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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band.

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wälzung und der republikanischen Gleichheit strebt nach Vernichtung der Vor¬
rechte und der alten Zopfzeit, uach Umgestaltung des FödcrativsystcmS und
der Bundesacte von 1813. Diese junge Partei, welche in zahllosen Volks¬
festen und Vereinen ihren Mittelpunkt sucht, findet jedoch mächtige Gegner.
Sie findet im Innern die alte Aristokratie der Familien, die Aristokratie des
Geldes, die mächtige Priesterschaft und deren in den katholischen Kantonen
so einflußreiche gefährliche Feindschaft, sie findet die alte Stadtbürgerschast,
und auf dem Lande viele der größten Bescher, wie überhaupt alle diejenigen,
welche bei Aenderungen etwas aufzugeben haben. Die Masse der Industriel¬
len, die Masse der Wohlhabenden und Reichen wird nie geneigt sein, in ih¬
rer Majorität einer BewcguugSpartci anzugehören, und schon aus Hochmuth
werden Viele sich zu den Widerstrebenden halten, wenn es darauf ankommt,
den Armen gleiche staatsbürgerliche Rechte zuzusprechen. Ueberdies aber ha¬
ben die bewegenden Elemente in der Schweiz einen sehr großen und zähen
Widerstand in der Sinnesart der Schweizer selbst zu bekämpfen, die so fest
am Alten und Hergebrachten kleben, wie selten ein anderes Volk. In der
einsamen Stellung des schweizerischen Volkslebens, das so wenig Theil ge¬
nommen hat an den Schicksalen Europa's, in den jahrhundertlangen Födc-
rativverhältnissen, an denen sich so wenig änderte, bis eine neue Zeit jäh
hereinbrach, in den Trennungen der Gesellschaft, dem kastenartigen Bürger-
thum der Städte, den verknöcherten Vorurtheilen, den Innungen, Zünften,
den Familicnverbiudungen und den historisch tiefbegründeten und fest verwach¬
senen Gewohnheiten liegt eine Macht des Widerstandes, die ungemein schwer
zu überwältigen ist und zu deu heftigsten Kämpfen und gewaltsamsten Tha¬
ten führen muß." --

"Was in der Monarchie Anarchie wäre, ist in der Republik keineswegs
dasselbe; ja mau kann sagen, daß eine gewisse Anarchie eine nothwendige
Ingredienz der Republik sei. Denn was in der Monarchie auflösend wirkt,
das kräftigt in der Republik den Bürgersinn und die Freiheit des Republi¬
kaners, dessen Heil in der Bewegung und in der Anerkennung des Willens
der Volksmajorität ruht. Darum ist es anch größentheils wüstes Geschrei
der Volksgegucr, wenn sie den ruhig erzogenen Leuten Abscheu gegen die
ewigen Unruhen und Kämpfe der Republiken einzuflößen suchen. Die Leute
dort leben meist viel glücklicher, und im Ganzen genommen ruhiger und
sicherer, als in vielen Monarchien. Sie zahlen nnr, was nöthig ist, zur
Staatserhaltung, machen sich ihre Gesetze, und die Unruhe der Parteien,
selbst der Sturz der einen oder andern, bringt meist nur die Häupter und
Leiter hinauf oder hinunter, ohne dqs Eigenthum anzutasten, ohne Industrie


wälzung und der republikanischen Gleichheit strebt nach Vernichtung der Vor¬
rechte und der alten Zopfzeit, uach Umgestaltung des FödcrativsystcmS und
der Bundesacte von 1813. Diese junge Partei, welche in zahllosen Volks¬
festen und Vereinen ihren Mittelpunkt sucht, findet jedoch mächtige Gegner.
Sie findet im Innern die alte Aristokratie der Familien, die Aristokratie des
Geldes, die mächtige Priesterschaft und deren in den katholischen Kantonen
so einflußreiche gefährliche Feindschaft, sie findet die alte Stadtbürgerschast,
und auf dem Lande viele der größten Bescher, wie überhaupt alle diejenigen,
welche bei Aenderungen etwas aufzugeben haben. Die Masse der Industriel¬
len, die Masse der Wohlhabenden und Reichen wird nie geneigt sein, in ih¬
rer Majorität einer BewcguugSpartci anzugehören, und schon aus Hochmuth
werden Viele sich zu den Widerstrebenden halten, wenn es darauf ankommt,
den Armen gleiche staatsbürgerliche Rechte zuzusprechen. Ueberdies aber ha¬
ben die bewegenden Elemente in der Schweiz einen sehr großen und zähen
Widerstand in der Sinnesart der Schweizer selbst zu bekämpfen, die so fest
am Alten und Hergebrachten kleben, wie selten ein anderes Volk. In der
einsamen Stellung des schweizerischen Volkslebens, das so wenig Theil ge¬
nommen hat an den Schicksalen Europa's, in den jahrhundertlangen Födc-
rativverhältnissen, an denen sich so wenig änderte, bis eine neue Zeit jäh
hereinbrach, in den Trennungen der Gesellschaft, dem kastenartigen Bürger-
thum der Städte, den verknöcherten Vorurtheilen, den Innungen, Zünften,
den Familicnverbiudungen und den historisch tiefbegründeten und fest verwach¬
senen Gewohnheiten liegt eine Macht des Widerstandes, die ungemein schwer
zu überwältigen ist und zu deu heftigsten Kämpfen und gewaltsamsten Tha¬
ten führen muß." —

„Was in der Monarchie Anarchie wäre, ist in der Republik keineswegs
dasselbe; ja mau kann sagen, daß eine gewisse Anarchie eine nothwendige
Ingredienz der Republik sei. Denn was in der Monarchie auflösend wirkt,
das kräftigt in der Republik den Bürgersinn und die Freiheit des Republi¬
kaners, dessen Heil in der Bewegung und in der Anerkennung des Willens
der Volksmajorität ruht. Darum ist es anch größentheils wüstes Geschrei
der Volksgegucr, wenn sie den ruhig erzogenen Leuten Abscheu gegen die
ewigen Unruhen und Kämpfe der Republiken einzuflößen suchen. Die Leute
dort leben meist viel glücklicher, und im Ganzen genommen ruhiger und
sicherer, als in vielen Monarchien. Sie zahlen nnr, was nöthig ist, zur
Staatserhaltung, machen sich ihre Gesetze, und die Unruhe der Parteien,
selbst der Sturz der einen oder andern, bringt meist nur die Häupter und
Leiter hinauf oder hinunter, ohne dqs Eigenthum anzutasten, ohne Industrie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_309659/100>, abgerufen am 28.07.2024.