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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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schaftlichen Inhalts nährt sich leider unsere gesammte Tagespresse mit dem Abhub
französischer Mvderomane, gegen welche unsere Censur ungewöhnlich nachsichtig
auftritt, und vom Nachdruck politischer Neuigkeiten aus deutschen und französi¬
schen Zeitungen.

Während auf die Anfrage eines Deputirten in der zweiten Curie des preu¬
ßischen Landtages, ob ein Jude in Preußen zum Offizier befördert werden könne,
der Kriegsminister dies verneinte, herrscht in Oesterreich seit Altersher in der
Armee eine völlige Gleichheit der Konfessionen, und der jüdische Soldat kann
bei uns Generalissimus werden, wenigstens steht dem kein gesetzliches Hinderniß
im Wege. So ist z. B. der Commandant des k. k. Transportsammelhauses in
Verona der Hauptmann Brisker ein Jsraeli:, und Niemand findet darin ein
Aergerniß. Conseauenter indeß ist jedenfalls das preußische System, denn es
stellt den Militär- und'Civilstaatsdienst gleich, in Oesterreich dagegen kann der
Jude General werden, aber weder Kanzleidiener noch Ofenhcizer in einem k. k.
Amtsbnreau! -- "


III.

Eine Wallfahrtsprozession. -- Biographie des Cardinal Kiesel. -- Die flüchtigen
Gedanken.

Diesen Dienstag ist die Wallfahrtsprozcssion nach Maria-Zell zurückgekehrt.
Wie jedes Jahr ging auch diesesmal eine außerordentliche Menge Menschen mit.
Was man gegen Wallfahrten nur immer einzuwenden im Stande ist, gilt da
in noch höherem Maaßstabe. Der Wallfahrtsort ist an 20 Meilen entfernt, die
Zeit der Abwesenheit beträgt'8 --10 Tage. Während dieser Zeit müssen diese
Leute ihre Arbeite" aufgeben und finden sich schwer wieder in ihre gewohnte
Lebensweise. Dazu kommt die erstaunliche Entsittlichung, die die jungen Mäd¬
chen namentlich als Wallfahrtsgeschenk mit nach Hause bringen, die unlauteren
Beweggründe, um derentwillen die Wallfahrt mehrentheils unternommen wird.
Dazu kommen die Gefahren, die der Gesundheit aus diesem Marsche, der oft
bei dem schlechtesten Zustande der Wege und der ungünstigen Witterung geschieht,
erwachsen. Dazu kommen diese Bilder des höchsten Aberglaubens, die sie da an
gottgeweihter Stelle mit ansehen, und die sie, wie das die Natur der Sache
mit sich bringt, mit einem gewissen Enthusiasmus in sich aufnehmen. Die Wall¬
fahrt macht somit einen Eindruck auf diese Leute, der oft durch ein ganzes Le¬
ben nicht wieder verwischt werden kann, um den die rvvWviMssiim Ligo-
rianer zu verlöschen nicht eben bemüht sind. Wir haben selbst die Vorgänge in
der Kirche dieses Wallfahrtsortes, der in einer wunderbar herrlichen Gebirgs¬
gegend gelegen ist, mit deren Größe und Erhabenheit diese Scenen um so härter
contrastiren, haben das Alles selbst mit angesehen und könnten ein interessantes
Kapitel zur Krankheitsgeschichte des menschlichen Geistes schreiben, wenn wir das
nur erzählen wollten, was wir da zu sehen bekamen. Kaiser Joseph hat diese


schaftlichen Inhalts nährt sich leider unsere gesammte Tagespresse mit dem Abhub
französischer Mvderomane, gegen welche unsere Censur ungewöhnlich nachsichtig
auftritt, und vom Nachdruck politischer Neuigkeiten aus deutschen und französi¬
schen Zeitungen.

Während auf die Anfrage eines Deputirten in der zweiten Curie des preu¬
ßischen Landtages, ob ein Jude in Preußen zum Offizier befördert werden könne,
der Kriegsminister dies verneinte, herrscht in Oesterreich seit Altersher in der
Armee eine völlige Gleichheit der Konfessionen, und der jüdische Soldat kann
bei uns Generalissimus werden, wenigstens steht dem kein gesetzliches Hinderniß
im Wege. So ist z. B. der Commandant des k. k. Transportsammelhauses in
Verona der Hauptmann Brisker ein Jsraeli:, und Niemand findet darin ein
Aergerniß. Conseauenter indeß ist jedenfalls das preußische System, denn es
stellt den Militär- und'Civilstaatsdienst gleich, in Oesterreich dagegen kann der
Jude General werden, aber weder Kanzleidiener noch Ofenhcizer in einem k. k.
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III.

Eine Wallfahrtsprozession. — Biographie des Cardinal Kiesel. — Die flüchtigen
Gedanken.

Diesen Dienstag ist die Wallfahrtsprozcssion nach Maria-Zell zurückgekehrt.
Wie jedes Jahr ging auch diesesmal eine außerordentliche Menge Menschen mit.
Was man gegen Wallfahrten nur immer einzuwenden im Stande ist, gilt da
in noch höherem Maaßstabe. Der Wallfahrtsort ist an 20 Meilen entfernt, die
Zeit der Abwesenheit beträgt'8 —10 Tage. Während dieser Zeit müssen diese
Leute ihre Arbeite» aufgeben und finden sich schwer wieder in ihre gewohnte
Lebensweise. Dazu kommt die erstaunliche Entsittlichung, die die jungen Mäd¬
chen namentlich als Wallfahrtsgeschenk mit nach Hause bringen, die unlauteren
Beweggründe, um derentwillen die Wallfahrt mehrentheils unternommen wird.
Dazu kommen die Gefahren, die der Gesundheit aus diesem Marsche, der oft
bei dem schlechtesten Zustande der Wege und der ungünstigen Witterung geschieht,
erwachsen. Dazu kommen diese Bilder des höchsten Aberglaubens, die sie da an
gottgeweihter Stelle mit ansehen, und die sie, wie das die Natur der Sache
mit sich bringt, mit einem gewissen Enthusiasmus in sich aufnehmen. Die Wall¬
fahrt macht somit einen Eindruck auf diese Leute, der oft durch ein ganzes Le¬
ben nicht wieder verwischt werden kann, um den die rvvWviMssiim Ligo-
rianer zu verlöschen nicht eben bemüht sind. Wir haben selbst die Vorgänge in
der Kirche dieses Wallfahrtsortes, der in einer wunderbar herrlichen Gebirgs¬
gegend gelegen ist, mit deren Größe und Erhabenheit diese Scenen um so härter
contrastiren, haben das Alles selbst mit angesehen und könnten ein interessantes
Kapitel zur Krankheitsgeschichte des menschlichen Geistes schreiben, wenn wir das
nur erzählen wollten, was wir da zu sehen bekamen. Kaiser Joseph hat diese


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/128>, abgerufen am 01.09.2024.