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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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rinn bctheilige", mit alten Bildern und Kirchenschmuck, die Familienväter mit
Postämtern und Tabakstrafiken. Den Maire's verspricht man Straßen, die an
ihren Meierhöfen vorüberführen, den Stadtverordneten einen Canal, einen Markt,
ja sogar eine Brücke; den Landbewohnern bewilligt man einen Antheil von den
2,000,000 Fr., die alljährlich zur Entschädigung für Feldschädcn. Mißwachs ver¬
wandt werden.

Die Statistiker geben die Totalsumme der Beamten auf 931.777 an.
303,000 von diesen hängen vom Ministerium des Innern ab, 106,800 mit
Besoldung, die übrigen ohne Besoldung. Mit einer solchen Armee von Bestall¬
ten , die von der Hoffnung des Avancements und von der Furcht vor Ungnade
zu willenlosen Werkzeugen der Macht umgewandelt wird, wie sollte die Regie¬
rungspartei nicht triumphiren und sich aufrecht erhalten, wenn sie es einmal auf
die Corruption angelegt hat ?

Guizot sagte vor Jahren: "Das nationale Gouvernement überläßt ver¬
trauensvoll dem Lande die Wahl seiner Deputaten. Die völlige Unabhängig¬
keit der Wahlen aufrecht zu erhalten, wird der Stolz der Regierung sein." So
sprach Guizot, aber das ist lange her. Als er es sagte, waren kaum zwei Mo¬
nate seit der Julirevolution verstrichen und im Luxembourg saßen vier Minister
Karl X., am Leben bedroht, weil sie sich unter Anderm auch Bestechung und
Korruption der Wahlen hatten zu Schulden kommen lassen.

Das ist der Stand der Sachen; das Uebel der Corruption ist vorhanden,
"ut ist der Grund der bösen Stimmung, die durch ganz Frankreich verbreitet
ist. Die Pessimisten sehen darin den Verfall des Landes und bedenken nicht,
daß das maaßlose Entrüstungsschrcicn über Corruption, die unverhohlene Auf.
dcckung des Uebels in allen Blättern, die Drohungen, die sich ununterbrochen
und überall darüber zeigen, eben dafür sprechen , daß die Immoralität Einiger
noch keinen Einfluß aus das große Ganze hat, daß die öffentliche Meinung die
Ehre Frankreichs zu wahren gesonnen ist und nur den Zeitpunkt erwartet, um
sich von dem unreinen KrankhcitSstoffe mit einem Mal zu befreien. Kräftig "ut
""geschwächt, wie das französische Nationalgefühl nach so vielen Kämpfen noch
ist, läßt sich voraus sehen, daß die Katastrophe, die dem jetzigen Systeme früher
oder später ein Ende machen wird, nicht ohne gewaltsame Erschütterungen vor
sich gehen könne.'

Auf Lamartines Geschichte der Girondisten, die nun beendigt ist, muß ich
wieder zurückkommen. Die einzelnen Partieen dieses Buches bestechen so, daß
man darüber erst dann ein Urtheil fallen kann, wenn man sich den Ueberblick
über das ganze Werk gesichert, und es vom Anfang bis zum Ende durchgelesen.
Die Macht der Schilderung, die Vollendung der Portraits, kurz Alles, was
Beschreibung heißt, ist in diesem Buche vortrefflich. Ein gewaltiger Zauber bin¬
det den Leser an diese Blätter, in denen sich die große Reihe von Bildern, vom
Todtenbette Mirabeau's bis zum Schaffotte Robespierre's, so herrlich aufrollt.
Wie das leibt und lebt, wie das glüht und athmet, wie das Alles in's tiefste
Herz greift! Wir Deutschen haben kein Geschichtsbuch von solcher Macht der
Schilderung! Doch all' diese großen, diese außerordentlichen Vorzüge dürfen uns


7N

rinn bctheilige», mit alten Bildern und Kirchenschmuck, die Familienväter mit
Postämtern und Tabakstrafiken. Den Maire's verspricht man Straßen, die an
ihren Meierhöfen vorüberführen, den Stadtverordneten einen Canal, einen Markt,
ja sogar eine Brücke; den Landbewohnern bewilligt man einen Antheil von den
2,000,000 Fr., die alljährlich zur Entschädigung für Feldschädcn. Mißwachs ver¬
wandt werden.

Die Statistiker geben die Totalsumme der Beamten auf 931.777 an.
303,000 von diesen hängen vom Ministerium des Innern ab, 106,800 mit
Besoldung, die übrigen ohne Besoldung. Mit einer solchen Armee von Bestall¬
ten , die von der Hoffnung des Avancements und von der Furcht vor Ungnade
zu willenlosen Werkzeugen der Macht umgewandelt wird, wie sollte die Regie¬
rungspartei nicht triumphiren und sich aufrecht erhalten, wenn sie es einmal auf
die Corruption angelegt hat ?

Guizot sagte vor Jahren: „Das nationale Gouvernement überläßt ver¬
trauensvoll dem Lande die Wahl seiner Deputaten. Die völlige Unabhängig¬
keit der Wahlen aufrecht zu erhalten, wird der Stolz der Regierung sein." So
sprach Guizot, aber das ist lange her. Als er es sagte, waren kaum zwei Mo¬
nate seit der Julirevolution verstrichen und im Luxembourg saßen vier Minister
Karl X., am Leben bedroht, weil sie sich unter Anderm auch Bestechung und
Korruption der Wahlen hatten zu Schulden kommen lassen.

Das ist der Stand der Sachen; das Uebel der Corruption ist vorhanden,
»ut ist der Grund der bösen Stimmung, die durch ganz Frankreich verbreitet
ist. Die Pessimisten sehen darin den Verfall des Landes und bedenken nicht,
daß das maaßlose Entrüstungsschrcicn über Corruption, die unverhohlene Auf.
dcckung des Uebels in allen Blättern, die Drohungen, die sich ununterbrochen
und überall darüber zeigen, eben dafür sprechen , daß die Immoralität Einiger
noch keinen Einfluß aus das große Ganze hat, daß die öffentliche Meinung die
Ehre Frankreichs zu wahren gesonnen ist und nur den Zeitpunkt erwartet, um
sich von dem unreinen KrankhcitSstoffe mit einem Mal zu befreien. Kräftig »ut
»»geschwächt, wie das französische Nationalgefühl nach so vielen Kämpfen noch
ist, läßt sich voraus sehen, daß die Katastrophe, die dem jetzigen Systeme früher
oder später ein Ende machen wird, nicht ohne gewaltsame Erschütterungen vor
sich gehen könne.'

Auf Lamartines Geschichte der Girondisten, die nun beendigt ist, muß ich
wieder zurückkommen. Die einzelnen Partieen dieses Buches bestechen so, daß
man darüber erst dann ein Urtheil fallen kann, wenn man sich den Ueberblick
über das ganze Werk gesichert, und es vom Anfang bis zum Ende durchgelesen.
Die Macht der Schilderung, die Vollendung der Portraits, kurz Alles, was
Beschreibung heißt, ist in diesem Buche vortrefflich. Ein gewaltiger Zauber bin¬
det den Leser an diese Blätter, in denen sich die große Reihe von Bildern, vom
Todtenbette Mirabeau's bis zum Schaffotte Robespierre's, so herrlich aufrollt.
Wie das leibt und lebt, wie das glüht und athmet, wie das Alles in's tiefste
Herz greift! Wir Deutschen haben kein Geschichtsbuch von solcher Macht der
Schilderung! Doch all' diese großen, diese außerordentlichen Vorzüge dürfen uns


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/551>, abgerufen am 22.07.2024.