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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Das Bewußtsein des Volks von seiner Nationalität ward untergraben, denn
man erkannte darin nichts besseres als das Feldzeichen des Dcmagogenthums
und den Zunder der Empörung."

"Joseph II. hatte gestrebt, dnrch Unterwerfung der verschiedenen Natio¬
nalitäten des Staats unter die Deutsche eine wirkliche Neichseinheit zu er¬
zielen; unter der Herrschaft des conservativen Prinzips dagegen entwickelt
sich der Geist der Sonderung; die verschiedenen Sprachen emanzipiren sich,
die Provinzen fallen auseinander*)." --

Nachdem er so den Inhalt des conservativen Prinzips entwickelt, geht
der Verf. zu der Frage über: Was soll denn nun die Regierung einschlagen?
welches ist das Fortschrittssystem, das Oesterreich allein wieder erheben
kann? -- Konservativ im alten Sinne kann sie nun nicht mehr sein: "Von
dem zur Ordnung der bäuerlichen Verhältnisse durch die galizischen Unruhen
gegebenen Anstoß ward das conservative Prinzip factisch aufgehoben."

"Zunächst sind es die leitenden obersten Grundsätze der Regierung,
welche mit andern zu vertauschen sein werden. Das aristokratisch-büreau-
kratische Element wird abzuthun und das volksthümliche dafür anzunehmen
sein. Die Negierung muß den Interessen der Massen sich zuwenden
und ihre Sache mit großer Entschiedenheit zur Parteisache machen, wie dies
mit dem richtigsten Tact Joseph II. gethan." -- "Sieht die Staatsweisheit
nicht, daß es der Sklavenkrieg der verhungernden Massen ist, welcher in
Aussicht steht, wenn die Verwaltung noch länger zögerte, die Interessen der
untersten Volksklassen in die oberste Reihe ihrer Sorge und Wirksamkeit zu
stellen?" -- "Das Volk muß aus seiner gegenwärtigen niedrigen Stellung
einige Stufen höher in der Geltung hinaufgerückt werden. Dies wird ge¬
schehen, wenn die Centralisation ausgelassen und ein Theil der den Beamten
abgenommenen Befugnisse auf die bürgerlichen Körperschaften übertragen wird.
Diesen soll hinführo das entzogene Recht der Selbstvertretung ihrer Inter¬
essen wieder eingeräumt werden. Dadurch müssen allmälig die künstlich ge¬
machten Zustände aufhören, so daß ein naturgemäßes organisches Leben sich
wieder entwickeln kann." -- "Im bisherigen System galt es eben, die frei-
eigene lebendige Kräftebewegnng des Volks außer Spiel zu setzen, sie, wo
sie noch sich regte, aufzuheben und dafür die von: System erschaffenen Trieb¬
federn und Schraubwerkc einzusetzen, um hiedurch alle Dinge so zurecht-



Hier scheint uns der Verfasser offenbar im Unrecht, wenn er aus dem Interesse
seiner Nationalität den andern ihr Recht verkümmere, wenn er z, B. verlangt, auf
dem ungarischen Reichstage hätte die lateinische Sprache nur gegen die Deutsche ver¬
tauscht werden dürfen.

Das Bewußtsein des Volks von seiner Nationalität ward untergraben, denn
man erkannte darin nichts besseres als das Feldzeichen des Dcmagogenthums
und den Zunder der Empörung."

„Joseph II. hatte gestrebt, dnrch Unterwerfung der verschiedenen Natio¬
nalitäten des Staats unter die Deutsche eine wirkliche Neichseinheit zu er¬
zielen; unter der Herrschaft des conservativen Prinzips dagegen entwickelt
sich der Geist der Sonderung; die verschiedenen Sprachen emanzipiren sich,
die Provinzen fallen auseinander*)." —

Nachdem er so den Inhalt des conservativen Prinzips entwickelt, geht
der Verf. zu der Frage über: Was soll denn nun die Regierung einschlagen?
welches ist das Fortschrittssystem, das Oesterreich allein wieder erheben
kann? — Konservativ im alten Sinne kann sie nun nicht mehr sein: „Von
dem zur Ordnung der bäuerlichen Verhältnisse durch die galizischen Unruhen
gegebenen Anstoß ward das conservative Prinzip factisch aufgehoben."

