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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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im, schmeckt ein wenig nach Emanzipation; doch ist es nicht als solche ge¬
meint. Man weiß in England nicht recht, was wir Deutschen darunter verste¬
hen; denn daß die Stellung der Frauen in sozialer Hinficht nicht anders und besser
sein könne, ist einleuchtend, und im Uebrigen hängt es ganz von ihnen selbst
ab, sich so viel zu emanzipiren, als sie nur wollen und wünschen. Das man
für und über sie schreibt, nutzt ihnen aber wenig und macht sie nur verwirrt;
was sie sein wollen und werden können, das muß aus ihnen selbst hervor¬
gehen, das müssen sie durch sich selbst werden; Niemand kann ihnen geben,
was sie dazu brauchen -- das ist moralische Willenskraft und moralischer
Muth. Mrs. Jameson sagte, als sie ans Deutschland zurückkehrte, daß sie
erstaunt gewesen sei, wie wenig ,,moriü com^";" die deutschen Damen be¬
säßen! -- Ich begriff damals nicht ganz die Wahrheit dieses Ausspruches;
aber ich habe es begreifen gelernt. Es wird ihnen in früher Erziehung ein
Hang zur Empfindelei und Sentimentalität beigebracht, von dein sie sich nach¬
her nie wieder losmachen könne". Man wirkt bei ihnen zu sehr auf das Ge¬
fühl und will sie einzig durch das Gefühl bilden, leiten und lenken. Wozu
haben sie dann aber die Vernunft erhalten -- das einzige wirkliche Unter¬
scheidungsmerkmal zwischen dem Menschen und dem Thier? -- I^->,in"z <ze la
böte können dann nie eine Unterhaltung bei ihnen führen. -- Daher kommt
es auch, daß wir talentvolle Frauen besitzen, aber keine praktische. So ha¬
ben wir vorzügliche Romauschreiberinnen; aber keine Mrs. Frey, keine Mrs.
Sommerville, keine Miß Martineau. Die letztere hat übrigens aber auch
scheinbar ein wenig von ihrer gesunden Vernunft ans ihrer Reise dnrch das
gelobte Land eingebüßt. Sie sah dort nirgends eine Gegenwart, dachte nir¬
gends an das Existireude, an seine Schatten und an sein Licht; hatte kein
Bedauern für das Verlorene, keine Hoffnung für eine bessere Zukunft; --
sie fühlte nur, daß dieser Boden geheiligt sei durch den Schritt derjenigen,
die hier gewandelt hatten vor tausend und tausend Jahren, und dies Ge¬
fühl war ihr Alles. So fühlte sie sich durch Syrien hindurch bis in die
Ruinen von Hebron hinein, und hier nun. erreichte ihr Enthusiasmus seine
höchste Höhe, als ihr einfällt, daß Johannes und Jesus als Knaben sehr
oft von einer so wichtigen Stadt gesprochen haben müßten. So kann der
Mensch sich also in dem Reich der Voraussetzungen auch wieder eine Quelle
des Genusses schaffen, die unschuldig genug ist, so lange sie nicht auf dem
Papiere steht; aber der Welt seine Möglichkeiten vorzusetzen -- während
wir schon alle mehr oder minder von Möglichkeiten erkranken --- das ist
hart und grausam. -- Uebrigens aber hat sie doch einen reellen Genuß ken-
nen gelernt, und zwar einen solchen, der an keine Localität gebunden, --


im, schmeckt ein wenig nach Emanzipation; doch ist es nicht als solche ge¬
meint. Man weiß in England nicht recht, was wir Deutschen darunter verste¬
hen; denn daß die Stellung der Frauen in sozialer Hinficht nicht anders und besser
sein könne, ist einleuchtend, und im Uebrigen hängt es ganz von ihnen selbst
ab, sich so viel zu emanzipiren, als sie nur wollen und wünschen. Das man
für und über sie schreibt, nutzt ihnen aber wenig und macht sie nur verwirrt;
was sie sein wollen und werden können, das muß aus ihnen selbst hervor¬
gehen, das müssen sie durch sich selbst werden; Niemand kann ihnen geben,
was sie dazu brauchen — das ist moralische Willenskraft und moralischer
Muth. Mrs. Jameson sagte, als sie ans Deutschland zurückkehrte, daß sie
erstaunt gewesen sei, wie wenig ,,moriü com^«;" die deutschen Damen be¬
säßen! — Ich begriff damals nicht ganz die Wahrheit dieses Ausspruches;
aber ich habe es begreifen gelernt. Es wird ihnen in früher Erziehung ein
Hang zur Empfindelei und Sentimentalität beigebracht, von dein sie sich nach¬
her nie wieder losmachen könne». Man wirkt bei ihnen zu sehr auf das Ge¬
fühl und will sie einzig durch das Gefühl bilden, leiten und lenken. Wozu
haben sie dann aber die Vernunft erhalten — das einzige wirkliche Unter¬
scheidungsmerkmal zwischen dem Menschen und dem Thier? — I^->,in«z <ze la
böte können dann nie eine Unterhaltung bei ihnen führen. — Daher kommt
es auch, daß wir talentvolle Frauen besitzen, aber keine praktische. So ha¬
ben wir vorzügliche Romauschreiberinnen; aber keine Mrs. Frey, keine Mrs.
Sommerville, keine Miß Martineau. Die letztere hat übrigens aber auch
scheinbar ein wenig von ihrer gesunden Vernunft ans ihrer Reise dnrch das
gelobte Land eingebüßt. Sie sah dort nirgends eine Gegenwart, dachte nir¬
gends an das Existireude, an seine Schatten und an sein Licht; hatte kein
Bedauern für das Verlorene, keine Hoffnung für eine bessere Zukunft; —
sie fühlte nur, daß dieser Boden geheiligt sei durch den Schritt derjenigen,
die hier gewandelt hatten vor tausend und tausend Jahren, und dies Ge¬
fühl war ihr Alles. So fühlte sie sich durch Syrien hindurch bis in die
Ruinen von Hebron hinein, und hier nun. erreichte ihr Enthusiasmus seine
höchste Höhe, als ihr einfällt, daß Johannes und Jesus als Knaben sehr
oft von einer so wichtigen Stadt gesprochen haben müßten. So kann der
Mensch sich also in dem Reich der Voraussetzungen auch wieder eine Quelle
des Genusses schaffen, die unschuldig genug ist, so lange sie nicht auf dem
Papiere steht; aber der Welt seine Möglichkeiten vorzusetzen — während
wir schon alle mehr oder minder von Möglichkeiten erkranken -— das ist
hart und grausam. — Uebrigens aber hat sie doch einen reellen Genuß ken-
nen gelernt, und zwar einen solchen, der an keine Localität gebunden, —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/190>, abgerufen am 01.09.2024.