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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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Gesandte hat Schreibzeug vor sich und eine große Mappe mit Papieren.
Die Herren lesen Zeitungen, unterhalten sich, empfangen Briefe, beantworten
diese und scheinen in den meisten Fällen den Vorträgen wenig Aufmerksamkeit
zu widmen, was auch eigentlich nicht nöthig ist, denn wie jeder stimmen
soll, weiß er aus seiner Instruction. Ein Mustern der Parteien, ein Hin¬
reißen der Meinung durch Beredsamkeit und überwältigende Geistesgaben,
oder Combinationen über den Ausgang einer Frage, Intriguen und Über¬
redungen können hier nicht stattfinden. Im Ganzen sind es nur 25 Ab¬
geordnete, oder wenn man die zweiten Gesandten zurechnet, 50, denen streng
vorgeschrieben ist, was sie thun sollen und sagen müssen; auch weiß Jeder
vorher, wie der Andere sich benehmen wird; Niemand ist selbstständig hier.
In den ruhigen friedlichen Zeiten, wo die Herrschaft der regierenden Herren
unangetastet war, hatte die Tagsatzung nicht das geringste Interesse für den
Fremden. Die kleinen, häuslichen Verhältnisse waren bald und ganz in der
Stille abgethan; die mangelnde Oeffentlichkeit war sehr überflüssig; auch
jetzt sind die gewöhnlichen Sitzungen, wo Militärgcgenstände und dergleichen
verhandelt werden, ermüdend langweilig, und nur wenn der Parteienstreit
sich hineinmischt, was freilich unverhofft und bei jedem Anlaß geschehen
kann, mag dies eine vermehrte Theilnahme erwecken. Im Ganzen aber
kommt doch nichts dabei heraus, als daß man ein heftiges Gezänk und eine
Fluth von Grobheiten mit anhört, welche sich die ehrenwerthen Herren ge¬
genseitig zuschleudern, was freilich subjectiv anreizend genng ist, in der
Sache jedoch nicht das geringste ändert. Alle Fragen sind so tausendfach
nach allen Seiten durchgesprochen und die Stärke und Stellung der Parteien
so genau bekannt, daß nicht das geringste Neue gesagt wird." --

Schon ans diesen Fragmenten wird man sich von der Gesinnung und
der Unbefangenheit des Verfassers ein wohlthuendes Bild machen können.
Sehr erfreulich ist es, daß er uicht mit seinem Ich kokettirt, wie es seit
Heine bei unsern Touristen an der Tagesordnung ist. Seine Schilderung
wird weder von aristokratischem Parfüm durchduftet, noch vou der l"o
alta des Weltschmerzes gewürzt.

Alles in Allem machen jene Bilder der Schweiz doch ans uns den Ein¬
druck: lehrreich und interessant im Detail, aber ohne erheblichen Einfluß
aus die Weltgeschichte.




13*

Gesandte hat Schreibzeug vor sich und eine große Mappe mit Papieren.
Die Herren lesen Zeitungen, unterhalten sich, empfangen Briefe, beantworten
diese und scheinen in den meisten Fällen den Vorträgen wenig Aufmerksamkeit
zu widmen, was auch eigentlich nicht nöthig ist, denn wie jeder stimmen
soll, weiß er aus seiner Instruction. Ein Mustern der Parteien, ein Hin¬
reißen der Meinung durch Beredsamkeit und überwältigende Geistesgaben,
oder Combinationen über den Ausgang einer Frage, Intriguen und Über¬
redungen können hier nicht stattfinden. Im Ganzen sind es nur 25 Ab¬
geordnete, oder wenn man die zweiten Gesandten zurechnet, 50, denen streng
vorgeschrieben ist, was sie thun sollen und sagen müssen; auch weiß Jeder
vorher, wie der Andere sich benehmen wird; Niemand ist selbstständig hier.
In den ruhigen friedlichen Zeiten, wo die Herrschaft der regierenden Herren
unangetastet war, hatte die Tagsatzung nicht das geringste Interesse für den
Fremden. Die kleinen, häuslichen Verhältnisse waren bald und ganz in der
Stille abgethan; die mangelnde Oeffentlichkeit war sehr überflüssig; auch
jetzt sind die gewöhnlichen Sitzungen, wo Militärgcgenstände und dergleichen
verhandelt werden, ermüdend langweilig, und nur wenn der Parteienstreit
sich hineinmischt, was freilich unverhofft und bei jedem Anlaß geschehen
kann, mag dies eine vermehrte Theilnahme erwecken. Im Ganzen aber
kommt doch nichts dabei heraus, als daß man ein heftiges Gezänk und eine
Fluth von Grobheiten mit anhört, welche sich die ehrenwerthen Herren ge¬
genseitig zuschleudern, was freilich subjectiv anreizend genng ist, in der
Sache jedoch nicht das geringste ändert. Alle Fragen sind so tausendfach
nach allen Seiten durchgesprochen und die Stärke und Stellung der Parteien
so genau bekannt, daß nicht das geringste Neue gesagt wird." —

