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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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man Lamartine grade keine parteiische Vorliebe für seinen Gegenstand vorwer¬
fen tan". "Die Partei der Girondisten trat mit der.Kühnheit und der
Einheit einer Verschwörung ans. Es war die triumphirende, neidische, auf¬
geregte, beredte Bourgeoisie, die Aristokratie des Talents, die für sich allein
die Freiheit, die Macht und das Volk ausbeuten wollte. Sie wollten die
Bewegung fortsetzen, bis sie die Revolution ganz in Händen hätten, und
wirkten durch Keckheit und Intrigue, während bei den Jacobinern, der Partei
des Volks und der in That übergehenden Philosophie, Fanatismus und
Hingebung zu Hause war. Nicht diese Partei war es, die nach Aufhebung
der Aristokratie und des Clerus dem Thron am Feindlichsteil war, denn sie
fühlte tief, wie nothwendig eine Einheit der Macht sei; sie war nicht die
erste, die von Krieg und Republik sprach, aber sie führte das Wort Dikta¬
tur im Munde. Wenn die Girondisten sich mit der konstitutionellen Partei
vereinigt hatten, die Verfassung mit den nöthigen Modificationen zu verthei¬
digen, so hätten sie ihre Partei gerettet und den Thron dominirt. Aber die
Rechtschaffenheit, die ihrem Führer (Brissot) abging, fehlte auch der Partei,
sie ergaben sich der Intrigue. Sie machten sich zu den Demagogen einer
Versammlung, deren Staatsmänner sie hätten sein können. Sie glaubten
nicht an die Republik, ihr Glaube war gemacht. Ju der Revolution find
aber nur die Ehrlichen die Geschickten. "Es ist schön als Opfer seines Glau¬
bens, es ist häßlich, als Narr seines Ehrgeizes zu sterben." Jeder, der die
Geschichte jener Zeit genau kennt, wird zugeben, daß dieser Ausspruch, so
treffend er auf Einzelne bezogen wird, in seiner Allgemeinheit eine Verleum¬
dung ist. Es ist eben ein Einfall, den der Dichter an andern Stellen ver¬
gißt. -- Ebenso ist es auch nur ein Einfall zu nennen, wenn Lamartine
von der constituirenden Versammlung verlangt, sie hätte gleich nach der
Flucht des Königs die Republik proclamiren sollen. Das ist eine ideelle
Anticipation, die sich an der Geschichte versündigt. Die Parteien machen
nicht die Geschichte, sie dienen ihrer Bewegung: eine Wahrheit, die Lamar¬
tine sehr wohl weiß, die er aber vergißt, um sich in der selbstgefälligen Rolle
eines superkluger Schulmeisters zu brüske".

Ebenso wird Lamartine im Fluß seiner Darstellung zu Behauptungen
über die Einzelnen hingerissen, die allerdings zu seinen Sympathien für die
modernen, eleganten Demokraten Frankreichs stimmen, die aber keineswegs
für die Unbefangenheit seines historischen Blicks sprechen. Man höre folgende
Schilderung RobeSpierr^S, als dieser der öffentlichen Meinung gegenüber den
Frieden vertheidigt (Anfang des Jahres !>2): "Er sah ein, daß der Krieg
an sich ein Verbrechen gegen das Volk war, daß er selbst bei glücklichem


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man Lamartine grade keine parteiische Vorliebe für seinen Gegenstand vorwer¬
fen tan». „Die Partei der Girondisten trat mit der.Kühnheit und der
Einheit einer Verschwörung ans. Es war die triumphirende, neidische, auf¬
geregte, beredte Bourgeoisie, die Aristokratie des Talents, die für sich allein
die Freiheit, die Macht und das Volk ausbeuten wollte. Sie wollten die
Bewegung fortsetzen, bis sie die Revolution ganz in Händen hätten, und
wirkten durch Keckheit und Intrigue, während bei den Jacobinern, der Partei
des Volks und der in That übergehenden Philosophie, Fanatismus und
Hingebung zu Hause war. Nicht diese Partei war es, die nach Aufhebung
der Aristokratie und des Clerus dem Thron am Feindlichsteil war, denn sie
fühlte tief, wie nothwendig eine Einheit der Macht sei; sie war nicht die
erste, die von Krieg und Republik sprach, aber sie führte das Wort Dikta¬
tur im Munde. Wenn die Girondisten sich mit der konstitutionellen Partei
vereinigt hatten, die Verfassung mit den nöthigen Modificationen zu verthei¬
digen, so hätten sie ihre Partei gerettet und den Thron dominirt. Aber die
Rechtschaffenheit, die ihrem Führer (Brissot) abging, fehlte auch der Partei,
sie ergaben sich der Intrigue. Sie machten sich zu den Demagogen einer
Versammlung, deren Staatsmänner sie hätten sein können. Sie glaubten
nicht an die Republik, ihr Glaube war gemacht. Ju der Revolution find
aber nur die Ehrlichen die Geschickten. „Es ist schön als Opfer seines Glau¬
bens, es ist häßlich, als Narr seines Ehrgeizes zu sterben." Jeder, der die
Geschichte jener Zeit genau kennt, wird zugeben, daß dieser Ausspruch, so
treffend er auf Einzelne bezogen wird, in seiner Allgemeinheit eine Verleum¬
dung ist. Es ist eben ein Einfall, den der Dichter an andern Stellen ver¬
gißt. — Ebenso ist es auch nur ein Einfall zu nennen, wenn Lamartine
von der constituirenden Versammlung verlangt, sie hätte gleich nach der
Flucht des Königs die Republik proclamiren sollen. Das ist eine ideelle
Anticipation, die sich an der Geschichte versündigt. Die Parteien machen
nicht die Geschichte, sie dienen ihrer Bewegung: eine Wahrheit, die Lamar¬
tine sehr wohl weiß, die er aber vergißt, um sich in der selbstgefälligen Rolle
eines superkluger Schulmeisters zu brüske».

