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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Orients darbietet, durch eine seltene Staffage belebt, welche nur im Gefolge
eines Prinzen im Orient hervortreten konnte. Hiedurch ist für die Cha¬
rakteristik des orientalischen Völkerlebens der Gegenwart am Ganges und
Indus, wie auf Ceylon und in den hohen Himalaya-Thälern eine ganz
neue Seite der Anschauung gewonnen. -- Doch auch die Natur- und Län¬
derkunde geht hierbei uicht leer aus, da ganz neue Bahnen in den bewun¬
derungswürdigen Hochgebirgen des Himalaya - Systems durch den kühnen
Muth der Reisenden über Felsenboden und Schneegebirge gebrochen wurden,
und da die Productionen der Thierwelt, wie die des üppigsten Pflanzen-
wuchses in Thälern und Höhen dem Naturbeobachter manchen neuen Stoff
und manchen Ueberblick gewährten. -- Endlich so tragen die vielen charak¬
teristischen, ganz concret aufgefaßten Züge vou Sitten und Gebräuche" des
Menschenlebens unter den verschiedensten Racen, Völkern, Ständen, reli¬
giösen und politischen Gemeinschaften, wie Stufen der Civilisation im Orient
nicht wenig zu dem stets anziehenden und anregenden Interesse an diesen
Mittheilungen bei, durch die man für Vieles andere sich für hinreichend
entschädigt halten wird, was man etwa vermissen konnte, da eine solche
vollendetere Zuthat durch die zerstörende Hand des Schicksals unmöglich ward."

Werner Hoffmeister war 1819 zu Braunschweig geboren, hatte Medicin
und Naturwissenschaften studirt, 1843 zu Berlin promovirt, schon längere
Zeit sich mit dem Gedanken getragen, Indien zu besuchen, und war endlich
auf die Empfehlungen von Humboldt, Schönlein und Lichtenstein als ärzt¬
licher Begleiter des Prinzen angenommen.

Die Reisenden segelten im September 1844 von Trieft ab und hielten
sich längere Zeit in Athen auf, wo ihnen zu Ehren glänzende Feste arran-
girt wurden, da der Hof sehr erfreut war, einmal wieder mit Landsleuten
zusammen zu sein. Von da ging es nach Aegypten; zu Kairo einiger Auf¬
enthalt. "Eine ganz neue Welt thut sich dem erstaunten Blicke auf; wohin
soll sich das Auge zuerst wenden, auf diese bunten, mit Schnitzwerk verzier¬
ten Häuser, auf die prächtige" Moscheeruiuen, oder auf die Läden der wohl¬
habenden Kaufleute und auf die sich vor denselben drängende bunte Men¬
schenmasse, aus allen Nationen des Orients zusammengesetzt. -- Schon beim
Eintritt in die ersten Straßen bemächtigt sich der Gedanke des Europäers,
daß man in eine durch Hungersnoth oder Pest heruntergekommene, ausge¬
sogene, verarmte Stadt kommt, in der die schwachen Reste des frühern
Glanzes das einzige Anziehende sind. Dieser Glanz voriger Jahrhunderte
war aber so mächtig und hat sich so tief mit dem innern Bau der ganzen
Stadt verwebt, daß ein langes Zeitalter der Blutgier und Barbarei nicht


Orients darbietet, durch eine seltene Staffage belebt, welche nur im Gefolge
eines Prinzen im Orient hervortreten konnte. Hiedurch ist für die Cha¬
rakteristik des orientalischen Völkerlebens der Gegenwart am Ganges und
Indus, wie auf Ceylon und in den hohen Himalaya-Thälern eine ganz
neue Seite der Anschauung gewonnen. — Doch auch die Natur- und Län¬
derkunde geht hierbei uicht leer aus, da ganz neue Bahnen in den bewun¬
derungswürdigen Hochgebirgen des Himalaya - Systems durch den kühnen
Muth der Reisenden über Felsenboden und Schneegebirge gebrochen wurden,
und da die Productionen der Thierwelt, wie die des üppigsten Pflanzen-
wuchses in Thälern und Höhen dem Naturbeobachter manchen neuen Stoff
und manchen Ueberblick gewährten. — Endlich so tragen die vielen charak¬
teristischen, ganz concret aufgefaßten Züge vou Sitten und Gebräuche» des
Menschenlebens unter den verschiedensten Racen, Völkern, Ständen, reli¬
giösen und politischen Gemeinschaften, wie Stufen der Civilisation im Orient
nicht wenig zu dem stets anziehenden und anregenden Interesse an diesen
Mittheilungen bei, durch die man für Vieles andere sich für hinreichend
entschädigt halten wird, was man etwa vermissen konnte, da eine solche
vollendetere Zuthat durch die zerstörende Hand des Schicksals unmöglich ward."

Werner Hoffmeister war 1819 zu Braunschweig geboren, hatte Medicin
und Naturwissenschaften studirt, 1843 zu Berlin promovirt, schon längere
Zeit sich mit dem Gedanken getragen, Indien zu besuchen, und war endlich
auf die Empfehlungen von Humboldt, Schönlein und Lichtenstein als ärzt¬
licher Begleiter des Prinzen angenommen.

Die Reisenden segelten im September 1844 von Trieft ab und hielten
sich längere Zeit in Athen auf, wo ihnen zu Ehren glänzende Feste arran-
girt wurden, da der Hof sehr erfreut war, einmal wieder mit Landsleuten
zusammen zu sein. Von da ging es nach Aegypten; zu Kairo einiger Auf¬
enthalt. „Eine ganz neue Welt thut sich dem erstaunten Blicke auf; wohin
soll sich das Auge zuerst wenden, auf diese bunten, mit Schnitzwerk verzier¬
ten Häuser, auf die prächtige» Moscheeruiuen, oder auf die Läden der wohl¬
habenden Kaufleute und auf die sich vor denselben drängende bunte Men¬
schenmasse, aus allen Nationen des Orients zusammengesetzt. — Schon beim
Eintritt in die ersten Straßen bemächtigt sich der Gedanke des Europäers,
daß man in eine durch Hungersnoth oder Pest heruntergekommene, ausge¬
sogene, verarmte Stadt kommt, in der die schwachen Reste des frühern
Glanzes das einzige Anziehende sind. Dieser Glanz voriger Jahrhunderte
war aber so mächtig und hat sich so tief mit dem innern Bau der ganzen
Stadt verwebt, daß ein langes Zeitalter der Blutgier und Barbarei nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/208>, abgerufen am 01.09.2024.