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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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Die Judenfrage
auf dem preußischen Landtage.

Wir geben diesen Auszug aus der Debatte des preußischen Landtags über
das ihm vorgelegte Gesetz als einen Beitrag zur Kulturgeschichte uuserer Zeit.
Es ist weniger das unmittelbare, politische Interesse, das zu erwartende Resultat,
was uns bei der Auswahl bestimmt hat, als das allgemein menschliche: wie
denken diese erfahrenen, angesehenen Männer, diese Vertreter des Volks, über
eine Frage, in der sich altgcerbte Vorurtheile, Einfluß persönlicher Berührung
und Conflict der Interessen so gern hinter allgemeine Theorien versteckt. Die
Thatsachen sprechen für sich selbst: wir fügen nur die Bemerkung hinzu, daß von
allen ständischen Versammlungen Deutschlands der Preußische Landtag derjenige
gewesen ist. in dem das Prinzip der geistigen Freiheit am meisten Wurzel ge¬
schlagen hat.




Schumann ans Rataywalla in Posen. Ich war in meinen jüngern
Jahren ein Gegner der Juden und gestehe es an dieser feierlichen Stelle ganz offen,
daß ich mich damals getäuscht, von meinem Vorurtheile gegen sie zurückgekommen
bin. Ich weiß es wohl, daß unser Großherzogthum beinahe die Hälfte aller Juden
der Monarchie zu ihren Bewohnern zählt, auch will ich es nicht in Abrede stellen,
daß ein großer Theil unserer Juden in Rücksicht auf Bildung denen der übrigen
Landestheile nachstehe. Nichtsdestoweniger spreche ich meine innigste Ueberzeugung
aus, daß sie die durch den Gesetzentwurf bezweckte Zurücksetzung nicht verdienen.
Wenn die Verordnung vom 1. Jan. 1837 die Juden gehoben, so möchte daraus
folgen, daß der ihr vorhergehende Zustand ein Zustand war, den unsere Juden
nicht verschuldet haben, sondern daß derselbe durch ihre bis dahin gedrückte Stel¬
lung bedingt war. -- In meiner langjährigen Erfahrung habe ich, der ich in¬
mitten von kleinen Städten mit zahlreicher jüdischer Bevölkerung wohne, gefun¬
den, daß sie, was Sittlichkeit und Bildung betrifft, im Allgemeinen unserer
christlichen Bevölkerung nicht nachstehen. Sie sind, so wendet man ein, ver¬
schmitzt, jsie sind dem Schacher, dem Wucher ergeben, sie richten hiemit den
christlichen Bewohner zu Grunde. Das befürchte ich nicht, denn gibt es auch
allerdings schlechte Juden, so gibt es dergleichen Subjecte auch unter andern
Religions- und Stammgenossen. Daran hat aber weder Religion noch Abkunft
Schuld. Der bisherige gedrückte Zustand der Juden erklärt Alles. Erlangen
die Juden dasjenige, was ihnen von Gottes und Rechtswegen gebührt -- Gleich-


Die Judenfrage
auf dem preußischen Landtage.

Wir geben diesen Auszug aus der Debatte des preußischen Landtags über
das ihm vorgelegte Gesetz als einen Beitrag zur Kulturgeschichte uuserer Zeit.
Es ist weniger das unmittelbare, politische Interesse, das zu erwartende Resultat,
was uns bei der Auswahl bestimmt hat, als das allgemein menschliche: wie
denken diese erfahrenen, angesehenen Männer, diese Vertreter des Volks, über
eine Frage, in der sich altgcerbte Vorurtheile, Einfluß persönlicher Berührung
und Conflict der Interessen so gern hinter allgemeine Theorien versteckt. Die
Thatsachen sprechen für sich selbst: wir fügen nur die Bemerkung hinzu, daß von
allen ständischen Versammlungen Deutschlands der Preußische Landtag derjenige
gewesen ist. in dem das Prinzip der geistigen Freiheit am meisten Wurzel ge¬
schlagen hat.




