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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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zog ihm ihre rothen Finger nicht, aber er ließ sie nach einer kurzen Weile
selbst los und zitterte förmlich vor den Folgen seiner Kühnheit. Diesmal
war seine Schüchternheit übrigens ganz an Ort und Stelle gewesen, denn
Betel trat in sichtbarer Aufregung herein und fragte mit spitziger Stimme:
"Werden sich Euer Gnaden noch nicht anziehen lassen?"

Die Dame erhob sich und ging -- Betel war unter einem Vorwande
zurückgeblieben und flüsterte Theodor zu: "In einer halben Stunde bin ich
bei meinen Eltern, kommen Sie gewiß!"

Theodor blieb nachdenklich im Saale zurück. Es befiel ihm eine große
Bangigkeit und er wäre am liebsten von dieser Insel der Calypso auf und
davongelaufen. Dann aber hielt es ihm wieder wie mit unsichtbaren Händen
und richtete ihn: den Kopf so weit in die Höhe, daß er in den gegenüber¬
liegenden Spiegel blicken konnte. Vor der Hand war Betel noch die Allein¬
herrscherin seines Herzens, aber in seinem Innersten zuckte bereits der Dämon
des Ehrgeizes, wie ein Küchlein im El --> noch erdrückte ihn die Wucht des
Gedankens, von einer Baronin geliebt zu werden! aber es hatte ihm die
Möglichkeit durchblitzt und Jaromir, der tobend hcreinsprang, entriß ihn sehr
gefährlichen Träumereien.


Kabale und Liebe.

Im Garten, der freilich entlaubt, kahl und düster aussah, wartete Betel
auf ihren Geliebten. Das Gewächshaus war zugedeckt, alle Beete mit Stroh
bedeckt, junge Baumstämme umwunden und die Springbrunnen spielten nicht
mehr. Sie fror und wurde ungeduldig, Theodor kam noch immer nicht,
statt seiner erschien Karl mit einem Vorstehhunde, den er eben ausgeführt
hatte. Betel schlug einen entgegengesetzten Weg ein, aber Karl nahm davon
keine Notiz und sprang über die kahle Hecke, die ihn von Betel schied. Er
lächelte tückisch und ließ seine Jagdpeitsche knallen. "Warum denn so eilig,"
hub er an, "warum laufen Sie denn so, Betinka! fürchten Sie sich vor
mir?" ^ "Ich möchte wissen warum," antwortete sehr resolut die Kammer¬
jungfer und sah ihn nach Möglichkeit geringschätzig an -- "ich fürchte mich
vor gar Niemand." -- "Freilich, jetzt wo Sie einen Studenten haben,
bin ich Ihnen zu schlecht," fuhr der gereizte Jäger heraus, "aber Sie
werden schon sehen: ich schieße ihn todt, den Prager Kerl!" -- "Das werde
ich der Herrschaft sagen!" "In Gottes Namen, ich gehe so aus dem
Dienst -- ich bekomme überall einen Dienst und eine Braut, aber Sie sollen
an mich denken! Ich sehe Sie noch nicht in der Kirche mit ihm, Jungfer
Betel?" - "Jetzt gehen Sie Ihrer Wege!" - "Gleich, gleich -- aber


zog ihm ihre rothen Finger nicht, aber er ließ sie nach einer kurzen Weile
selbst los und zitterte förmlich vor den Folgen seiner Kühnheit. Diesmal
war seine Schüchternheit übrigens ganz an Ort und Stelle gewesen, denn
Betel trat in sichtbarer Aufregung herein und fragte mit spitziger Stimme:
„Werden sich Euer Gnaden noch nicht anziehen lassen?"

Die Dame erhob sich und ging — Betel war unter einem Vorwande
zurückgeblieben und flüsterte Theodor zu: „In einer halben Stunde bin ich
bei meinen Eltern, kommen Sie gewiß!"

Theodor blieb nachdenklich im Saale zurück. Es befiel ihm eine große
Bangigkeit und er wäre am liebsten von dieser Insel der Calypso auf und
davongelaufen. Dann aber hielt es ihm wieder wie mit unsichtbaren Händen
und richtete ihn: den Kopf so weit in die Höhe, daß er in den gegenüber¬
liegenden Spiegel blicken konnte. Vor der Hand war Betel noch die Allein¬
herrscherin seines Herzens, aber in seinem Innersten zuckte bereits der Dämon
des Ehrgeizes, wie ein Küchlein im El —> noch erdrückte ihn die Wucht des
Gedankens, von einer Baronin geliebt zu werden! aber es hatte ihm die
Möglichkeit durchblitzt und Jaromir, der tobend hcreinsprang, entriß ihn sehr
gefährlichen Träumereien.


Kabale und Liebe.

Im Garten, der freilich entlaubt, kahl und düster aussah, wartete Betel
auf ihren Geliebten. Das Gewächshaus war zugedeckt, alle Beete mit Stroh
bedeckt, junge Baumstämme umwunden und die Springbrunnen spielten nicht
mehr. Sie fror und wurde ungeduldig, Theodor kam noch immer nicht,
statt seiner erschien Karl mit einem Vorstehhunde, den er eben ausgeführt
hatte. Betel schlug einen entgegengesetzten Weg ein, aber Karl nahm davon
keine Notiz und sprang über die kahle Hecke, die ihn von Betel schied. Er
lächelte tückisch und ließ seine Jagdpeitsche knallen. „Warum denn so eilig,"
hub er an, „warum laufen Sie denn so, Betinka! fürchten Sie sich vor
mir?" ^ „Ich möchte wissen warum," antwortete sehr resolut die Kammer¬
jungfer und sah ihn nach Möglichkeit geringschätzig an — „ich fürchte mich
vor gar Niemand." — „Freilich, jetzt wo Sie einen Studenten haben,
bin ich Ihnen zu schlecht," fuhr der gereizte Jäger heraus, „aber Sie
werden schon sehen: ich schieße ihn todt, den Prager Kerl!" — „Das werde
ich der Herrschaft sagen!" „In Gottes Namen, ich gehe so aus dem
Dienst — ich bekomme überall einen Dienst und eine Braut, aber Sie sollen
an mich denken! Ich sehe Sie noch nicht in der Kirche mit ihm, Jungfer
Betel?" - „Jetzt gehen Sie Ihrer Wege!" - „Gleich, gleich — aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/72>, abgerufen am 22.07.2024.