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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band.

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Jäger als Wilddieb verfolgt wird und beinahe erschossen wäre, man nimmt
ihm den Stein ab und bringt ihn der Prinzessin. Diese kommt auch beim
Anblick desselben zur Besinnung, wenigstens scheint es so, namentlich führt
sie die Erscheinung des grob realistischen Bauern von ihren Visionen zurück;
der Bauer erhält die versprochene Belohnung, der Jude ärgert sich, eben so
der Schließer; die Prinzessin wird nun wohl den Prinzen heirathen, mond¬
süchtig wird sie freilich bleiben, aber der Wahnsinn ist vorbei, wenigstens
vor der Hand, und so findet die Komcdie denn ihr Ziel. Ich muß noch
bemerken, daß es an einigen Stellen dunkel bleibt, ob der Jude wirklich
den Stein von sich gibt, ob er uicht den Schließer betrogen hat. Indeß
bei Hof wird man sich doch wohl ans Diamanten verstehen, und so wollen
wir denn an die Realität des wiedergefundenen Steines glauben.

Das ist der Inhalt des Lustspiels. Und nun die Moral? Sie wird
handgreiflich genng hingestellt. Als man nämlich dem Prinzen die Erschei¬
nung erklärt: "Der arme kranke Soldat hat sich in den königlichen Garten
zu schleichen gewußt, er ist vor die einsame Prinzessin hingetreten und hat
sie mit stummen Geberden um ein Almosen angefleht. Die Prinzessin, in
der Dämmerungsstunde tief in ihre Phantasien versenkt, hat in dem Ver¬
stümmelten den Geist, dessen Erscheinung sie täglich in fieberhafter Erregt¬
heit entgegensah, zu erblicken geglaubt und ihm den Diamant, den er ihr
abzufordern schien, mit Entsetzen zugeworfen; dann ist sie, im innersten
Grunde ihres Daseins erschüttert, bewußtlos zurückgesunken und der Mensch
hat sich stillschweigend entfernt;" so antwortet dieser:


"So ist's! so muß es sein! denn nur so wird der Wahnsinn vollkom¬
men. O Welt, Welt! bist du deun etwas Anderes als die
hohle Blase, die das Nichts emportrieb, da es sich frö¬
stelnd zum ersten Mal schüttelte? Schau' mir nicht so starr in's
Gesicht, ich könnte dir jetzt den Kopf herunterschlageil und mir einbilden,
das geschehe blos in der Einbildung. Nein! Nein! Da schafft die Natur
ein Wesen, das keinen Fehler hat als den, daß es zu vollkommen
ist, daß es der Welt uicht bedarf und all' sein Leben ans
sich selbst, aus der unergründlichen Tiefe seines Ich her¬
vorspinnt, und diesem Wesen tritt eine Fratze, ein lächerliches Zerr¬
bild seines eignen Todestraums in den Weg und vor der Fratze muß
es vergehen." --

I^A ont-t es 8ni!>><" sagt der Katholik, und in der reflectirten Gespen-
sterwelt der Romantik wird daraus: Die Welt ist ein Narrenhaus. Aus
diesem Gedanken kann man wohl ein Tieck'sches Mährchen, einen blonden


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Jäger als Wilddieb verfolgt wird und beinahe erschossen wäre, man nimmt
ihm den Stein ab und bringt ihn der Prinzessin. Diese kommt auch beim
Anblick desselben zur Besinnung, wenigstens scheint es so, namentlich führt
sie die Erscheinung des grob realistischen Bauern von ihren Visionen zurück;
der Bauer erhält die versprochene Belohnung, der Jude ärgert sich, eben so
der Schließer; die Prinzessin wird nun wohl den Prinzen heirathen, mond¬
süchtig wird sie freilich bleiben, aber der Wahnsinn ist vorbei, wenigstens
vor der Hand, und so findet die Komcdie denn ihr Ziel. Ich muß noch
bemerken, daß es an einigen Stellen dunkel bleibt, ob der Jude wirklich
den Stein von sich gibt, ob er uicht den Schließer betrogen hat. Indeß
bei Hof wird man sich doch wohl ans Diamanten verstehen, und so wollen
wir denn an die Realität des wiedergefundenen Steines glauben.

