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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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vielleicht nicht lachen, wenn er bis zu Ende ausgehalten," antwortete mein
Führer. -- "Was sollte ich sagen? obgleich ich glaube, und zwar ans Grün¬
den, daß unser Führer keine Spur von Nationalgefühl hat." -- "Die Art,
wie Müller für Deutschland und gegen Frankreich auftrat, machte ihn in
Berlin beliebt. Er wurde jetzt dorthin berufen, und gehörte dann hier zu
den Franzosenfressern," setzte ich hinzu. "Das ist in Kürze, was ich sagen
wollte." -- "Aber er fraß Niemanden," fuhr mein Führer fort. "Ich fürchte,
er hat das mit allen civilisirten Völkerftcsscrn gemein," setzte ich hinzu. --
"Als Napoleon nach der Schlacht bei Jena in Berlin einzog," sagte mein
Führer, den Faden seiner Erzählung wieder ausgreifend, "ließ Müller sich
eine Audienz bei ihm erbitten. Der General Hulin verschaffte ihm diese
Ehre. Augenblicklich unterlag er einer jener Metamorphosen, die den schwachen
Menschen so natürlich sind. Die "i>r<Zi>otvnee" der Franzosen war nicht
mehr zu fürchten; die Universalmonarchie war nicht mehr das Grab alles
Wohls der Völker; Napoleon, weit entfernt ein Attila zu sein, war der
erste aller Helden und das größte Genie, das es je gegeben hatte. In die¬
ser Stimmung schrieb er, im Winter 1809, die vielbesprochene akademische
Rede am Geburtstage Friedrich II., in der er bewies, daß ein Held es
nicht vollkommen bös mit den Nachkommen eines andern Helden meinen
Wune. Der Hof zu Memel war nicht ans eine solche Sprache vorbereitet.
Man erkundigte sich dort oft nach dem guten Müller, und man glaubte, daß
er sich mehr als alle Berliner durch den Zustand des Staates gedrückt füh¬
len müsse!" -- "Er ist--"


2.

"Wie heißt der Herr, der ihn jetzt anredet?" -- "Soll ich Ihnen
nicht sagen, wie's Hrn. Müller weiter ging." ^ "Ich Hab's satt. -- Wer ist
der Mann, mit dem er spricht?" -- "Das ist der Herr Professor Kiese¬
wetter. Er machte sein Glück in Berlin als Apostel des Philosophen Kant
in Königsberg. -- In diesem Lande der Zwerge ist Kant wie ein Niese be¬
wundert!" -- S. 308. -- "So. -- Haben Sie in Paris Herr V. Cousin ken¬
nen gelernt?" ^- "Nein." -- "Besuchen Sie ihn doch nächstens, wenn Sie
nach Paris kommen." -- "Und wer ist der Herr dort hinter dem Professor
der Kanrschen Philosophie?" -- "Das ist der Hofrath Hirt; der haßt Na¬
poleon, nicht weil er Deutschland überzieht -- sondern weil er die Meister¬
werke der Kunst aus Italien nach Paris brachte. Das schreit um Rache."
-- S. 319. -- "Der Mann, der dort still ans den Stuhl sitzt, und vor
sich hin steht?" -- "Das ist Friedrich Buchholz." -- "Nichts Hofrath,


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vielleicht nicht lachen, wenn er bis zu Ende ausgehalten," antwortete mein
Führer. — „Was sollte ich sagen? obgleich ich glaube, und zwar ans Grün¬
den, daß unser Führer keine Spur von Nationalgefühl hat." — „Die Art,
wie Müller für Deutschland und gegen Frankreich auftrat, machte ihn in
Berlin beliebt. Er wurde jetzt dorthin berufen, und gehörte dann hier zu
den Franzosenfressern," setzte ich hinzu. „Das ist in Kürze, was ich sagen
wollte." — „Aber er fraß Niemanden," fuhr mein Führer fort. „Ich fürchte,
er hat das mit allen civilisirten Völkerftcsscrn gemein," setzte ich hinzu. —
„Als Napoleon nach der Schlacht bei Jena in Berlin einzog," sagte mein
Führer, den Faden seiner Erzählung wieder ausgreifend, „ließ Müller sich
eine Audienz bei ihm erbitten. Der General Hulin verschaffte ihm diese
Ehre. Augenblicklich unterlag er einer jener Metamorphosen, die den schwachen
Menschen so natürlich sind. Die „i>r<Zi>otvnee" der Franzosen war nicht
mehr zu fürchten; die Universalmonarchie war nicht mehr das Grab alles
Wohls der Völker; Napoleon, weit entfernt ein Attila zu sein, war der
erste aller Helden und das größte Genie, das es je gegeben hatte. In die¬
ser Stimmung schrieb er, im Winter 1809, die vielbesprochene akademische
Rede am Geburtstage Friedrich II., in der er bewies, daß ein Held es
nicht vollkommen bös mit den Nachkommen eines andern Helden meinen
Wune. Der Hof zu Memel war nicht ans eine solche Sprache vorbereitet.
Man erkundigte sich dort oft nach dem guten Müller, und man glaubte, daß
er sich mehr als alle Berliner durch den Zustand des Staates gedrückt füh¬
len müsse!" — „Er ist--"


2.