Schon ans diesen Fragmenten wird man sich von der Gesinnung und
der Unbefangenheit des Verfassers ein wohlthuendes Bild machen können.
Sehr erfreulich ist es, daß er uicht mit seinem Ich kokettirt, wie es seit
Heine bei unsern Touristen an der Tagesordnung ist. Seine Schilderung
wird weder von aristokratischem Parfüm durchduftet, noch vou der l»o
alta des Weltschmerzes gewürzt.

Alles in Allem machen jene Bilder der Schweiz doch ans uns den Ein¬
druck: lehrreich und interessant im Detail, aber ohne erheblichen Einfluß
aus die Weltgeschichte.




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[0105] Gesandte hat Schreibzeug vor sich und eine große Mappe mit Papieren. Die Herren lesen Zeitungen, unterhalten sich, empfangen Briefe, beantworten diese und scheinen in den meisten Fällen den Vorträgen wenig Aufmerksamkeit zu widmen, was auch eigentlich nicht nöthig ist, denn wie jeder stimmen soll, weiß er aus seiner Instruction. Ein Mustern der Parteien, ein Hin¬ reißen der Meinung durch Beredsamkeit und überwältigende Geistesgaben, oder Combinationen über den Ausgang einer Frage, Intriguen und Über¬ redungen können hier nicht stattfinden. Im Ganzen sind es nur 25 Ab¬ geordnete, oder wenn man die zweiten Gesandten zurechnet, 50, denen streng vorgeschrieben ist, was sie thun sollen und sagen müssen; auch weiß Jeder vorher, wie der Andere sich benehmen wird; Niemand ist selbstständig hier. In den ruhigen friedlichen Zeiten, wo die Herrschaft der regierenden Herren unangetastet war, hatte die Tagsatzung nicht das geringste Interesse für den Fremden. Die kleinen, häuslichen Verhältnisse waren bald und ganz in der Stille abgethan; die mangelnde Oeffentlichkeit war sehr überflüssig; auch jetzt sind die gewöhnlichen Sitzungen, wo Militärgcgenstände und dergleichen verhandelt werden, ermüdend langweilig, und nur wenn der Parteienstreit sich hineinmischt, was freilich unverhofft und bei jedem Anlaß geschehen kann, mag dies eine vermehrte Theilnahme erwecken. Im Ganzen aber kommt doch nichts dabei heraus, als daß man ein heftiges Gezänk und eine Fluth von Grobheiten mit anhört, welche sich die ehrenwerthen Herren ge¬ genseitig zuschleudern, was freilich subjectiv anreizend genng ist, in der Sache jedoch nicht das geringste ändert. Alle Fragen sind so tausendfach nach allen Seiten durchgesprochen und die Stärke und Stellung der Parteien so genau bekannt, daß nicht das geringste Neue gesagt wird." — Schon ans diesen Fragmenten wird man sich von der Gesinnung und der Unbefangenheit des Verfassers ein wohlthuendes Bild machen können. Sehr erfreulich ist es, daß er uicht mit seinem Ich kokettirt, wie es seit Heine bei unsern Touristen an der Tagesordnung ist. Seine Schilderung wird weder von aristokratischem Parfüm durchduftet, noch vou der l»o alta des Weltschmerzes gewürzt. Alles in Allem machen jene Bilder der Schweiz doch ans uns den Ein¬ druck: lehrreich und interessant im Detail, aber ohne erheblichen Einfluß aus die Weltgeschichte. 13*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/105>, abgerufen am 01.09.2024.