Schumann ans Rataywalla in Posen. Ich war in meinen jüngern
Jahren ein Gegner der Juden und gestehe es an dieser feierlichen Stelle ganz offen,
daß ich mich damals getäuscht, von meinem Vorurtheile gegen sie zurückgekommen
bin. Ich weiß es wohl, daß unser Großherzogthum beinahe die Hälfte aller Juden
der Monarchie zu ihren Bewohnern zählt, auch will ich es nicht in Abrede stellen,
daß ein großer Theil unserer Juden in Rücksicht auf Bildung denen der übrigen
Landestheile nachstehe. Nichtsdestoweniger spreche ich meine innigste Ueberzeugung
aus, daß sie die durch den Gesetzentwurf bezweckte Zurücksetzung nicht verdienen.
Wenn die Verordnung vom 1. Jan. 1837 die Juden gehoben, so möchte daraus
folgen, daß der ihr vorhergehende Zustand ein Zustand war, den unsere Juden
nicht verschuldet haben, sondern daß derselbe durch ihre bis dahin gedrückte Stel¬
lung bedingt war. — In meiner langjährigen Erfahrung habe ich, der ich in¬
mitten von kleinen Städten mit zahlreicher jüdischer Bevölkerung wohne, gefun¬
den, daß sie, was Sittlichkeit und Bildung betrifft, im Allgemeinen unserer
christlichen Bevölkerung nicht nachstehen. Sie sind, so wendet man ein, ver¬
schmitzt, jsie sind dem Schacher, dem Wucher ergeben, sie richten hiemit den
christlichen Bewohner zu Grunde. Das befürchte ich nicht, denn gibt es auch
allerdings schlechte Juden, so gibt es dergleichen Subjecte auch unter andern
Religions- und Stammgenossen. Daran hat aber weder Religion noch Abkunft
Schuld. Der bisherige gedrückte Zustand der Juden erklärt Alles. Erlangen
die Juden dasjenige, was ihnen von Gottes und Rechtswegen gebührt — Gleich-


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[0532] Die Judenfrage auf dem preußischen Landtage. Wir geben diesen Auszug aus der Debatte des preußischen Landtags über das ihm vorgelegte Gesetz als einen Beitrag zur Kulturgeschichte uuserer Zeit. Es ist weniger das unmittelbare, politische Interesse, das zu erwartende Resultat, was uns bei der Auswahl bestimmt hat, als das allgemein menschliche: wie denken diese erfahrenen, angesehenen Männer, diese Vertreter des Volks, über eine Frage, in der sich altgcerbte Vorurtheile, Einfluß persönlicher Berührung und Conflict der Interessen so gern hinter allgemeine Theorien versteckt. Die Thatsachen sprechen für sich selbst: wir fügen nur die Bemerkung hinzu, daß von allen ständischen Versammlungen Deutschlands der Preußische Landtag derjenige gewesen ist. in dem das Prinzip der geistigen Freiheit am meisten Wurzel ge¬ schlagen hat. Schumann ans Rataywalla in Posen. Ich war in meinen jüngern Jahren ein Gegner der Juden und gestehe es an dieser feierlichen Stelle ganz offen, daß ich mich damals getäuscht, von meinem Vorurtheile gegen sie zurückgekommen bin. Ich weiß es wohl, daß unser Großherzogthum beinahe die Hälfte aller Juden der Monarchie zu ihren Bewohnern zählt, auch will ich es nicht in Abrede stellen, daß ein großer Theil unserer Juden in Rücksicht auf Bildung denen der übrigen Landestheile nachstehe. Nichtsdestoweniger spreche ich meine innigste Ueberzeugung aus, daß sie die durch den Gesetzentwurf bezweckte Zurücksetzung nicht verdienen. Wenn die Verordnung vom 1. Jan. 1837 die Juden gehoben, so möchte daraus folgen, daß der ihr vorhergehende Zustand ein Zustand war, den unsere Juden nicht verschuldet haben, sondern daß derselbe durch ihre bis dahin gedrückte Stel¬ lung bedingt war. — In meiner langjährigen Erfahrung habe ich, der ich in¬ mitten von kleinen Städten mit zahlreicher jüdischer Bevölkerung wohne, gefun¬ den, daß sie, was Sittlichkeit und Bildung betrifft, im Allgemeinen unserer christlichen Bevölkerung nicht nachstehen. Sie sind, so wendet man ein, ver¬ schmitzt, jsie sind dem Schacher, dem Wucher ergeben, sie richten hiemit den christlichen Bewohner zu Grunde. Das befürchte ich nicht, denn gibt es auch allerdings schlechte Juden, so gibt es dergleichen Subjecte auch unter andern Religions- und Stammgenossen. Daran hat aber weder Religion noch Abkunft Schuld. Der bisherige gedrückte Zustand der Juden erklärt Alles. Erlangen die Juden dasjenige, was ihnen von Gottes und Rechtswegen gebührt — Gleich-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/532>, abgerufen am 22.07.2024.