„Zunächst sind es die leitenden obersten Grundsätze der Regierung,
welche mit andern zu vertauschen sein werden. Das aristokratisch-büreau-
kratische Element wird abzuthun und das volksthümliche dafür anzunehmen
sein. Die Negierung muß den Interessen der Massen sich zuwenden
und ihre Sache mit großer Entschiedenheit zur Parteisache machen, wie dies
mit dem richtigsten Tact Joseph II. gethan." — „Sieht die Staatsweisheit
nicht, daß es der Sklavenkrieg der verhungernden Massen ist, welcher in
Aussicht steht, wenn die Verwaltung noch länger zögerte, die Interessen der
untersten Volksklassen in die oberste Reihe ihrer Sorge und Wirksamkeit zu
stellen?" — „Das Volk muß aus seiner gegenwärtigen niedrigen Stellung
einige Stufen höher in der Geltung hinaufgerückt werden. Dies wird ge¬
schehen, wenn die Centralisation ausgelassen und ein Theil der den Beamten
abgenommenen Befugnisse auf die bürgerlichen Körperschaften übertragen wird.
Diesen soll hinführo das entzogene Recht der Selbstvertretung ihrer Inter¬
essen wieder eingeräumt werden. Dadurch müssen allmälig die künstlich ge¬
machten Zustände aufhören, so daß ein naturgemäßes organisches Leben sich
wieder entwickeln kann." — „Im bisherigen System galt es eben, die frei-
eigene lebendige Kräftebewegnng des Volks außer Spiel zu setzen, sie, wo
sie noch sich regte, aufzuheben und dafür die von: System erschaffenen Trieb¬
federn und Schraubwerkc einzusetzen, um hiedurch alle Dinge so zurecht-



Hier scheint uns der Verfasser offenbar im Unrecht, wenn er aus dem Interesse
seiner Nationalität den andern ihr Recht verkümmere, wenn er z, B. verlangt, auf
dem ungarischen Reichstage hätte die lateinische Sprache nur gegen die Deutsche ver¬
tauscht werden dürfen.
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[0018] Das Bewußtsein des Volks von seiner Nationalität ward untergraben, denn man erkannte darin nichts besseres als das Feldzeichen des Dcmagogenthums und den Zunder der Empörung." „Joseph II. hatte gestrebt, dnrch Unterwerfung der verschiedenen Natio¬ nalitäten des Staats unter die Deutsche eine wirkliche Neichseinheit zu er¬ zielen; unter der Herrschaft des conservativen Prinzips dagegen entwickelt sich der Geist der Sonderung; die verschiedenen Sprachen emanzipiren sich, die Provinzen fallen auseinander*)." — Nachdem er so den Inhalt des conservativen Prinzips entwickelt, geht der Verf. zu der Frage über: Was soll denn nun die Regierung einschlagen? welches ist das Fortschrittssystem, das Oesterreich allein wieder erheben kann? — Konservativ im alten Sinne kann sie nun nicht mehr sein: „Von dem zur Ordnung der bäuerlichen Verhältnisse durch die galizischen Unruhen gegebenen Anstoß ward das conservative Prinzip factisch aufgehoben." „Zunächst sind es die leitenden obersten Grundsätze der Regierung, welche mit andern zu vertauschen sein werden. Das aristokratisch-büreau- kratische Element wird abzuthun und das volksthümliche dafür anzunehmen sein. Die Negierung muß den Interessen der Massen sich zuwenden und ihre Sache mit großer Entschiedenheit zur Parteisache machen, wie dies mit dem richtigsten Tact Joseph II. gethan." — „Sieht die Staatsweisheit nicht, daß es der Sklavenkrieg der verhungernden Massen ist, welcher in Aussicht steht, wenn die Verwaltung noch länger zögerte, die Interessen der untersten Volksklassen in die oberste Reihe ihrer Sorge und Wirksamkeit zu stellen?" — „Das Volk muß aus seiner gegenwärtigen niedrigen Stellung einige Stufen höher in der Geltung hinaufgerückt werden. Dies wird ge¬ schehen, wenn die Centralisation ausgelassen und ein Theil der den Beamten abgenommenen Befugnisse auf die bürgerlichen Körperschaften übertragen wird. Diesen soll hinführo das entzogene Recht der Selbstvertretung ihrer Inter¬ essen wieder eingeräumt werden. Dadurch müssen allmälig die künstlich ge¬ machten Zustände aufhören, so daß ein naturgemäßes organisches Leben sich wieder entwickeln kann." — „Im bisherigen System galt es eben, die frei- eigene lebendige Kräftebewegnng des Volks außer Spiel zu setzen, sie, wo sie noch sich regte, aufzuheben und dafür die von: System erschaffenen Trieb¬ federn und Schraubwerkc einzusetzen, um hiedurch alle Dinge so zurecht- Hier scheint uns der Verfasser offenbar im Unrecht, wenn er aus dem Interesse seiner Nationalität den andern ihr Recht verkümmere, wenn er z, B. verlangt, auf dem ungarischen Reichstage hätte die lateinische Sprache nur gegen die Deutsche ver¬ tauscht werden dürfen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/18>, abgerufen am 01.09.2024.