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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Staatsrath oder so was?" -- "Nein -- ein einfacher Schriftsteller, der
Verfasser des Neuen Leviathan. -- Ein Original, ein Vifionaire, -- ein
"Idealist", wie wir in Frankreich sagen." -- "Ich besuchte ihn und sprach
mit ihm über die Ereignisse des Tages. Er tadelte die thätigen Politiker
Preußens und sagte: "Frankreich kann Preußen nur gewogen sein, wenn
Preußen mit Frankreich einverstanden ist, um den Despotismus zu zerstören,
den England auf den Meeren ausübt; Frankreich muß Preußen zu vernich¬
ten suchen, sobald es sieht, daß Preußen Nußland zum Stützpunkte dient.
-- -- Alle diese Schreier begreifen nicht, daß verbunden mit Frankreich ge¬
gen England kämpfen, Frankreich dem Kontinent gegenüber schwächen heißt,
und daß dagegen Krieg gegen Frankreich nnr dazu beitragen kann, seine
Größe zu vermehren, und uns zu vernichten. -- Frankreich war nie schwä¬
cher, als unter seinen letzten Königen. Wo auch Andere die Ursache dieser
Schwäche suchen mögen, für mich liegt sie in dem Umstände, daß Frankreich
zugleich eine Seemacht nud eine Landmacht sein wollte. Man helfe Frank¬
reich, England die Spitze bieten, und der Kontinent wird nicht viel mehr
von Frankreich zu fürchten haben. Noch so mächtige Combinationen werden die¬
sen Erfolg nicht haben. Je mehr Feinde man hat, desto leichter ist der Sieg,
denn der Eine verläßt sich auf den Andern, "Jeder sucht sich auf die wohl¬
feilste Weise aus der Sache zu ziehen. Friedrich II. würde im siebenjährigen
Kriege sicher unterlagen sein, wenn er Oesterreich allein zu bekämpfen ge¬
habt, oder Frankreich oder Rußland -- aber da er sie alle zu bekämpfen
hatte, blieb er Sieger."

Es ist etwas Wahres in dieser Ansicht; -- nur fürchte ich die Angst
steckt auch hier im Hintergrunde.

"Ich sah den Verfasser des neuen Leviathan zum zweiten Male nach
der Schlacht von Ulm, und ich glaubte ihm ein Kompliment zu machen,
als ich ihm sagte, daß seine Prophezeihung in Erfüllung gegangen. Er zog
die Augenbrauen zusammen, und sprach von der Niederlage der Oesterreicher,
nur um den Kummer auszusprechen, den sie ihm verursachte." -- S. 325.

"Erst nach und nach verwischte sich der Eindruck dieses Grußes, und
dann sprach er sich wieder freier aus. Er hatte seine eigenen Ansichten von
der Welt. Er behauptete, die Universalmonarchie sei uicht uur natürlich,
sondern nothwendig. Aber er verstand darunter die Universalherrschaft eines
leitenden Gedankens. Er behauptete, es habe in der neuern Zeit zwei Uni¬
versalmonarchien gegeben, eine wahre und eine falsche. Jene sah er in
der Kirchenherrschaft Roms, diese in der Handelsherrschast Englands. Er
zeigte, wie England zur Aufrechthaltung derselben die Lüge des europäischen


Staatsrath oder so was?" — „Nein — ein einfacher Schriftsteller, der
Verfasser des Neuen Leviathan. — Ein Original, ein Vifionaire, — ein
„Idealist", wie wir in Frankreich sagen." — „Ich besuchte ihn und sprach
mit ihm über die Ereignisse des Tages. Er tadelte die thätigen Politiker
Preußens und sagte: „Frankreich kann Preußen nur gewogen sein, wenn
Preußen mit Frankreich einverstanden ist, um den Despotismus zu zerstören,
den England auf den Meeren ausübt; Frankreich muß Preußen zu vernich¬
ten suchen, sobald es sieht, daß Preußen Nußland zum Stützpunkte dient.
— — Alle diese Schreier begreifen nicht, daß verbunden mit Frankreich ge¬
gen England kämpfen, Frankreich dem Kontinent gegenüber schwächen heißt,
und daß dagegen Krieg gegen Frankreich nnr dazu beitragen kann, seine
Größe zu vermehren, und uns zu vernichten. — Frankreich war nie schwä¬
cher, als unter seinen letzten Königen. Wo auch Andere die Ursache dieser
Schwäche suchen mögen, für mich liegt sie in dem Umstände, daß Frankreich
zugleich eine Seemacht nud eine Landmacht sein wollte. Man helfe Frank¬
reich, England die Spitze bieten, und der Kontinent wird nicht viel mehr
von Frankreich zu fürchten haben. Noch so mächtige Combinationen werden die¬
sen Erfolg nicht haben. Je mehr Feinde man hat, desto leichter ist der Sieg,
denn der Eine verläßt sich auf den Andern, „Jeder sucht sich auf die wohl¬
feilste Weise aus der Sache zu ziehen. Friedrich II. würde im siebenjährigen
Kriege sicher unterlagen sein, wenn er Oesterreich allein zu bekämpfen ge¬
habt, oder Frankreich oder Rußland — aber da er sie alle zu bekämpfen
hatte, blieb er Sieger."

