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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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wird die Petition verworfen; die Kammer beschließt, ans Gründen der Nützlich¬
keit und in Beziehung auf die ältere Gesetzgebung den König zu bitten n. s. w.
Die Herrcncnric schneidet überall die Spitzen ab, indeß bleibt einiges übrig, z. B.
die Bitte, der König möge von dem Ausschüsse und der Finanzdeputation abstehn,
als Eingriffen in die reichSständischcn Rechte. -- Der König antwortet, er wolle
es sich überlegen, zunächst aber solle man gehorchen, und die beiden Versamm¬
lungen wählen, die er zunächst berufen wolle.

Nun sollte man denken, die 138 wenigstens würden sich von einer positiven
Handlung fern halten, durch die ihr Rechtsprinzip verletzt ist. Das geschieht
keineswegs; nnr einige 50--60 schließen sich von der Wahl aus, die andern
wählen -- unter einem, staatsrechtlich ungültigen Vorbehalt.

Das ist die eigentlich politische Thätigkeit der Versammlung; nun die übrige.
-- Die königlichen Propositionen werden, mit wenig Ausnahmen, verworfen, oder
so amendirt, daß ziemlich das Entgegengesetzte von der Tendenz des Gesetzes
dabei herauskommt. Bei einzelnen dieser Propositionen (z. B. dem Jndcngesctze,
dem Gesetz über die bäuerlichen Erbgüter) ist allerdings Opposition gegen die
wenigstens anscheinend reaktionäre Tendenz der Regierung, obwohl auch hier die
Motive nie klar hervortreten; bei andern dagegen (z. B. der Einkommensteuer)
ist es Reaction gegen die progrcssischc Bewegung des Gouvernements; bei noch an¬
deren (z. B. der Eisenbahnanlcihe) haben sich die Motive so sonderbar durchein¬
ander verwirrt, daß es nicht leicht sein dürfte, sich aus ihnen einen Vers zu ma¬
chen; denn die einen opponiren, weil sie die Maßregel für schädlich halten, die
andern, obgleich sie dieselbe für nützlich halten, weil sie der Negierung, so lange
sie ihre Rechte nicht anerkennt, kein Geld geben wollen.

Der Landtag hat der Regierung den Beweis gegeben, daß sie aus diese
Weise nicht regieren, d. h. keine bedeutende Maßregel ausführen kann. Sie
könnte nun etwa auf den Sinn der Opposition eingehen, eine wirkliche Consti-
tution verleihen und in die Reihe der monarchisch-republikanischen Staaten ein¬
treten. Das wäre eine vollständige, friedliche Revolution, der Sturz der herr¬
schenden Partei, und die Regierung müßte sich vor Allem fragen: hat denn die
Partei, die ich an die Stelle setzen will, die moralische Kraft, die äußere Macht
und die Einsicht entwickelt, daß ich zum Wohl des Ganzen ihr meine Macht¬
vollkommenheit übertragen könnte?

Ich will Jedem seine Meinung lassen; ich meines Theils muß gestehen, daß
ich es der Regierung nicht verargen würde, wenn sie diese Ansicht nicht hegt*).
Sie wird sich also vorläufig wohl nach andern Mitteln umsehen, ohne die Stande
ih ....... ren bisherigen Gang fortzusetzen.



D. Red.
*) Wir theilen diese Ansicht unsers geehrten Correspondenten mit, ohne damit er¬
klären zu wollen, daß wir dieselbe im Wesentlichen theilen. Daß der Landtag durch
das, was in ihm vorgekommen ist, wenn auch nicht durch seine Resultate, bildend und
fördernd gewirkt hat, wird wohl Niemand in Abrede stellen.
Grenzboten. III. I"47. 17

wird die Petition verworfen; die Kammer beschließt, ans Gründen der Nützlich¬
keit und in Beziehung auf die ältere Gesetzgebung den König zu bitten n. s. w.
Die Herrcncnric schneidet überall die Spitzen ab, indeß bleibt einiges übrig, z. B.
die Bitte, der König möge von dem Ausschüsse und der Finanzdeputation abstehn,
als Eingriffen in die reichSständischcn Rechte. — Der König antwortet, er wolle
es sich überlegen, zunächst aber solle man gehorchen, und die beiden Versamm¬
lungen wählen, die er zunächst berufen wolle.

Nun sollte man denken, die 138 wenigstens würden sich von einer positiven
Handlung fern halten, durch die ihr Rechtsprinzip verletzt ist. Das geschieht
keineswegs; nnr einige 50—60 schließen sich von der Wahl aus, die andern
wählen — unter einem, staatsrechtlich ungültigen Vorbehalt.

Das ist die eigentlich politische Thätigkeit der Versammlung; nun die übrige.
— Die königlichen Propositionen werden, mit wenig Ausnahmen, verworfen, oder
so amendirt, daß ziemlich das Entgegengesetzte von der Tendenz des Gesetzes
dabei herauskommt. Bei einzelnen dieser Propositionen (z. B. dem Jndcngesctze,
dem Gesetz über die bäuerlichen Erbgüter) ist allerdings Opposition gegen die
wenigstens anscheinend reaktionäre Tendenz der Regierung, obwohl auch hier die
Motive nie klar hervortreten; bei andern dagegen (z. B. der Einkommensteuer)
ist es Reaction gegen die progrcssischc Bewegung des Gouvernements; bei noch an¬
deren (z. B. der Eisenbahnanlcihe) haben sich die Motive so sonderbar durchein¬
ander verwirrt, daß es nicht leicht sein dürfte, sich aus ihnen einen Vers zu ma¬
chen; denn die einen opponiren, weil sie die Maßregel für schädlich halten, die
andern, obgleich sie dieselbe für nützlich halten, weil sie der Negierung, so lange
sie ihre Rechte nicht anerkennt, kein Geld geben wollen.

Der Landtag hat der Regierung den Beweis gegeben, daß sie aus diese
Weise nicht regieren, d. h. keine bedeutende Maßregel ausführen kann. Sie
könnte nun etwa auf den Sinn der Opposition eingehen, eine wirkliche Consti-
tution verleihen und in die Reihe der monarchisch-republikanischen Staaten ein¬
treten. Das wäre eine vollständige, friedliche Revolution, der Sturz der herr¬
schenden Partei, und die Regierung müßte sich vor Allem fragen: hat denn die
Partei, die ich an die Stelle setzen will, die moralische Kraft, die äußere Macht
und die Einsicht entwickelt, daß ich zum Wohl des Ganzen ihr meine Macht¬
vollkommenheit übertragen könnte?

Ich will Jedem seine Meinung lassen; ich meines Theils muß gestehen, daß
ich es der Regierung nicht verargen würde, wenn sie diese Ansicht nicht hegt*).
Sie wird sich also vorläufig wohl nach andern Mitteln umsehen, ohne die Stande
ih ....... ren bisherigen Gang fortzusetzen.



D. Red.
*) Wir theilen diese Ansicht unsers geehrten Correspondenten mit, ohne damit er¬
klären zu wollen, daß wir dieselbe im Wesentlichen theilen. Daß der Landtag durch
das, was in ihm vorgekommen ist, wenn auch nicht durch seine Resultate, bildend und
fördernd gewirkt hat, wird wohl Niemand in Abrede stellen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/135>, abgerufen am 01.09.2024.