„Wie heißt der Herr, der ihn jetzt anredet?" — „Soll ich Ihnen
nicht sagen, wie's Hrn. Müller weiter ging." ^ „Ich Hab's satt. — Wer ist
der Mann, mit dem er spricht?" — „Das ist der Herr Professor Kiese¬
wetter. Er machte sein Glück in Berlin als Apostel des Philosophen Kant
in Königsberg. — In diesem Lande der Zwerge ist Kant wie ein Niese be¬
wundert!" — S. 308. — „So. — Haben Sie in Paris Herr V. Cousin ken¬
nen gelernt?" ^- „Nein." — „Besuchen Sie ihn doch nächstens, wenn Sie
nach Paris kommen." — „Und wer ist der Herr dort hinter dem Professor
der Kanrschen Philosophie?" — „Das ist der Hofrath Hirt; der haßt Na¬
poleon, nicht weil er Deutschland überzieht — sondern weil er die Meister¬
werke der Kunst aus Italien nach Paris brachte. Das schreit um Rache."
— S. 319. — „Der Mann, der dort still ans den Stuhl sitzt, und vor
sich hin steht?" — „Das ist Friedrich Buchholz." — „Nichts Hofrath,


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[0157] vielleicht nicht lachen, wenn er bis zu Ende ausgehalten," antwortete mein Führer. — „Was sollte ich sagen? obgleich ich glaube, und zwar ans Grün¬ den, daß unser Führer keine Spur von Nationalgefühl hat." — „Die Art, wie Müller für Deutschland und gegen Frankreich auftrat, machte ihn in Berlin beliebt. Er wurde jetzt dorthin berufen, und gehörte dann hier zu den Franzosenfressern," setzte ich hinzu. „Das ist in Kürze, was ich sagen wollte." — „Aber er fraß Niemanden," fuhr mein Führer fort. „Ich fürchte, er hat das mit allen civilisirten Völkerftcsscrn gemein," setzte ich hinzu. — „Als Napoleon nach der Schlacht bei Jena in Berlin einzog," sagte mein Führer, den Faden seiner Erzählung wieder ausgreifend, „ließ Müller sich eine Audienz bei ihm erbitten. Der General Hulin verschaffte ihm diese Ehre. Augenblicklich unterlag er einer jener Metamorphosen, die den schwachen Menschen so natürlich sind. Die „i>r<Zi>otvnee" der Franzosen war nicht mehr zu fürchten; die Universalmonarchie war nicht mehr das Grab alles Wohls der Völker; Napoleon, weit entfernt ein Attila zu sein, war der erste aller Helden und das größte Genie, das es je gegeben hatte. In die¬ ser Stimmung schrieb er, im Winter 1809, die vielbesprochene akademische Rede am Geburtstage Friedrich II., in der er bewies, daß ein Held es nicht vollkommen bös mit den Nachkommen eines andern Helden meinen Wune. Der Hof zu Memel war nicht ans eine solche Sprache vorbereitet. Man erkundigte sich dort oft nach dem guten Müller, und man glaubte, daß er sich mehr als alle Berliner durch den Zustand des Staates gedrückt füh¬ len müsse!" — „Er ist--" 2. „Wie heißt der Herr, der ihn jetzt anredet?" — „Soll ich Ihnen nicht sagen, wie's Hrn. Müller weiter ging." ^ „Ich Hab's satt. — Wer ist der Mann, mit dem er spricht?" — „Das ist der Herr Professor Kiese¬ wetter. Er machte sein Glück in Berlin als Apostel des Philosophen Kant in Königsberg. — In diesem Lande der Zwerge ist Kant wie ein Niese be¬ wundert!" — S. 308. — „So. — Haben Sie in Paris Herr V. Cousin ken¬ nen gelernt?" ^- „Nein." — „Besuchen Sie ihn doch nächstens, wenn Sie nach Paris kommen." — „Und wer ist der Herr dort hinter dem Professor der Kanrschen Philosophie?" — „Das ist der Hofrath Hirt; der haßt Na¬ poleon, nicht weil er Deutschland überzieht — sondern weil er die Meister¬ werke der Kunst aus Italien nach Paris brachte. Das schreit um Rache." — S. 319. — „Der Mann, der dort still ans den Stuhl sitzt, und vor sich hin steht?" — „Das ist Friedrich Buchholz." — „Nichts Hofrath, 20*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/157>, abgerufen am 27.07.2024.