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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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unserer Zeit noch zu bedeuten hat, muß man nur nach München gehen und den
dort wohnenden Adel beobachten. Weder Wohlhabenheit noch geistige Bildung,
äußeres Auftreten, zeichnet ihn (mit wenigen Ausnahmen) im Mindesten ans. Es
ist gewiß, auch in Norddeutschland hat der Adel im Allgemeinen wenig zu be¬
deuten, aber äußere Formen, eine gewisse Tournüre im Umgange hat er sich doch
noch bewahrt; bei dem hiesigen Adel findet man dies viel seltener. Aber lobend
ist es anzuerkennen, daß der Adel in München, wenigstens in der Mehrzahl seiner
männlichen Mitglieder, jenen lächerlichen Kastengeist nicht kennt, wie es an so
vielen anderen Orten der Fall ist.

Davon weiß man überhaupt in München wenig, und mau findet an allen öffent¬
lichen Orten alle Stände, vornehm und gering, in bunter Mischung vereinigt,
den Staatsrath oft neben dem Schuster, deu Lieutenant neben dem Barbier.
In Dresden, Berlin, ja in ganz Norddeutschland muß der Fremde sich erst ängst¬
lich erkundigen, ob der oder jener öffentliche Ort auch anständig sei, bevor man
ihn besuchen kann, in München hat man dies nicht nöthig, sondern kann ohne
Scheu in die Bierschenken eintreten. Diese Ungezwungenheit im öffentlichen Le¬
ben, verbunden mit den mancherlei Hülfsmitteln, welche die große Stadt sonst
noch bietet, macht das Leben in München so angenehm, daß Jeder, der nur
einige Zeit dort verweilt hat, sich stets wieder dahin sehnen wird. Gibt es doch
auch der kleineren Kreise genug, in denen man Kenntnisse, Geist und vor Allem
fröhlichen, unbefangenen Humor in reichem Maaße findet. Und darum nennen
wir München eine der interessantesten Städte Deutschlands, denn es ist eine
der eigenthümlichsten, und in unserer nivellircnden Zeit halten wir jede Eigen¬
" ... thümlichkeit für interessant.


II.
Aus Paris.

Die Medicin, das System der ConcourS. -- Die Academie und die Facultäten. --
Privilegien innerhalb der Gelehrsamkeit. -- Die Moralität der Bourgeoisie.

Die Pairskammer hat in den letzten acht Tagen die Hauptrolle in unserm
politischen Treiben gespielt. Das Gesetz über die medicinischen Angelegenheiten
und der Prozeß des Herrn v. Girardin haben die vorherrschende Aufmerksamkeit
in Anspruch genommen. Was den Gesetzvorschlag über eine neue Medicinal-
ordnung und Medicinallchrpolizei anbelangt, so hat derselbe eine größere, allge¬
meinere Bedeutung dadurch erlangt, daß das System der Concours sür die Pro-
fcssorcnstellcn, das bis jetzt in Frankreich befolgt wurde, eine erste Niederlage
erlitten hat. Die Conconrs, d. h. Erkämpfung der Lehrstellen durch öffentliche
Examen und öffentliche Probearbeiten und Probevorlesungen ist theilweise in
Frankreich sehr alt, theilweise eine Errungenschaft der Ansichten von Gleichheit
und Oeffentlichkeit, wie sie in der Revolution die Ueberhand erlangten. Alt ist
dies System sür die Rechtssacultät, ja es hat höchst wahrscheinlich bei dieser von


unserer Zeit noch zu bedeuten hat, muß man nur nach München gehen und den
dort wohnenden Adel beobachten. Weder Wohlhabenheit noch geistige Bildung,
äußeres Auftreten, zeichnet ihn (mit wenigen Ausnahmen) im Mindesten ans. Es
ist gewiß, auch in Norddeutschland hat der Adel im Allgemeinen wenig zu be¬
deuten, aber äußere Formen, eine gewisse Tournüre im Umgange hat er sich doch
noch bewahrt; bei dem hiesigen Adel findet man dies viel seltener. Aber lobend
ist es anzuerkennen, daß der Adel in München, wenigstens in der Mehrzahl seiner
männlichen Mitglieder, jenen lächerlichen Kastengeist nicht kennt, wie es an so
vielen anderen Orten der Fall ist.

Davon weiß man überhaupt in München wenig, und mau findet an allen öffent¬
lichen Orten alle Stände, vornehm und gering, in bunter Mischung vereinigt,
den Staatsrath oft neben dem Schuster, deu Lieutenant neben dem Barbier.
In Dresden, Berlin, ja in ganz Norddeutschland muß der Fremde sich erst ängst¬
lich erkundigen, ob der oder jener öffentliche Ort auch anständig sei, bevor man
ihn besuchen kann, in München hat man dies nicht nöthig, sondern kann ohne
Scheu in die Bierschenken eintreten. Diese Ungezwungenheit im öffentlichen Le¬
ben, verbunden mit den mancherlei Hülfsmitteln, welche die große Stadt sonst
noch bietet, macht das Leben in München so angenehm, daß Jeder, der nur
einige Zeit dort verweilt hat, sich stets wieder dahin sehnen wird. Gibt es doch
auch der kleineren Kreise genug, in denen man Kenntnisse, Geist und vor Allem
fröhlichen, unbefangenen Humor in reichem Maaße findet. Und darum nennen
wir München eine der interessantesten Städte Deutschlands, denn es ist eine
der eigenthümlichsten, und in unserer nivellircnden Zeit halten wir jede Eigen¬
» ... thümlichkeit für interessant.


II.
Aus Paris.

Die Medicin, das System der ConcourS. — Die Academie und die Facultäten. —
Privilegien innerhalb der Gelehrsamkeit. — Die Moralität der Bourgeoisie.

Die Pairskammer hat in den letzten acht Tagen die Hauptrolle in unserm
politischen Treiben gespielt. Das Gesetz über die medicinischen Angelegenheiten
und der Prozeß des Herrn v. Girardin haben die vorherrschende Aufmerksamkeit
in Anspruch genommen. Was den Gesetzvorschlag über eine neue Medicinal-
ordnung und Medicinallchrpolizei anbelangt, so hat derselbe eine größere, allge¬
meinere Bedeutung dadurch erlangt, daß das System der Concours sür die Pro-
fcssorcnstellcn, das bis jetzt in Frankreich befolgt wurde, eine erste Niederlage
erlitten hat. Die Conconrs, d. h. Erkämpfung der Lehrstellen durch öffentliche
Examen und öffentliche Probearbeiten und Probevorlesungen ist theilweise in
Frankreich sehr alt, theilweise eine Errungenschaft der Ansichten von Gleichheit
und Oeffentlichkeit, wie sie in der Revolution die Ueberhand erlangten. Alt ist
dies System sür die Rechtssacultät, ja es hat höchst wahrscheinlich bei dieser von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/587>, abgerufen am 22.07.2024.