschaffen, den Ruhm ge¬
meinnütziger Leistungen suchen müssen und neuerdings mit dein Glänze sich
umgeben, den die Gönnerschaft der Künste und Wissenschaften verleiht. Er
wird die hirnverbrannten Ideen von den Rechten und Vorzügen der Geburt
fahren lassen, wenn er sie nicht mehr geltend machen kann. Da er aber
aus freiem Antrieb zu dieser Wiedergeburt nie gelangen würde, wenn er
nicht Zwang erführe, so muß dieser eintreten, was geschieht, wenn die Ne¬
gierung ihn verläßt und dem Volke sich zuneigt."

Eben so schlimm steht es mit dem Clerus. „Um sich zu legitimiren,
daß einer ein guter Christ sei, und um den Verdacht des Atheismus und
Jndifferentismus abzulehnen, bedürfte und bedarf es nur der genauen Befol¬
gung aller äußern Religionsgebräuche und allenfalls noch der Declaration, ein
Jesuitenfrennd zu sein. Die Frömmelei derer, die in Staatsangelegenheiten
einen Einfluß hatten, charakterisirt sich außer der rigorosesten äußern Ne-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/21>, abgerufen am 01.09.2024.