Das ist der Inhalt des Lustspiels. Und nun die Moral? Sie wird
handgreiflich genng hingestellt. Als man nämlich dem Prinzen die Erschei¬
nung erklärt: „Der arme kranke Soldat hat sich in den königlichen Garten
zu schleichen gewußt, er ist vor die einsame Prinzessin hingetreten und hat
sie mit stummen Geberden um ein Almosen angefleht. Die Prinzessin, in
der Dämmerungsstunde tief in ihre Phantasien versenkt, hat in dem Ver¬
stümmelten den Geist, dessen Erscheinung sie täglich in fieberhafter Erregt¬
heit entgegensah, zu erblicken geglaubt und ihm den Diamant, den er ihr
abzufordern schien, mit Entsetzen zugeworfen; dann ist sie, im innersten
Grunde ihres Daseins erschüttert, bewußtlos zurückgesunken und der Mensch
hat sich stillschweigend entfernt;" so antwortet dieser:


„So ist's! so muß es sein! denn nur so wird der Wahnsinn vollkom¬
men. O Welt, Welt! bist du deun etwas Anderes als die
hohle Blase, die das Nichts emportrieb, da es sich frö¬
stelnd zum ersten Mal schüttelte? Schau' mir nicht so starr in's
Gesicht, ich könnte dir jetzt den Kopf herunterschlageil und mir einbilden,
das geschehe blos in der Einbildung. Nein! Nein! Da schafft die Natur
ein Wesen, das keinen Fehler hat als den, daß es zu vollkommen
ist, daß es der Welt uicht bedarf und all' sein Leben ans
sich selbst, aus der unergründlichen Tiefe seines Ich her¬
vorspinnt, und diesem Wesen tritt eine Fratze, ein lächerliches Zerr¬
bild seines eignen Todestraums in den Weg und vor der Fratze muß
es vergehen." —

I^A ont-t es 8ni!>><» sagt der Katholik, und in der reflectirten Gespen-
sterwelt der Romantik wird daraus: Die Welt ist ein Narrenhaus. Aus
diesem Gedanken kann man wohl ein Tieck'sches Mährchen, einen blonden


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[0519] Jäger als Wilddieb verfolgt wird und beinahe erschossen wäre, man nimmt ihm den Stein ab und bringt ihn der Prinzessin. Diese kommt auch beim Anblick desselben zur Besinnung, wenigstens scheint es so, namentlich führt sie die Erscheinung des grob realistischen Bauern von ihren Visionen zurück; der Bauer erhält die versprochene Belohnung, der Jude ärgert sich, eben so der Schließer; die Prinzessin wird nun wohl den Prinzen heirathen, mond¬ süchtig wird sie freilich bleiben, aber der Wahnsinn ist vorbei, wenigstens vor der Hand, und so findet die Komcdie denn ihr Ziel. Ich muß noch bemerken, daß es an einigen Stellen dunkel bleibt, ob der Jude wirklich den Stein von sich gibt, ob er uicht den Schließer betrogen hat. Indeß bei Hof wird man sich doch wohl ans Diamanten verstehen, und so wollen wir denn an die Realität des wiedergefundenen Steines glauben. Das ist der Inhalt des Lustspiels. Und nun die Moral? Sie wird handgreiflich genng hingestellt. Als man nämlich dem Prinzen die Erschei¬ nung erklärt: „Der arme kranke Soldat hat sich in den königlichen Garten zu schleichen gewußt, er ist vor die einsame Prinzessin hingetreten und hat sie mit stummen Geberden um ein Almosen angefleht. Die Prinzessin, in der Dämmerungsstunde tief in ihre Phantasien versenkt, hat in dem Ver¬ stümmelten den Geist, dessen Erscheinung sie täglich in fieberhafter Erregt¬ heit entgegensah, zu erblicken geglaubt und ihm den Diamant, den er ihr abzufordern schien, mit Entsetzen zugeworfen; dann ist sie, im innersten Grunde ihres Daseins erschüttert, bewußtlos zurückgesunken und der Mensch hat sich stillschweigend entfernt;" so antwortet dieser: „So ist's! so muß es sein! denn nur so wird der Wahnsinn vollkom¬ men. O Welt, Welt! bist du deun etwas Anderes als die hohle Blase, die das Nichts emportrieb, da es sich frö¬ stelnd zum ersten Mal schüttelte? Schau' mir nicht so starr in's Gesicht, ich könnte dir jetzt den Kopf herunterschlageil und mir einbilden, das geschehe blos in der Einbildung. Nein! Nein! Da schafft die Natur ein Wesen, das keinen Fehler hat als den, daß es zu vollkommen ist, daß es der Welt uicht bedarf und all' sein Leben ans sich selbst, aus der unergründlichen Tiefe seines Ich her¬ vorspinnt, und diesem Wesen tritt eine Fratze, ein lächerliches Zerr¬ bild seines eignen Todestraums in den Weg und vor der Fratze muß es vergehen." — I^A ont-t es 8ni!>><» sagt der Katholik, und in der reflectirten Gespen- sterwelt der Romantik wird daraus: Die Welt ist ein Narrenhaus. Aus diesem Gedanken kann man wohl ein Tieck'sches Mährchen, einen blonden 07*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, I. Semester II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_271898/519>, abgerufen am 22.07.2024.