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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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sitzende Gesellschaft, bestehend aus dem Wirth, der Kellnerin, zwei Haus¬
knechte und zwei Postillonen, schwatzten eine Sprache, die mir nicht italie¬
nisch klang, die aber ganz gewiß nicht deutsch war. Bei meinem Eintritt
fuhren sie wie aufgescheuchte Rebhühner auseinander und verstummten, nur
die Kellnerin, ein hübsches Kind mit schwarzen Augen kam mir entgegen und
fragte, ob ich qualeno cosa essen wollte? Ich bejahte kurz ab und verlangte
den Speisezettel zu sehen. Darauf bat sie mich, ihr in's Speisezimmer zu
folgen, wo ich mir aussuchen könne, was ich wünsche u. s. w." Wenn das
nicht homerische Breite ist, so weiß ich in der That nicht! Ein ganz guter
Roman dritter Klasse könnte genau eben so anfangen.

Der Styl leidet freilich darunter, z.B. der Satz: "Freilich gehört der
Hut in Mailand für einen nur irgeud anständig sein wollenden Mann zu
den ganz unentbehrlichen Dingen," wäre eines gewissen großen Dichters
nicht unwürdig. -- Recht lebendig ist die Schilderung eines Siroccostnrmes auf
dem Meere, I. S. 195--216, und wird nicht verfehlen, Jeden anzusprechen,
der Sinn für Humor und Gemüthlichkeit hat. Und an ähnlichen Erzählun¬
gen von Banditen, Prügeleien, Ccirnevals, Processtonen, ist das Buch reich
genug. Man sieht überall aus der belebten, drastischen Darstellung, daß
man es mit einem geübten Romandichter zu thun hat. Nur ein kleines
Fragment aus einer sehr ausführlichen Schilderung des Maccaroni-Essens
kann ich mich nicht enthalten, abzuschreiben. "Man denke sich eine ziemlich
breite Straße, lang und gegen das Ende sich etwas senkend. Zu beiden
Seiten spielen die weißen Schwertflammen vieler Gaslaternen, zuckend in
der Abendluft. Auf den breiten Lavaquadern knistern zahllose Lorbeerfeuer
unter hohen Kesseln, hinter denen Köche und Köchinnen laut schreiend und
gesticulirend stehen, ununterbrochen damit beschäftigt, gargekochte Maccaroni
herauszulangen, auf irdene Näpfe zu häufen und sie den hungrigen Um¬
stehenden zu reichen. Bei der Unmasse von Begehrenden, die sich singend
und lärmend in unentwirrbaren Knäuel die lange Gasse hinauf und her¬
unterschieben, reichen die Näpfe nicht zu. Das genirt aber den Lazaroni
nicht. Lachend reißt er seine dunkelrothe oder braune Sackmütze vom strup¬
pigen Haar, schlägt sie ein paar Mal gegen seinen Arm oder auch dem
Nächsten an den Kopf, um möglicher Weise ohne seinen Willen darin ein¬
gezogene Ansiedler von der unrechtmäßig eroberten Stelle zu vertreiben, und
läßt sich für einen Gran delicate Maccaroni nebst Sauce hineinschütte".
Schon der Duft begeistert ihn. Schmunzelnd schlürft er mit geöffneten
Nüstern das göttliche Arom ein, dann schreit er ein paar Mal vor Freude,
ruft: Lia Kenmiro, hilf! beugt den Kops so weit als möglich rückwärts,


sitzende Gesellschaft, bestehend aus dem Wirth, der Kellnerin, zwei Haus¬
knechte und zwei Postillonen, schwatzten eine Sprache, die mir nicht italie¬
nisch klang, die aber ganz gewiß nicht deutsch war. Bei meinem Eintritt
fuhren sie wie aufgescheuchte Rebhühner auseinander und verstummten, nur
die Kellnerin, ein hübsches Kind mit schwarzen Augen kam mir entgegen und
fragte, ob ich qualeno cosa essen wollte? Ich bejahte kurz ab und verlangte
den Speisezettel zu sehen. Darauf bat sie mich, ihr in's Speisezimmer zu
folgen, wo ich mir aussuchen könne, was ich wünsche u. s. w." Wenn das
nicht homerische Breite ist, so weiß ich in der That nicht! Ein ganz guter
Roman dritter Klasse könnte genau eben so anfangen.

Der Styl leidet freilich darunter, z.B. der Satz: „Freilich gehört der
Hut in Mailand für einen nur irgeud anständig sein wollenden Mann zu
den ganz unentbehrlichen Dingen," wäre eines gewissen großen Dichters
nicht unwürdig. — Recht lebendig ist die Schilderung eines Siroccostnrmes auf
dem Meere, I. S. 195—216, und wird nicht verfehlen, Jeden anzusprechen,
der Sinn für Humor und Gemüthlichkeit hat. Und an ähnlichen Erzählun¬
gen von Banditen, Prügeleien, Ccirnevals, Processtonen, ist das Buch reich
genug. Man sieht überall aus der belebten, drastischen Darstellung, daß
man es mit einem geübten Romandichter zu thun hat. Nur ein kleines
Fragment aus einer sehr ausführlichen Schilderung des Maccaroni-Essens
kann ich mich nicht enthalten, abzuschreiben. „Man denke sich eine ziemlich
breite Straße, lang und gegen das Ende sich etwas senkend. Zu beiden
Seiten spielen die weißen Schwertflammen vieler Gaslaternen, zuckend in
der Abendluft. Auf den breiten Lavaquadern knistern zahllose Lorbeerfeuer
unter hohen Kesseln, hinter denen Köche und Köchinnen laut schreiend und
gesticulirend stehen, ununterbrochen damit beschäftigt, gargekochte Maccaroni
herauszulangen, auf irdene Näpfe zu häufen und sie den hungrigen Um¬
stehenden zu reichen. Bei der Unmasse von Begehrenden, die sich singend
und lärmend in unentwirrbaren Knäuel die lange Gasse hinauf und her¬
unterschieben, reichen die Näpfe nicht zu. Das genirt aber den Lazaroni
nicht. Lachend reißt er seine dunkelrothe oder braune Sackmütze vom strup¬
pigen Haar, schlägt sie ein paar Mal gegen seinen Arm oder auch dem
Nächsten an den Kopf, um möglicher Weise ohne seinen Willen darin ein¬
gezogene Ansiedler von der unrechtmäßig eroberten Stelle zu vertreiben, und
läßt sich für einen Gran delicate Maccaroni nebst Sauce hineinschütte».
Schon der Duft begeistert ihn. Schmunzelnd schlürft er mit geöffneten
Nüstern das göttliche Arom ein, dann schreit er ein paar Mal vor Freude,
ruft: Lia Kenmiro, hilf! beugt den Kops so weit als möglich rückwärts,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/168>, abgerufen am 01.09.2024.