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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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für die Mangel des Buchs nicht blind machen; es hat deren, und das Schlimme
ist, basi die Mängel in der Unentschiedenheit des Verfassers für die politischen
Parteiungen liegen. Der Verfasser ist über seinem Buche selbst ein Anderer ge¬
worden, und hat es somit selbst in zwei Hälften gespalten.

Im Anfang ist er Girondist mit Girondisten, bis in die Hälfte des
Werks, wo plötzlich Robespierre zum fleischgewordenen Prinzipe der Revolu¬
tion heranwächst. Von da an sind, die Girondisten nur du" "iciimoi'illos et'no
<:rhin>, während dem Robespierre das lebendige Prinzip der Democratie, le
<I-;mocrntv d"z >>rincino, ist; der Versasser zeigt dann unbarmherzig, wie die
Girondisten, mir um sich selbst zu retten, nur um nicht von der treibenden Ge¬
walt der Revolution verschlungen zu werden, für den Tod des Königs stimmen
und sammt und sonders gegen ihre Ueberzeugung zu Mördern werden. Nicht
einmal den Vorzug läßt er den Girondisten, der edlere und menschlichere Theil
der Revolutionsmänner gewesen zu sein, für den die meisten anderen Schriftsteller
sie ausgegeben.

Eine ähnliche Unsicherheit in Handhabung seines Nichtcramtcs als Geschichts-
forscher zeigt Lamartine bei Mirabeau und Danton. Er, der Schriftsteller, der
vor allen Andern ans unbedingte Schätzung des Prinzips, der Gesinnung dringt,
warum begeistert er sich so oft für die bloße Kraft, für das Genie ohne Ueber¬
zeugung? So stellt sich heraus, daß auch dieses Buch bei seinen unendlichen
Schönheiten doch mehr ein Gedicht, als ein Geschichtswerk ist. Lamartine hat
damit seinem Vaterland einen großen Dienst gethan, er hat gewiß, indem
er mit seinem energischen Pinsel alle halbvergessenen Greuel der Revolution wie¬
der hinzcichncte, in einer großen Masse den Schrecken vor den entfesselten Ge¬
walten heraufbeschworen: von sich selber aber hat er gezeigt, daß auch in seiner
Brust die tiefe böse Krankheit wohnt, die die modernen Poeten seit Byron nicht
loslassen zu wollen scheint -- die tiefe traurige Sccpsis, die sich vergeblich mit
dem Hinblick auf die Göttlichkeit der Menschennatur zu trösten und in Ruhe zu
singen sucht.


L?.
IV.
Aus Berlin.

Abstimmungen in der Judenfrage. -- Votum der Herreucurie über die ständischen Rechte
und die Ausschüsse. -- Künftiges Verfahren der Liberalen. --- Diner bei Hofe. --
Presjgesetz. -- Schluß.

Die zweite Curie hat die Berathungen über das Indcngcsetz am !5>. ge¬
schlossen. Das Resultat derselben ist im Ganzen ein freisinnigeres, als wir es
erwartet hatten. Zwar ist die politische Emanzipation der Juden verworfen wor¬
den, jedoch nur mit der Majorität einer einzigen Stimme (220 gegen 219),
welche Abstimmung um so weniger die wirkliche Mehrheit der Bersammlnng her¬
ausstellt, als fast !00 Mitglieder fehlten. Dagegen ist die Berechtigung der
Juden zu allen Staatsämtern (ausgenommen natürlich diejenigen, welche mit der


für die Mangel des Buchs nicht blind machen; es hat deren, und das Schlimme
ist, basi die Mängel in der Unentschiedenheit des Verfassers für die politischen
Parteiungen liegen. Der Verfasser ist über seinem Buche selbst ein Anderer ge¬
worden, und hat es somit selbst in zwei Hälften gespalten.

Im Anfang ist er Girondist mit Girondisten, bis in die Hälfte des
Werks, wo plötzlich Robespierre zum fleischgewordenen Prinzipe der Revolu¬
tion heranwächst. Von da an sind, die Girondisten nur du« «iciimoi'illos et'no
<:rhin>, während dem Robespierre das lebendige Prinzip der Democratie, le
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Girondisten, mir um sich selbst zu retten, nur um nicht von der treibenden Ge¬
walt der Revolution verschlungen zu werden, für den Tod des Königs stimmen
und sammt und sonders gegen ihre Ueberzeugung zu Mördern werden. Nicht
einmal den Vorzug läßt er den Girondisten, der edlere und menschlichere Theil
der Revolutionsmänner gewesen zu sein, für den die meisten anderen Schriftsteller
sie ausgegeben.

Eine ähnliche Unsicherheit in Handhabung seines Nichtcramtcs als Geschichts-
forscher zeigt Lamartine bei Mirabeau und Danton. Er, der Schriftsteller, der
vor allen Andern ans unbedingte Schätzung des Prinzips, der Gesinnung dringt,
warum begeistert er sich so oft für die bloße Kraft, für das Genie ohne Ueber¬
zeugung? So stellt sich heraus, daß auch dieses Buch bei seinen unendlichen
Schönheiten doch mehr ein Gedicht, als ein Geschichtswerk ist. Lamartine hat
damit seinem Vaterland einen großen Dienst gethan, er hat gewiß, indem
er mit seinem energischen Pinsel alle halbvergessenen Greuel der Revolution wie¬
der hinzcichncte, in einer großen Masse den Schrecken vor den entfesselten Ge¬
walten heraufbeschworen: von sich selber aber hat er gezeigt, daß auch in seiner
Brust die tiefe böse Krankheit wohnt, die die modernen Poeten seit Byron nicht
loslassen zu wollen scheint — die tiefe traurige Sccpsis, die sich vergeblich mit
dem Hinblick auf die Göttlichkeit der Menschennatur zu trösten und in Ruhe zu
singen sucht.


L?.
IV.
Aus Berlin.

Abstimmungen in der Judenfrage. — Votum der Herreucurie über die ständischen Rechte
und die Ausschüsse. — Künftiges Verfahren der Liberalen. —- Diner bei Hofe. —
Presjgesetz. — Schluß.

Die zweite Curie hat die Berathungen über das Indcngcsetz am !5>. ge¬
schlossen. Das Resultat derselben ist im Ganzen ein freisinnigeres, als wir es
erwartet hatten. Zwar ist die politische Emanzipation der Juden verworfen wor¬
den, jedoch nur mit der Majorität einer einzigen Stimme (220 gegen 219),
welche Abstimmung um so weniger die wirkliche Mehrheit der Bersammlnng her¬
ausstellt, als fast !00 Mitglieder fehlten. Dagegen ist die Berechtigung der
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/552>, abgerufen am 25.08.2024.