Es ist etwas Wahres in dieser Ansicht; — nur fürchte ich die Angst
steckt auch hier im Hintergrunde.

„Ich sah den Verfasser des neuen Leviathan zum zweiten Male nach
der Schlacht von Ulm, und ich glaubte ihm ein Kompliment zu machen,
als ich ihm sagte, daß seine Prophezeihung in Erfüllung gegangen. Er zog
die Augenbrauen zusammen, und sprach von der Niederlage der Oesterreicher,
nur um den Kummer auszusprechen, den sie ihm verursachte." — S. 325.

„Erst nach und nach verwischte sich der Eindruck dieses Grußes, und
dann sprach er sich wieder freier aus. Er hatte seine eigenen Ansichten von
der Welt. Er behauptete, die Universalmonarchie sei uicht uur natürlich,
sondern nothwendig. Aber er verstand darunter die Universalherrschaft eines
leitenden Gedankens. Er behauptete, es habe in der neuern Zeit zwei Uni¬
versalmonarchien gegeben, eine wahre und eine falsche. Jene sah er in
der Kirchenherrschaft Roms, diese in der Handelsherrschast Englands. Er
zeigte, wie England zur Aufrechthaltung derselben die Lüge des europäischen


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[0158] Staatsrath oder so was?" — „Nein — ein einfacher Schriftsteller, der Verfasser des Neuen Leviathan. — Ein Original, ein Vifionaire, — ein „Idealist", wie wir in Frankreich sagen." — „Ich besuchte ihn und sprach mit ihm über die Ereignisse des Tages. Er tadelte die thätigen Politiker Preußens und sagte: „Frankreich kann Preußen nur gewogen sein, wenn Preußen mit Frankreich einverstanden ist, um den Despotismus zu zerstören, den England auf den Meeren ausübt; Frankreich muß Preußen zu vernich¬ ten suchen, sobald es sieht, daß Preußen Nußland zum Stützpunkte dient. — — Alle diese Schreier begreifen nicht, daß verbunden mit Frankreich ge¬ gen England kämpfen, Frankreich dem Kontinent gegenüber schwächen heißt, und daß dagegen Krieg gegen Frankreich nnr dazu beitragen kann, seine Größe zu vermehren, und uns zu vernichten. — Frankreich war nie schwä¬ cher, als unter seinen letzten Königen. Wo auch Andere die Ursache dieser Schwäche suchen mögen, für mich liegt sie in dem Umstände, daß Frankreich zugleich eine Seemacht nud eine Landmacht sein wollte. Man helfe Frank¬ reich, England die Spitze bieten, und der Kontinent wird nicht viel mehr von Frankreich zu fürchten haben. Noch so mächtige Combinationen werden die¬ sen Erfolg nicht haben. Je mehr Feinde man hat, desto leichter ist der Sieg, denn der Eine verläßt sich auf den Andern, „Jeder sucht sich auf die wohl¬ feilste Weise aus der Sache zu ziehen. Friedrich II. würde im siebenjährigen Kriege sicher unterlagen sein, wenn er Oesterreich allein zu bekämpfen ge¬ habt, oder Frankreich oder Rußland — aber da er sie alle zu bekämpfen hatte, blieb er Sieger." Es ist etwas Wahres in dieser Ansicht; — nur fürchte ich die Angst steckt auch hier im Hintergrunde. „Ich sah den Verfasser des neuen Leviathan zum zweiten Male nach der Schlacht von Ulm, und ich glaubte ihm ein Kompliment zu machen, als ich ihm sagte, daß seine Prophezeihung in Erfüllung gegangen. Er zog die Augenbrauen zusammen, und sprach von der Niederlage der Oesterreicher, nur um den Kummer auszusprechen, den sie ihm verursachte." — S. 325. „Erst nach und nach verwischte sich der Eindruck dieses Grußes, und dann sprach er sich wieder freier aus. Er hatte seine eigenen Ansichten von der Welt. Er behauptete, die Universalmonarchie sei uicht uur natürlich, sondern nothwendig. Aber er verstand darunter die Universalherrschaft eines leitenden Gedankens. Er behauptete, es habe in der neuern Zeit zwei Uni¬ versalmonarchien gegeben, eine wahre und eine falsche. Jene sah er in der Kirchenherrschaft Roms, diese in der Handelsherrschast Englands. Er zeigte, wie England zur Aufrechthaltung derselben die Lüge des europäischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/158>, abgerufen am 01.09.2024.