Ebenso wird Lamartine im Fluß seiner Darstellung zu Behauptungen
über die Einzelnen hingerissen, die allerdings zu seinen Sympathien für die
modernen, eleganten Demokraten Frankreichs stimmen, die aber keineswegs
für die Unbefangenheit seines historischen Blicks sprechen. Man höre folgende
Schilderung RobeSpierr^S, als dieser der öffentlichen Meinung gegenüber den
Frieden vertheidigt (Anfang des Jahres !>2): „Er sah ein, daß der Krieg
an sich ein Verbrechen gegen das Volk war, daß er selbst bei glücklichem


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[0581] man Lamartine grade keine parteiische Vorliebe für seinen Gegenstand vorwer¬ fen tan». „Die Partei der Girondisten trat mit der.Kühnheit und der Einheit einer Verschwörung ans. Es war die triumphirende, neidische, auf¬ geregte, beredte Bourgeoisie, die Aristokratie des Talents, die für sich allein die Freiheit, die Macht und das Volk ausbeuten wollte. Sie wollten die Bewegung fortsetzen, bis sie die Revolution ganz in Händen hätten, und wirkten durch Keckheit und Intrigue, während bei den Jacobinern, der Partei des Volks und der in That übergehenden Philosophie, Fanatismus und Hingebung zu Hause war. Nicht diese Partei war es, die nach Aufhebung der Aristokratie und des Clerus dem Thron am Feindlichsteil war, denn sie fühlte tief, wie nothwendig eine Einheit der Macht sei; sie war nicht die erste, die von Krieg und Republik sprach, aber sie führte das Wort Dikta¬ tur im Munde. Wenn die Girondisten sich mit der konstitutionellen Partei vereinigt hatten, die Verfassung mit den nöthigen Modificationen zu verthei¬ digen, so hätten sie ihre Partei gerettet und den Thron dominirt. Aber die Rechtschaffenheit, die ihrem Führer (Brissot) abging, fehlte auch der Partei, sie ergaben sich der Intrigue. Sie machten sich zu den Demagogen einer Versammlung, deren Staatsmänner sie hätten sein können. Sie glaubten nicht an die Republik, ihr Glaube war gemacht. Ju der Revolution find aber nur die Ehrlichen die Geschickten. „Es ist schön als Opfer seines Glau¬ bens, es ist häßlich, als Narr seines Ehrgeizes zu sterben." Jeder, der die Geschichte jener Zeit genau kennt, wird zugeben, daß dieser Ausspruch, so treffend er auf Einzelne bezogen wird, in seiner Allgemeinheit eine Verleum¬ dung ist. Es ist eben ein Einfall, den der Dichter an andern Stellen ver¬ gißt. — Ebenso ist es auch nur ein Einfall zu nennen, wenn Lamartine von der constituirenden Versammlung verlangt, sie hätte gleich nach der Flucht des Königs die Republik proclamiren sollen. Das ist eine ideelle Anticipation, die sich an der Geschichte versündigt. Die Parteien machen nicht die Geschichte, sie dienen ihrer Bewegung: eine Wahrheit, die Lamar¬ tine sehr wohl weiß, die er aber vergißt, um sich in der selbstgefälligen Rolle eines superkluger Schulmeisters zu brüske». Ebenso wird Lamartine im Fluß seiner Darstellung zu Behauptungen über die Einzelnen hingerissen, die allerdings zu seinen Sympathien für die modernen, eleganten Demokraten Frankreichs stimmen, die aber keineswegs für die Unbefangenheit seines historischen Blicks sprechen. Man höre folgende Schilderung RobeSpierr^S, als dieser der öffentlichen Meinung gegenüber den Frieden vertheidigt (Anfang des Jahres !>2): „Er sah ein, daß der Krieg an sich ein Verbrechen gegen das Volk war, daß er selbst bei glücklichem Go-i>zboten. >>. 1^^. 75

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/581>, abgerufen am 03.07.2024.