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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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und seine langen Beine an meinen Freund Dingelstedt erinnerte. "Ist das
der Hofpoet?" frug ich. "Bei Leibe nicht, sondern der Graf Schnleuburg-
Kehnert. -- Minister dreier Könige, ein Mann, der sich zu schicken weiß,
zischelte eine böse Zunge. Eine seiner Hauptgrundsätze war -- keine Grund¬
sätze zu haben, die nicht in das alte, ausgefahrcue Gleis hineinpaßten. Er
hatte eine Antwort, die ihm überall half: "Das sind schöne Träume, aber
für das Leben ohne Nutzen; diese Welt ist eine Welt der Thaten und nicht
der Ideen; man muß sich nach den Umständen zu schmiegen wissen, wenn
man sich durchschlagen will/' -- S. 1.94.

"Solche Leute sind auch noch heute ganz brauchbar." -- "Ich habe
nichts dagegen. Aber das führt zur Nontinenherrschaft, zur Bureaukratie!"
-- "Bureaukratie?" frug ich erstaunt. "Schon 1808 klagten sie darüber in
Preußen?" -- "Ein Mann, der viele andere Ereignisse vorhergesehen hat,
sagte mir schon vor vier Jahren, 1804 nämlich: diese Bureaukratie
wird noch ein paar Jahre bestehen, und wenn sie dann zusammen¬
bricht, entweder durch einen Anstoß von Außen oder durch ihre eigene
Schwäche, dann wird man Mühe genug haben, einen Mann zu finden, der
eine neue Maschine aufstellt." -- S. 197.

Hiermit verhält es sich gerade so, wie mit dem "Nächstens" in Be¬
zug auf das Verschwinden des Adels und der Juden. Addiren wir: Adel,
Juden und Bureaukratie zusammen, sie macheu eine Drei, und Drei
in Eins. Hoffen wir, daß Ihr Mann sich nur um ein paar Jahrzehend
geirrt und daß Nächstens dennoch geschehe, was er so lange vorher ge¬
sehen hat.


"Der Graf Schulenburg beging zwei unverzeihliche Fehler bei Gele¬
genheit der letzten Theilung Polens, die die allcrnachthciligsten Folgen für
Preußen hatten. Vorerst machte er in Bezug auf diese" Gegenstand dem
Grafen Alopäns, russischem Botschafter in Berlin, vorzeitige Eröffnungen,
die dem Petersburger Cabinet das Recht gaben, alles Gehässige dieses
Schrittes auf Preußen zu werfen, wie dies wirklich in dem Manifeste Ru߬
lands geschah. Zweitens zerstörte der Minister v. Schulenburg durch diese
Theilung das administrative System, das bis jetzt für die inneren Angele¬
genheiten des Staats bestanden hatte. Das für einen geringen Preis in
Polen gekaufte Korn füllte die Vorrathsspeicher Friedrich's II., der sie in
Zeiten der Noth öffnete, um deu Preis der unerläßlichsten Bedürfnisse
herabgehen zu machen. Allein, sobald die polnischen Provinzen mit Preußen


und seine langen Beine an meinen Freund Dingelstedt erinnerte. „Ist das
der Hofpoet?" frug ich. „Bei Leibe nicht, sondern der Graf Schnleuburg-
Kehnert. — Minister dreier Könige, ein Mann, der sich zu schicken weiß,
zischelte eine böse Zunge. Eine seiner Hauptgrundsätze war — keine Grund¬
sätze zu haben, die nicht in das alte, ausgefahrcue Gleis hineinpaßten. Er
hatte eine Antwort, die ihm überall half: „Das sind schöne Träume, aber
für das Leben ohne Nutzen; diese Welt ist eine Welt der Thaten und nicht
der Ideen; man muß sich nach den Umständen zu schmiegen wissen, wenn
man sich durchschlagen will/' — S. 1.94.

„Solche Leute sind auch noch heute ganz brauchbar." — „Ich habe
nichts dagegen. Aber das führt zur Nontinenherrschaft, zur Bureaukratie!"
— „Bureaukratie?" frug ich erstaunt. „Schon 1808 klagten sie darüber in
Preußen?" — „Ein Mann, der viele andere Ereignisse vorhergesehen hat,
sagte mir schon vor vier Jahren, 1804 nämlich: diese Bureaukratie
wird noch ein paar Jahre bestehen, und wenn sie dann zusammen¬
bricht, entweder durch einen Anstoß von Außen oder durch ihre eigene
Schwäche, dann wird man Mühe genug haben, einen Mann zu finden, der
eine neue Maschine aufstellt." — S. 197.

Hiermit verhält es sich gerade so, wie mit dem „Nächstens" in Be¬
zug auf das Verschwinden des Adels und der Juden. Addiren wir: Adel,
Juden und Bureaukratie zusammen, sie macheu eine Drei, und Drei
in Eins. Hoffen wir, daß Ihr Mann sich nur um ein paar Jahrzehend
geirrt und daß Nächstens dennoch geschehe, was er so lange vorher ge¬
sehen hat.


„Der Graf Schulenburg beging zwei unverzeihliche Fehler bei Gele¬
genheit der letzten Theilung Polens, die die allcrnachthciligsten Folgen für
Preußen hatten. Vorerst machte er in Bezug auf diese» Gegenstand dem
Grafen Alopäns, russischem Botschafter in Berlin, vorzeitige Eröffnungen,
die dem Petersburger Cabinet das Recht gaben, alles Gehässige dieses
Schrittes auf Preußen zu werfen, wie dies wirklich in dem Manifeste Ru߬
lands geschah. Zweitens zerstörte der Minister v. Schulenburg durch diese
Theilung das administrative System, das bis jetzt für die inneren Angele¬
genheiten des Staats bestanden hatte. Das für einen geringen Preis in
Polen gekaufte Korn füllte die Vorrathsspeicher Friedrich's II., der sie in
Zeiten der Noth öffnete, um deu Preis der unerläßlichsten Bedürfnisse
herabgehen zu machen. Allein, sobald die polnischen Provinzen mit Preußen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/152>, abgerufen am 01.09.2024.