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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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uns umwirbelt. Eine solche phantastische Welt kann nnr, wie im Sommer-
nachtstraum, durch Heiterkeit, Witz, Humor und ein üppiges Spiel der
Phantasie genießbar werden; alles Eigenschaften, von denen man bei Hebbel
keine Spur findet. Selbst die Späße trägt er mit einer frostigen Leichen¬
bittermiene vor. Man denke an Shakespeare's ^ein ito lit; hier gehen
anch die Empfindsamen und die Narren unmittelbar neben einander, aber
wie in einer Maskerade, nur sich einander zu verspotten und irre zu führen;
in Hebbel's Diamant hingegen ist es mit der Mordsucht der Prinzessin eben
so bitterer Ernst, als mit dem groben Cynismus der komischen Personen;
mir wenigstens kommt es etwas übelriechend vor, fünf Acte hindurch das
Prinzip der phantastischen Welt im Mastdcmtt eines Juden zu suchen und
den Durchfall als Vermittler der Idee zu beschwören.

Einzelne plastisch vortreffliche Aeußerungen finden sich auch hier; aber
sie siud gemacht wie das ganze Stück. So als der Schließer, wie er den
Juden ermorden will, sich künstlich in Aufregung setzt, sich selber Ohrfeigen
gibt und dem Juden alle möglichen injuriösen Gedanken suppeditirt; als der
Bauer, von dein man erklärt, er könne nicht lügen, darüber aufgebracht
wird, und rasch erzählt: "Es klopft Jemand. Nun? ist es wahr? -- seht
ihr, daß ich lügen kann?" u. s. w.

Es ist klar, daß dieses seltsame Lustspiel in jeder Beziehung als ein
Rückschritt ans der bestimmten Welt, die der Dichter in der Magdalena seiner
Poesie erobert, in die wüste Nacht der Romantik genannt werden muß.

Hebbel steht, wie es scheint, auf dem Scheidewege, in einer höchst gefährlichen
Stellung. Wenn er den bösen Dämon in seinem Innern, diese dunkle Macht,
die ihn selber treibt, wie seine Helden, überwindet, so wird er ans der
Hand des Volkes den Kranz empfangen, den jetzt sein überreiztes Gefühl
vergebens an sich zu reißen sucht. Nur die gemäßigte, gesetzlich gebändigte
Kraft bleibt Kraft; der zügellose Ungestüm führt zur Ohnmacht.


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Viln tvmpkratar" v! quocjns provsliunt
In inüzus: leisen ödere vires
venus rotas ultimo Movvntss.

I. 5.


uns umwirbelt. Eine solche phantastische Welt kann nnr, wie im Sommer-
nachtstraum, durch Heiterkeit, Witz, Humor und ein üppiges Spiel der
Phantasie genießbar werden; alles Eigenschaften, von denen man bei Hebbel
keine Spur findet. Selbst die Späße trägt er mit einer frostigen Leichen¬
bittermiene vor. Man denke an Shakespeare's ^ein ito lit; hier gehen
anch die Empfindsamen und die Narren unmittelbar neben einander, aber
wie in einer Maskerade, nur sich einander zu verspotten und irre zu führen;
in Hebbel's Diamant hingegen ist es mit der Mordsucht der Prinzessin eben
so bitterer Ernst, als mit dem groben Cynismus der komischen Personen;
mir wenigstens kommt es etwas übelriechend vor, fünf Acte hindurch das
Prinzip der phantastischen Welt im Mastdcmtt eines Juden zu suchen und
den Durchfall als Vermittler der Idee zu beschwören.

Einzelne plastisch vortreffliche Aeußerungen finden sich auch hier; aber
sie siud gemacht wie das ganze Stück. So als der Schließer, wie er den
Juden ermorden will, sich künstlich in Aufregung setzt, sich selber Ohrfeigen
gibt und dem Juden alle möglichen injuriösen Gedanken suppeditirt; als der
Bauer, von dein man erklärt, er könne nicht lügen, darüber aufgebracht
wird, und rasch erzählt: „Es klopft Jemand. Nun? ist es wahr? — seht
ihr, daß ich lügen kann?" u. s. w.

Es ist klar, daß dieses seltsame Lustspiel in jeder Beziehung als ein
Rückschritt ans der bestimmten Welt, die der Dichter in der Magdalena seiner
Poesie erobert, in die wüste Nacht der Romantik genannt werden muß.

Hebbel steht, wie es scheint, auf dem Scheidewege, in einer höchst gefährlichen
Stellung. Wenn er den bösen Dämon in seinem Innern, diese dunkle Macht,
die ihn selber treibt, wie seine Helden, überwindet, so wird er ans der
Hand des Volkes den Kranz empfangen, den jetzt sein überreiztes Gefühl
vergebens an sich zu reißen sucht. Nur die gemäßigte, gesetzlich gebändigte
Kraft bleibt Kraft; der zügellose Ungestüm führt zur Ohnmacht.


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In inüzus: leisen ödere vires
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I. 5.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/521>, abgerufen am 22.07.2024.